Zur Ausgabe
Artikel 30 / 48

Briefe

SCHEIDEWEG
aus DER SPIEGEL 30/1961

SCHEIDEWEG

Es dürfte Ihnen bekannt sein, welcher Mißbrauch heute mit dem Begriff »Zerrüttung der Ehe« getrieben wird, denn jeder Anwalt, dessen Mandant außerstande ist, sein Scheidungsbegehren auf ausreichende Gründe zu stützen, plädiert auf »völlige Zerrüttung« der Ehe... Ich darf daher feststellen, daß trotz Ihres Gezeters nicht nur die Änderung des Paragraphen 48 des Ehegesetzes, sondern die Erschwerung der Ehescheidung überhaupt eine Notwendigkeit geworden ist.

Düsseldorf ARNOLD GRÜNBERG

Mit der Änderung des Paragraphen 48 des Ehegesetzes soll nicht der verlassene (weibliche) Partner geschützt, sondern das katholische Prinzip der Unlösbarkeit der Ehe auch der nichtkatholischen Allgemeinheit aufgezwungen werden.

Berlin-Wannsee DR. WALDEMAR KIRSTEN

Auch Scheidungsurteile werden »im Namen des Volkes« gesprochen. Die Grundlage der »allgemeinen sittlichen Anschauung« wird jedoch genauso zweifelhaft wie das sogenannte »gesunde Volksempfinden«, wenn eine Minderheit oder eine Institution bestimmt, was allgemein sittlich ist. Die Anwendung lebens- und zeitfremder Dogmen in der Rechtsprechung, die nachträglich auf Betreiben kirchlicher Institutionen auch gesetzlich sanktioniert werden, schaffen unüberbrückbare Gegensätze zwischen Gesetzesmoral und allgemeiner Moral. Ohne jeden Zweifel ist das Ehe- und Scheidungsrecht reformbedürftig; aber nur, weil eine dem Traditionalismus verhaftete Justiz in ihrem Wust von Paragraphen das Recht nicht mehr sieht.

Berlin-Charlottenburg G. B. ZELEWSKI

Bei der Untersuchung des Scheidungsrechts und der Scheidungspraxis kam der im Rechtsausschuß des Bundestags vertretene SPD-Abgeordnete Karl Wittrock zu dem Ergebnis, daß der Gesetzgeber vor der Jahrhundertwende viel fortschrittlicher gedacht hat als die Bonner Kämpfer einer Ehe um jeden Preis. Wittrock verwies auf

die Paragraphen 1575 und 1576* des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900: »Bereits das BGB von 1900 gab also dem allein- oder überwiegend schuldigen Ehegatten das Recht auf Scheidung, wenn der andere Ehegatte das dauernde Getrenntleben verlangte, also selber die eheliche Lebensgemeinschaft wiederherzustellen ablehnte.«

Hannover BERT HELMHOLZ

Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« meldete, daß man das Gewissen der katholischen Richter nicht habe strapazieren wollen. Der Laie ist der Ansicht, daß, wer sein Gewissen strapaziert fühlt, einen anderen Beruf ergreifen möge. Daß im übrigen das Gewissen deutscher Richter reichlich strapazierfähig ist, beweist ein Fall, der vor einiger Zeit durch die Gazetten ging: In Hildesheim waren Großvater, Großmutter, Mutter und Kind in dunkler Stube versammelt. Eifrig füllten sie leere Wein- und Bierflaschen mit Wasser. Dann warteten sie auf die Rückkehr von Papa. Als er eingeschlafen war, schlugen sie ihm den Schädel ein. Von den Richtern wurden sie freigesprochen, und niemand brachte die Angelegenheit vor die höhere Instanz, insbesondere zum Bundesgericht. Es ging auch keine Nachricht durch die Zeitung, daß der Bischof von Hildesheim diese Art der Ehescheidung mißbilligt hätte.

Bonn DR. PETER CREMER

Den vernünftigen Zeitgenossen läßt der Streit über das Eherecht kalt. Er heiratet nicht.

München KARLHEINZ LANG

* Paragraph 1575: Der Ehegatte, der auf Scheidung zu klagen beabsichtigt, kann statt Scheidung auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft klagen. Beantragt der andere Ehegatte, daß die Ehe, falls die Klage begründet ist, geschieden wird, so ist auf Scheidung zu erkennen.

Paragraph 1576: Ist auf Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft erkannt, so kann jeder der Ehegatten auf Grund des Urteils die Scheidung beantragen, es sei denn, daß nach der Erlassung des Urteils die eheliche Gemeinschaft wiederhergestellt worden ist.

Wittrock

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 48
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren