HAMBURG Schaulaufen in Itzehoe
Das Phantom ist pünktlich. Für 15.30 Uhr hatte Rechtsanwalt Corvin Fischer am vergangenen Donnerstag seinen Mandanten, den ehemaligen Hamburger Innensenator Ronald Barnabas Schill, 48, angekündigt. Fast auf die Sekunde genau fährt ein weinroter Kleinwagen vor Fischers Kanzlei in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Itzehoe vor.
Schill, der trotz des wolkenverhangenen Himmels eine Sonnenbrille trägt, stoppt kurz, schaut auf den Parkplatz und gibt Gas. Offenbar will er nicht allzu exponiert parken, schließlich ist er noch immer bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben - weil er vor einem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft aussagen soll, aber bisher nicht aufzutreiben war.
Hin und wieder waren Fotos in der Boulevardpresse erschienen: Schill in Shorts in Rio de Janeiro, mal auf einem klapprigen Damenfahrrad, mal mit einem Mann namens Harry König, der früher einmal der König der Autodiebe gewesen sein soll. Meist waren es die Schnappschüsse deutscher Touristen. Doch über eine ladungsfähige Adresse konnten oder wollten die Urlauber ebenso wenig Auskunft geben wie sein Anwalt, bei dem Schill seit seinem Abtauchen aus Deutschland im Herbst 2004 gemeldet ist.
Dennoch scheint der frühere Amtsrichter nun demonstrieren zu wollen, dass er zurück ist. Mit Riesenschritten stürmt er in die Kanzlei seines Anwalts, der bereits ein Programm für den Nachmittag vorbereitet hat: erst Geld holen, dann Passfotos machen und anschließend neue Reisepässe beantragen. Gleich zwei, »weil es beispielsweise die Amerikaner nicht gern sehen, wenn man einen kubanischen Stempel im Pass hat«, sagt Schill und schaut, als gäbe er Dorfjungs Nachhilfe in Sachen weltmännisches Reisen.
»Sag mal, mein lieber Ronald, wie geht's Corinna?«, fragt der herbeigeeilte Fotograf der »Bild«-Zeitung in kumpelhaftem Ton. »Kein Kommentar«, sagt der »liebe Ronald« und feixt, sichtlich froh, dass ihn jemand nach seinem Verhältnis zur Ex-Frau von Udo Jürgens fragt, mit der ihn mehr als Freundschaft verbinden soll. Einem Frauenschwarm die Frau auszuspannen gilt in Schills Kreisen womöglich als Ehre.
Doch die Schürzenjagd ist für den Senator a. D. an diesem Nachmittag kein Thema. Er sei aus ernsten Motiven zurückgekommen, betont der Mann, den Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 2003 feuerte, weil er gedroht hatte, Details über dessen Homosexualität publik zu machen. Schill beabsichtigt, »ein paar Wochen lang die Ohren aufzuhalten - weil ich herausfinden will, ob die Leute für meine politischen Inhalte noch empfänglich sind«.
Karin Schmidt, die in der Itzehoer Fußgängerzone ein Tabak- und Zeitschriftengeschäft führt, ist empfänglich. Deshalb hat Schill-Anwalt Fischer auch ein Treffen arrangiert. Die Presseleute sollen sehen, dass Schill noch immer als Volkstribun taugt. Den Klagen der Frau über die zunehmende Konkurrenz im Zeitungsgeschäft durch Bäckereien hört er kurz zu.
Dann greift er sich eine Zeitung, in der über Beusts Programm für die Bürgerschaftswahl im Februar berichtet wird, zeigt auf das Bild des Ersten Bürgermeisters, der seit kurzem auch Präsident des Bundesrats ist, und sagt: »Nur weil ich ihn zum König gekrönt habe, ist er nun zum zweitmächtigsten Mann Deutschlands geworden. Das mit dem Bundesrat hat er aber mit mir nicht abgesprochen.«
Das klingt wie ein Scherz. Aber Schill meint es ernst, schließlich hat er im sonnigen Rio Zeit gehabt nachzudenken. Vielleicht aber war die Sonne auch einfach zu stark für einen norddeutschen Kopf. Ohne ihn, räsoniert Schill, wäre die Republik heute eine andere.
Sein »größter Fehler« sei gewesen, mit seiner rechtskonservativen Schill-Partei an der Bundestagswahl 2002 teilgenommen zu haben: »Ich bin daran schuld, dass Edmund Stoiber nicht Kanzler wurde, denn hätte er meine 0,8 Prozent Stimmen bekommen, wären diesem Land drei weitere qualvolle Jahre Rot-Grün erspart geblieben. So gesehen bin ich auch schuld an Angela Merkel und ihrer Koalition des Stillstands.«
Seine tragische Prominenz nützt Schill im Itzehoer Rathaus wenig. Den von ihm gewünschten Expressreisepass - einen, der binnen drei Werktagen vorliegt - gibt es nur in den Amtsstuben der nahe gelegenen Gemeinde Horst. Dort dürften in der kommenden Woche Polizisten auf ihn warten, um ihm eine Vorladung für jenen Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft zu überreichen, der die skandalösen Zustände in einem geschlossenen Heim für Jugendliche erhellen soll.
Sollte er auch dann nicht erscheinen, könnte ein Teil seiner Ruhestandsbezüge (rund 1400 Euro pro Monat) gekappt werden, wie Thomas Böwer droht, der SPD-Obmann im Ausschuss: »Das Hamburgische Senatsgesetz räumt diese Möglichkeit bei disziplinarischem Fehlverhalten ein.«
Lieber aber wäre Böwer ein anderes Szenario: Schill kommt, sagt aus, und es ergeben sich erhebliche Widersprüche zu den Einlassungen des Ersten Bürgermeisters von Beust. Für einen solchen Fall sieht das Untersuchungsausschussgesetz eine direkte Gegenüberstellung der beiden Kontrahenten vor.
»Vielleicht ist Schill ja deshalb zurückgekommen«, orakelt sein Anwalt Fischer, »um vor den Wahlen im Februar noch einmal deutlich zu machen, wer wofür steht - warten Sie es ab.« GUNTHER LATSCH
* Oben: nach seinem Einzug in die Hamburger Bürgerschaft beider Wahl 2001; unten: am vergangenen Donnerstag im ItzehoerRathaus.