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STALINGRAD-SENDUNG Schau gestohlen

aus DER SPIEGEL 7/1963

Die Einheiten der Luftwaffengruppe Nord hatten keinen Feierabend. Nach dem Essenfassen und vor dem Ausgang gellten Alarmsignale durch die Kasernenkorridore. Feldmarschmäßig polterten die Kompanien an die Appellplätze. Wie bei der Luftwaffengruppe Nord, so ging es an diesem Abend auch bei anderen Bundeswehr-Einheiten zu: Überraschende Alarmübungen verdarben den Soldaten die Fernsehschau.

An diesem Abend - es war der 31. Januar - strahlte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) im Ersten Programm das Fernsehspiel »Stalingrad« von Claus Hubalek aus. Die Luftwaffensoldaten und ihre Kameraden zu Wasser und zu Lande hatten keine Programmzeitschriften lesen müssen, um auf diese Sendung aufmerksam zu werden: Bundeswehr- Generalinspekteur Friedrich Foertsch hatte dafür gesorgt.

Vielen Bundeswehr-Einheiten war bereits am Tag vor der Aufführung ein Fernschreiben von Foertsch verlesen worden, in dem der General mit Hubaleks Stück hart ins Gericht ging: Es sei ein Versuch, die Soldaten in ihrer Aufgabe zu beirren, »Freiheit und Recht einer demokratischen Lebensordnung (zu) verteidigen«.

Dieser Versuch, so hatte der ranghöchste Offizier der Bundesrepublik erläutert, »ist einKampfmittel der bewußten Gegner der Freiheit oder ihrer mißbrauchten Helfer«.

Das Fernsehen antwortete am Tag nach der Hubalek-Sendung: Foertsch habe mit seinem Schreiben den Eindruck erweckt, als ob er »das damalige Verhalten der verantwortlichen militärischen Führung billige und als beispielhaft« betrachte. Und »Stalingrad« -Autor Hubalek entrüstete sich: »Ich kann doch nicht als Feind der Freiheit oder als Werkzeug des Kommunismus herumlaufen.«

Der Bonner SPD-Sprecher Franz Barsig glaubte zu wissen, wer Friedrich Foertsch in die Lage versetzt hatte, seine Soldaten rechtzeitig und eindringlich vor dem angeblichen roten Propagandastück zu warnen: Barsig enthüllte, der stellvertretende Intendant des NDR, Ludwig Freiherr von Hammerstein -Equord, habe dem General das Hubalek -Drehbuch vor der Sendung zugespielt. Er, Barsig, glaube nicht, daß dies der »Treuepflicht« Hammersteins gegenüber dem NDR entspreche.

In der Tat hat der Generalssohn - sein Vater, Generaloberst von Hammerstein-Equord, war von 1930 bis 1934 Chef der Heeresleitung und zuletzt Oberbefehlshaber der Armeegruppe A - und ehemalige Pressechef im Gesamtdeutschen Ministerium Hammersitein mit Billigung des NDR-Intendanten Schröder ein »Stalingrad«-Manuskript herausgegeben - jedoch nicht an Foertsch, sondern an einen Freund im Bundesverteidigungsministerium, und nicht kurz vor der Sendung, sondern bereits im Oktober vorigen Jahres.

Der Hamburger Vize-Intendant hält es für unwahrscheinlich, daß Foertsch das Drehbuch gelesen hat: »Bestimmte Stellen im Text des Fernschreibens sprechen dagegen.« Vielmehr habe sich der General bequem auf andere Weise über den Inhalt des Schauspiels informieren können: »Stalingrad« von Hubalek läuft seit Ende vorigen Jahres als Bühnenstück in Köln.

Hammerstein: »Ich gehe jede Wette ein, daß einer vom Stabe Foertsch ins Theater gegangen ist. Das wäre ja direkt eine grobe Pflichtverletztung gewesen, wenn er es nicht getan hätte.«

Woraus General Foertsch auch immer seine Kenntnisse geschöpft hat - »Süddeutsche Zeitung": »Seit wann lesen Generäle Drehbücher?« -, seine Abwehrmaßnahmen waren eindeutig und gezielt terminiert. Das Instruktionsschreiben traf wenige Tage vor der Sendung bei der Truppe ein.

Eingangs seiner umfangreichen Fernsehkritik leuchtete Foertsch die Färbung des Stücks aus. Hubalek, so erfuhren die Soldaten, »wirkte noch vor wenigen Jahren in der Sowjetzone«. Den Stoff habe er dem gleichnamigen Roman des »damaligen kommunistischen Schriftstellers Plievier« entnommen, der seinen Roman »während des Krieges in sowjetischem Auftrag« geschrieben habe.

Tatsächlich ist Hubalek ein »erklärter Anti-Kommunist«, der vor mehr als elf Jahren die Sowjetzone verlassen hat, wo er »den roten Faschismus zu hassen« gelernt hatte ("Bild"). Hubalek schrieb auch die Fernsehfassung des kommunistenfeindlichen Buchs »Die Revolution entläßt ihre Kinder« von Wolfgang Leonhard.

Den falsch informierten Soldaten konnten indes kaum noch Zweifel aufkommen, daß alles, was von Hubalek über die Bildschirme flimmern würde, in knalliges Rot getaucht sein müsse. Alsdann wurde die Truppe belehrt, daß die Bühnenfassung von »Stalingrad« bereits eine »vernichtende literarische Kritik« erfahren habe.

Der Vier-Sterne-Kritiker nahm an, »daß der Autor auch bei der Fernsehfassung weit entfernt davon ist, den Kampf und den tragischen Untergang der 6. Armee mit der Absicht deutender Wahrhaftigkeit zu behandeln«.

War der Autor damit literarisch abqualifiziert und als Prokommunist gebrandmarkt worden, so konnte es die lauschenden Landser schon nicht mehr wundern, daß »bekannte Propagandathesen der kommunistisch-psychologischen Kampfführung... sich mit der Tendenz des Stückes (decken)«.

Denn: »Kampf auch in aussichtsloser Lage bis zum letzten - eine Forderung an den Soldaten, die zu allen Zeiten und auch in Zukunft gilt - wird als verbrecherisch gekennzeichnet.«

Dem Versuch, so schloß der General, die auch in Zukunft gültigen Durchhalteparolen zu durchlöchern, sei »im Rahmen der Truppeninformation entgegenzutreten«.

Kaum waren die Instruktionen des forschen Foertsch bekanntgeworden, da geriet der General in die Schußlinie öffentlicher Kritik von »Bild« ("Ehrabschneider") bis zur »Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland« ("Verletzung demokratischer Grundsätze").

Vergebens suchte das Bundesverteidigungsministerium dem General im Sperrfeuer mit der Behauptung Schützenhilfe zu leisten, Foertsch habe sich lediglich gegen bestimmte politische Tendenzen in dem Fernsehspiel ausgesprochen. Auch der Entsatz des bedrängten Generals durch den Bundesverteidigungsminister (von Hassel: »Ich beobachte mit Sorge, welche Leute bei den Rundfunkanstalten beschäftigt sind") kam zu spät.

Generalinspekteur Foertsch war für sein Teil schon bereit, in diesem Fall allen Durchhalteparolen zu entsagen. Am Montag vergangener Woche ließ er dem geschmähten Autor Hubalek ein Entschuldigungsschreiben ankündigen, das am Mittwochvormittag in Hubaleks Berliner Wohnung per Einschreiben eintraf.

Foertsch schrieb an Hubalek: »Mit Bedauern habe ich gehört, daß Sie sich persönlich gekränkt und in Ihrer politischen Gesinnung angegriffen fühlen.« Das habe er, Foertsch, nicht beabsichtigt.

Einmal auf dem Rückzug, fand der General keine Auffangstellung mehr: Dem NDR bekannte er schriftlich, er habe »selbstverständlich nicht den Eindruck erwecken (wollen), als ob der Intendant oder seine Mitarbeiter Gegner der Freiheit oder Helfer der Gegenseite« wären.

Nun will die Bundestagsfraktion der SPD durch eine kleine Anfrage, die innerhalb von 14 Tagen vom Bundesverteidigungsministerium schriftlich beantwortet werden muß, herauszufinden versuchen, wer denn wohl die Freiheitsgegner und ihre mißbrauchten Helfer sind, die von Foertsch der Wehrkraftzersetzung geziehen wurden.

»Stalingrad«-Verfasser Hubalek, NDR -Intendant Schröder und seine Fernsehmitarbeiter, so hat der höchste Offizier Westdeutschlands bekannt, sind es nicht. Fernseh-Autor Hubalek

Einmal auf dem Rückzug ..

Fernseh-Kritiker Foertsch

... fand der General...

Fernseh-Vize von Hammerstein-Equord

... keine Auffangstellung mehr

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