RUNDFUNK Schecks aus Übersee
Westberlins Rundfunkräte kehrten vor der eigenen Tür: Sie empfahlen dem Intendanten Walter Steigner, zwei renommierte Mitarbeiter des Senders Freies Berlin (SFB) zu feuern. Chefredakteur und Fernseh-Presseconferencier Rolf Menzel sowie stellvertretender Chefredakteur und »Vor unserer eigenen Tür«-Autor Matthias Walden hatten Geld genommen.
Die Schecks kamen aus Übersee. Ihre Annahme, meinte der Rundfunkrat, vertrage sich nicht mit der preußischen Korrektheit, die in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalt zu herrschen habe.
Schon einen Tag nach dem öffentlichen Verdikt sah sich SFB-Chef Walter Steigner genötigt, Spekulationen zu dementieren, nach denen die Abberufung seines Chefredakteurs politische Hintergründe hat. Diese Behauptung war von dem Hamburger Nachrichtendienst »Nordpress« verbreitet und von der Tagespresse bereitwillig aufgenommen worden, zumal einträgliche Rundfunk-Pfründen heutzutage häufig nach politischen Gesichtspunkten verteilt und auch wieder entzogen werden.
»Nordpress« hatte angedeutet, Menzel sei nur deshalb über den Dollar -Scheck gestolpert, weil er als Promoter des SPD-Kanzlerkandidaten Brandt zu betrachten sei.
Die »Deutsche Zeitung« schrieb: »Sollte es sich herausstellen, daß wieder einmal versucht wurde, politisch unliebsame Persönlichkeiten unter einem Vorwand 'abzuschießen', dann wäre das ... der unerfreulichste Aspekt der ganzen Angelegenheit.«
»Die Welt« vermutete gar, daß »Nordpress« als rächender Arm der Bundesregierung fungiert habe, und verwies auf die Tatsache, daß sich Menzel dem Bonner Wunsch widersetzt hatte, drei englandfeindliche Sätze des Kanzlers aus einem Fernseh-Interview zu streichen (SPIEGEL 36/1962).
Nun beschränkte sich der Verdacht, parteipolitische Querelen seien die Abschußursache, keineswegs auf den Abgang des sozialdemokratisch orientierten Chefredakteurs Menzel. Matthias Walden, ein in Ostberlin vielgeschmähter Ulbricht-Feind, hatte sich den Unwillen westdeutscher Militärs zugezogen: In seiner dreiteiligen Fernsehsendefolge »Vor unserer eigenen Tür« hatte Walden dem süßen Leben früherer einflußreicher Nationalsozialisten in der Bundesrepublik nachgespürt.
SFB-Intendant Steigner indes leugnete politische Hintergründe: »Derartige Überlegungen sind mir unbekannt.« Steigner, selbst Sozialdemokrat, hatte den Fall Menzel vielmehr vor den Rundfunkrat gebracht, weil er keine andere Möglichkeit sah, sich seines Chefredakteurs, der ihm aus vielerlei Gründen untragbar erschien, zu entledigen.
Kaum nämlich war Walter Steigner im März 1961 vom Leiter des NDR -Funkhauses Hannover zum Chef im vormaligen Reichsrundfunkgebäude an der Berliner Masurenallee avanciert, da erkannte er schon, daß die hemdsärmeligen Arbeitsmethoden Menzels das Betriebsklima gefährdeten.
Steigner heute: »Menzel hat seine Verdienste. Er ist ein guter Journalist, aber kein Chefredakteur.«
Der neue Intendant hatte zunächst gehofft, er werde Menzel auf gütlichem Wege zum Stellungswechsel bewegen können. Als er in der Weihnachtszeit 1961 erstmals von Menzels Dollargeschäften erfuhr, schien ihm die Gelegenheit günstig.
Menzel hatte bei dem Berliner Vertreter der amerikanischen National Broadcasting Corporation (NBC) vorgefühlt, ob die Amerikaner für zwei - vorn SFB kostenlos überlassene - Fernsehaufzeichnungen ein Anerkennungshonorar an den deutschen Autor Matthias Walden zahlen würden.
Der SFB-Chefredakteur stieß auf Verständnis. Ohnehin gewohnt, von ausländischenSendern keine Geschenke anzunehmen, erklärten sich die Amerikaner nicht nur bereit, die Urheberrechte des SFB-Angestellten Walden mit 1600 Mark abzugelten, sondern auch ihrem Berliner Kontaktmann Menzel eine Provisionsgebühr gleicher Höhe zu überweisen.
Dieser Betrag dünkte die Amerikaner angemessen, da sie ihre Geschäfte mit dem SFB seit Jahren über Chefredakteur Menzel abgewickelt hatten.
Menzel nahm das Geld, obschon er weder an den Walden-Sendungen mitgearbeitet noch die Genehmigung seines Intendanten eingeholt hatte.
Am 27. Dezember 1961 ließ Intendant Steigner seinen Chefredakteur zu sich bitten und legte ihm nahe, das Amt zur Verfügung zu stellen. Steigner: »Wir philosophierten miteinander, und Menzel war schließlich bereit, sein Rücktrittsgesuch einzureichen.«
Menzel bat um Entlassung, zumal ihm Steigner mehrere interessante Offerten machen konnte. Steigner: »Der Korrespondent in London stand zur Diskussion, auch eine Verwendungsmöglichkeit in Washington oder New York.«
Damit Menzel wenigstens das Wörtchen »Chef« weiter als Titel führen konnte, einigten sich Steigner und der Gestrauchelte schließlich auf den Posten eines Chefkorrespondenten, der dem geschaßten Chefredakteur ausgedehnte Reisen ermöglichen sollte.
Da jedoch bis Ende Juli noch kein Nachfolger für ihn gefunden war, fühlte sich Menzel ermutigt, sein Entlassungsgesuch wieder zurückzuziehen.
Nun sah Steigner, der bis dahin gehofft hatte, den Fall ohne öffentliches Aufsehen zu erledigen, keinen Ausweg mehr. Er unterbreitete die Angelegenheit dem Berliner Rundfunkrat, der die sofortige Amtsenthebung des Chefredakteurs verfügte.
Einmal im Zuge, wollten die Rundfunkräte auch gleich den Autor der beiden Sendungen, Chef-Stellvertreter Matthias Walden, feuern. Sie übersahen, daß Waldens Vertrag mit dem SFB die Honorierung urheberrechtlicher Ansprüche des Autors zuläßt.
Ein nachträglich eingeholtes Rechtsgutachten ergab denn auch, daß gegen Walden nicht einmal der Vorwurf der Fahrlässigkeit erhoben werden kann. Eine Woche nach dem Skandal bestätigte der Vorsitzende des Rundfunkrats, der Berliner Zentralbankpräsident Dr. Franz Suchan, in einer persönlichen Ehrenerklärung Waldens Integrität.
Suchan: Nach Prüfung des Gutachtens sei die Forderung auf Abberufung des stellvertretenden Chefredakteurs Walden nicht mehr gerechtfertigt. Steigner: »Walden glaubte richtig zu handeln, weil die Zahlung von seinem Vorgesetzten Menzel genehmigt worden war.«
Was Steigner durch unauffällige Beilegung des Falles Menzel hatte vermeiden wollen, blieb ihm nunmehr, dank des durch Menzel erzwungenen Eklats, nicht erspart: Die SED-Presse titulierte die beiden in der Zone weithin bekannten SFB-Agitatoren als »kriminelle Betrüger«. Frohlockte die (Ost-) »Berliner Zeitung": »Nun sind also zwei von den faulen Eiern aus der Giftküche SFB ... geplatzt. Geblieben ist der Gestank, den sie hinterließen.«
Daß Menzel trotz Amtsenthebung auf eine gute Auslandsposition beim SFB zählen kann, verdankt er nicht ausschließlich seinen journalistischen Qualitäten. Steigner: »Der Tatbestand war in diesem Fall strafrechtlich nicht zu erfassen. Eine Kündigung aber hätte sicherlich zu einem langwierigen Arbeitsgerichtsverfahren geführt.«
Menzel fuhr Ende vorletzter Woche in Urlaub, ohne sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Die 1600 Mark Maklergebühr der NBC überwies er dem Deutschen Roten Kreuz.
SFB-Intendant Steigner
Geht einer?
Geschaßter SFB-Chefredakteur Menzel: Provision ans Rote Kreuz
Rehabilitierter SFB-Autor Walden
Ehrenerklärung nach dem Eklat