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PRESSE Schaum ab

William S. Schlamm, seit sieben Jahren rechter Federführer im Hause Springer, darf seine Kolumne in der »Welt am Sonntag« nicht mehr schreiben, weil Redakteure »von dieser Dreckschleuderei runter« wollten.
aus DER SPIEGEL 50/1971

Im Jahre 1929 entfernte Österreichs radikalste Partei-Zeitung, die kommunistische »Rote Fahne«, ihren langjährigen Leitartikler -- weil er allzu links war.

Im Jahre 1971 verabschiedete Deutschlands radikalste Springer-Zeitung, die antikommunistische »Welt am Sonntag«, ihren populären Kolumnisten -- weil er gar zu rechts ist.

Einst wie jüngst flog ein und derselbe: William S. (laut Amtsregister: Siegmund) Schlamm, 67, in der Schweiz lebender gebürtiger Galizier amerikanischer Nationalität, seit fünf Jahrzehnten Exponent des Extremen.

Als Chefredakteur der »Roten Fahne« scheiterte Schlamm, nachdem er, so ein ehemaliger Kollege, mit »wildem Ehrgeiz, exzentrischer Eitelkeit, Überheblichkeit und Rechthaberei« alle Genossen verprellt hatte.

Seine Kolumne in der »Welt am Sonntag« ("WamS") verlor Schlamm nun letztlich wegen solcher Wesensart. von der er, trotz gewandelter Weltschau, nicht gelassen hat: Der nach Meinung eines »WamS«-Mannes »entsetzliche, dazu phantasielose Hetzer« mußte -- abermals -- gehen, weil Kollegen es so wollten.

Durch ein knappes Bulletin der Springer AG --

Im Einvernehmen zwischen der Chefredaktion von »Welt am Sonntag« und Herrn William S. Schlamm wird dessen wöchentliche Kolumne in »Welt am Sonntag, eingestellt. William S. Schlamm bleibt dem Verlagshaus Axel Springer freundschaftlich verbunden.

-- wurden freilich die wahren Umstände des Schlamm-Stopps eher verhüllt als erhellt. Denn die Freundschaft der »WamS«-Redaktion hatte Schlamm längst verloren. »Von der Dreckschleuderei«, umschrieb ein Redakteur die Differenzen, »wollen wir runter.« Schleudern durfte »Schlamm am Sonntag« (SPD-Fraktionschef Herbert Wehner) sieben Jahre lang fast ungehindert: Der allwöchentlich im Bild präsentierte Brillen- und Fliegenträger, dessen Meinung »sich nicht in jedem Fall mit der Meinung der Redaktion« deckte ("WamS«-Fußnote) genoß die Gunst »meines Freundes Axel Springer«.

Für ein »formelles« Wochen-Honorar von 500 Mark (Schlamm: »Die wirklichen Ziffern liegen wesentlich höher") setzte der Sonntagsschreiber in der »WamS« fort, was er in den fünfziger Jahren auf Vortragsreisen« mit Artikeln und Büchern begonnen hatte. Der Ex-Stalinist und Ex-Pazifist verteufelte Linke wie Liberale ("Wir meinen es ernst! Wir sind McCarthyisten!") und pries den Krieg als Mittel der Politik -- die Verteidigung des »westlichen Anspruchs auf Osteuropa« war ihm immerhin »700 Millionen Menschenleben« wert (siehe Kasten Seite 49).

in der »Welt am Sonntag« giftete der Roll-back-Propagandist seit 1965 mit derselben Schnoddrigkeit (Schlamm: »An Chuzpe war ich von niemandem zu übertreffen"), derentwegen sich der Hamburger »Stern« nach vier Jahren von ihm getrennt hatte: Chefredakteur Henri Nannen warf seinem Star-Schreiber, der laut Gerichtsbeschluß »Demagoge« genannt werden darf, öffentlich Mangel an »persönlichem Anstand in der Politik« vor und segnete zum Abschied: »Friede seiner Masche.«

In Frieden publizierte der Kriegsfreund fortan bis 1970, als -- nach einem Wechsel in der Blattleitung -- der neue »WamS«-Chef Claus Jacobi sich gelegentlich mit ihm anlegte. Doch noch stand Polit-Missionar Springer fest zu seinem Freund, obgleich -- oder weil -- »dieser Rabulist, dieses Ekel, dieser Randalierer und Kauz« von seinem gleichfalls jüdischen Schriftsteller-Kollegen Robert Neumann in die Nähe jener Juden gestellt wird, »die Nazis geworden wären, wenn sie gedurft hätten«.

Zum Eklat kam es erst letzten Monat, als Schlamm unmittelbar nach der Friedensnobelpreis-Verleihung an den Bonner Kanzler eine Kolumne vorlegte, in der ausgiebig von Willy Brandts norwegischer Exil-Vergangenheit die Rede war; just in diesem Kontext beklagte Schlamm, daß Willy Brandt im September einmal von journalistischen »Schreibtischtätern« gesprochen hatte.

Als erster protestierte »WamS«-Politikchef Siegmar Schelling (vormals beim rechtskatholischen »Rheinischen Merkur") bei Vize-Chefredakteur Alexander Rost (früher: »Die Zeit") gegen Schlamms jüngste Schreibtischtat. Rost beschloß, in Abwesenheit des auf Urlaub weilenden »WamS«-Chefs Warnfried Eneke, die Kolumne nicht zu drucken, und beendete jäh einen heftigen telephonischen Wortwechsel mit Schlamm: »Mit Ihnen diskutiere ich nicht.

Danach schickte Schlamm, wie er versichert, einfach »keine Kolumnen mehr«, sondern beschwerte sich in »privaten Briefen« bei Axel Springer. In Hamburg drohten -- was Springer später dementieren ließ -- derweil Schelling und Rost sowie die leitenden Redakteure Axel Thorer ("Nachrichten") und Paul C. Martin ("Wirtschaft") mit ihrer Kündigung für den Fall, daß Schlamm weiterhin schreiben dürfe. Chefredakteur Encke, zurück aus den Ferien, bemerkte, daß kein einziger Redakteur Partei für den Kolumnisten ergriff, und setzte sich an die Spitze der Protest-Bewegung.

Springer reagierte rasch: Mit Rücksicht auf das Funktionieren »einer gewissen Arbeitshierarchie« (Schlamm) ließ er seinen Freund fallen, der 1969 noch als möglicher Nachfolger des »Welt«-Chefredakteurs Herbert Kremp vorgemerkt war. Ein »WamS«-Redaktionsmitglied: »Wir haben uns verkniffen, Sekt zu trinken, aber in der Redaktion herrschte Bärenstimmung.«

Um den rechten Kurs seiner »WamS« braucht sich Springer gleichwohl nicht zu sorgen. Denn ein Teil der Redakteure störte sich wohl an Schlamms Schreibe, ist aber von seiner politischen Position nicht klafterweit entfernt. Einer der -- in Sachen Schlamm mit Redeverbot belegten -- »WamS«-Macher erläuterte den kleinen Unterschied: »Der muß sich den Schaum abwischen. bevor er schreibt.«

Schlamm will im Schaum-Geschäft bleiben. Derzeit bemüht er sich von seinem Wohnsitz Lugano aus um eine neue publizistische Plattform. Die Realitäten sind ihm, allen Anschein nach, noch immer nicht nähergerückt. Schlamm letzte Woche: »Ich wäre durchaus bereit, wenn die Herren Augstein und Gaus mich einladen, meine Kolumne künftig im SPIEGEL zu veröffentlichen.«

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