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Artikel 35 / 70

Scheidung auf italienisch

2. Fortsetzung
aus DER SPIEGEL 13/1967

Am Nachmittag des 3. September 1943 unterzeichnete der italienische General Giuseppe Castellano im Namen seiner Regierung in einem alliierten Zeltlager auf Sizilien die Waffenstillstandsbedingungen der Anglo-Amerikaner und damit die bedingungslose Kapitulation Italiens, die am Tage der Invasion bekanntgemacht werden sollte.

Zur selben Stunde dieses 3. September empfing Italiens Regierungschef Badoglio den neuen deutschen Botschafter in Rom, Dr. Rudolf Rahn, und versicherte, daß er auch weiterhin eine Politik der Loyalität im Sinne des Achsenbündnisses führen werde.

Badoglio feierlich: »Ich bin Marschall Badoglio, der Marschall Badoglio! Das Mißtrauen der deutschen Regierung mir gegenüber ist unbegreiflich! Ich habe mein Wort gegeben, und ich stehe zu meinem Wort!«

Rahn wurde auch von König Viktor Emanuel empfangen, und er erinnert sich: »Am Ende unserer Unterredung betonte der König seinen Entschluß, den Kampf an Deutschlands Seite bis zum Ende zu führen, denn Italien sei mit Deutschland auf Leben und Tod verbunden.«

Am nächsten Tag, während Castellano nach Tunesien flog und in der Nähe von Eisenhowers Hauptquartier bei Karthago Quartier bezog, um den Alliierten bei der Vorbereitung der Invasion

Aus dem Buch »Verrat auf italienisch«, das im Molden-Verlag, Wien, erscheint. gegen sein Land behilflich zu sein, beteuerte auch der italienische Generalstabschef Ambrosio dem deutschen Botschafter, daß er »den festen und aufrichtigen Entschluß« hege, »den gemeinsamen Kampf weiterzuführen

Und der italienische General Roatta gab dem deutschen Befehlshaber in Süditalien, Feldmarschall Kesselring, sein Wort als Soldat, daß Italien nicht die Absicht habe, mit den Alliierten einen Separatfrieden zu schließen -- übrigens am gleichen Tag, an dem er von Ambrosio erfuhr, daß der Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten (an einem noch unbestimmten Tag) verkündet werde, wenn auch nicht vor dem 12. September. Die Verlautbarung sollte zur Zeit einer alliierten Luftlandung bei Rom erfolgen.

Auf diesen »Tag X« bereitete sich das Comando Supremo bereits vor: Die Operationskommandos zu Lande, zu Wasser und in der Luft wurden umgruppiert« ein Netz von Geheimsendern wurde ausgebaut, und General Carboni konnte das Oberkommando dazu bewegen, den Befehl »O. P. 44« herauszurücken.

Dieser höchst geheime Befehl, den die Adressaten durch Boten erhielten und in deren Gegenwart unverzüglich zu verbrennen hatten, enthielt detaillierte Angaben über die deutsche Schlachtordnung und wies die einzelnen Kommandanten an, auf Befehl aus Rom ganz bestimmte Aktionen gegen die Deutschen zu unternehmen und in unvorhergesehenen Situationen nach eigener Initiative zu handeln.

General Roatta prüfte die Pläne und gelangte zu der Überzeugung: Sollten die Alliierten nicht in unmittelbarer Nähe Roms an Land gehen, könnten die italienischen Truppen vor dem 12. September auch nichts ausrichten. Der Munitionsvorrat vieler Divisionen reichte nur für Feuer von zwanzig Minuten und ihr Treibstoffvorrat nur für hundert Kilometer.

So entwarf Roatta am Abend des 6. September eine Note an Castellano. Der italienische Unterhändler sollte die Alliierten ersuchen, die Verlautbarung des Waffenstillstands auf den 15. September zu verschieben.

Roattas Kurier, Major Alberto Briatore, landete am 7. September, 17.30 Uhr, auf dem Flugplatz von Karthago. Castellano holte ihn ab. Briatore erzählte dem General, daß er ihm Dokumente von größter Wichtigkeit einzubändigen habe, aber Castellano lächelte nur und sagte: »Gut, doch wir wollen zuerst essen.«

Während des Essens erinnerte der Kurier Castellano daran, daß er Wichtiges mit ihm zu besprechen habe. Castellano sagte: »Ich weiß, aber ich habe dringende Angelegenheiten zu erledigen und muß zu einer Konferenz im alliierten Hauptquartier. Ich sehe Sie morgen.«

Am Morgen des 8. September erfuhr Briatore endlich, was vor sich ging: Der Waffenstillstand sollte bereits an diesem Tag verkündet werden.

Auftragsgemäß wollte Briatore nun den Alliierten klarmachen, daß die Italiener im Raum Rom unbedingt Luftunterstützung brauchten, und zwar durch Luftangriffe in dem Augenblick, in dem der Waffenstillstand verkündet würde.

Doch er kam nicht dazu: Aus einem unerklärlichen Grund wollte Castellano offenbar nicht, daß die Deutschen um Rom zu diesem Zeitpunkt angegriffen würden.

General Carboni folgerte später: Im Laufe des 6. September muß in den höchsten Kreisen des Comando Supremo etwas geschehen sein, worüber er im unklaren gelassen wurde und auch Roatta nur teilweise informiert war.

Besonders Generalstabschef Ambrosio verhielt sich an diesem Tag höchst sonderbar Er schloß sich mit seinem persönlichen Sekretär( dem Major Marchesi, zwei Stunden lang -ein. Danach suchte er Badoglio auf. Dann befahl er Carboni, die Befehlsgewalt über seine Truppen niederzulegen und sich ausschließlich seinen Pflichten als Chef des Geheimdienstes zu widmen. Und dann reiste er nach Turin ab.

Die Dokumente, die unlängst freigegeben wurden, enthüllen den großen Betrug:

Major Marchesi war am Morgen des 5. September aus dem Hauptquartier der Alliierten in Nordafrika nach Rom zurückgekehrt und hatte einen persönlichen Brief Castellanos an Ambrosio mitgebracht. Laut Carboni: ein Avviso. daß die Alliierten nicht in der Nähe Roms, sondern nur im Raum von Salerno landen würden.

Jedenfalls suchte Ambrosio sofort Badoglio auf. Dann entwarf er ein geheimes Memorandum. das den Stabschefs zugestellt wurde und sie anwies, den Deutschen zur Kenntnis zu bringen, daß italienische Truppen nicht gegen die Deutschen kämpfen und auch nicht gemeinsame Sache mit den Alliierten machen würden.

Und dann wurde Roatta von Badoglin aufgetragen, Castellano unverzüglich eine Antwort zukommen zu lassen. Darin sollte er den Alliierten klarmachen, wie unvorbereitet die Italiener waren, daß die Deutschen einen Angriff von sechs alliierten Divisionen im Gebiet Salerno abwehren könnten und als frühesten Termin für den Waffenstillstand den 15. September vorschlagen.

Später waren die Verschwörer darauf aus, derartige Berichte abzuleugnen, Freilich: Anderenfalls hätten sie zugeben müssen, schon am 6. September geplant zu haben, Rom nicht zusammen mit den Alliierten gegen die Deutschen zu verteidigen -- sondern beide Seiten zu betrügen und zu verraten, zwischen beiden durchzuschlüpfen und so die eigene Haut zu retten.

Mittlerweile hegten die Alliierten auch Zweifel, ob die Italiener ihre Operationen tatsächlich unterstützen würden.

General Matthew Ridgway, Kommandeur der 82. Luftlandedivision, die nach Eisenhowers Plänen in der Nacht des 8. September im Raum von Rom niedergehen sollte, sagt in seinen Memoiren: »Ich fühlte, daß die Italiener ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten oder wollten.«

Ridgway-Vize General Maxwell Taylor fand es gleichfalls zu riskant, die Division nach Rom zu. schicken, ohne die. Gegend ausgekundschaftet zu haben. Er beschloß, sich zusammen mit seinem Nachrichtenoffizier Oberst William Gardiner von Italienern nach Rom schmuggeln zu lassen*.

Am 7. September um 2 Uhr früh verließen die beiden in einem britischen Torpedoboot Palermo.

Taylor, damals 42, ein hochgewachsener schlanker Westpointer, trug Khakihemd, Fallschirmjägerhosen, Schnürstiefel und eine automatische Pistole bei sich, eine kleine italienische Beretta. Der zehn Jahre ältere Gardiner, der zweimal Gouverneur von Maine gewe-

* Später, bei der Invasion in der Normandie, betrat Taylor als erster alliierter General französischen Boden: An der Spitze seiner 102. Luftlandedivision sprang er im Morgengrauen des 6. Juni 1944 über der Halbinsel Cotentin ab. Nach dem Kriege wurde Taylor Stadtkommandant in Berlin, Oberbefehlshaber im Fernen Osten, Stabschef der Armee und Vorsitzender der Generalstäbe. Nach Meinungsverschiedenheiten mit Präsident Eisenhower trat er 1959 vorzeitig ab und schrieb das Buch »Und so die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer wird sich zum Streite rüsten?«. Präsident Kennedy berief ihn 1961 zu seinem Sonderberater. 1964 ging er für ein Jahr als Botschafter nach Saigon. Seit 1965 ist er Fernost-Berater Präsident Johnsons.

sen war, trug die normale Uniformbluse und hatte einen 45er Colt. Beide hatten 70 000 Lire in der Tasche.

In der Morgendämmerung erreichte das Torpedoboot die Insel Ustica, 60 Kilometer nördlich von Sizilien. Dort begegnete es der italienischen Korvette »Ibis«. Taylor und Gardiner stiegen um, und die »Ibis« nahm Kurs auf Gaeta, 120 Kilometer südöstlich von Roms Um 16.30 Uhr sichteten sie den Leuchtturm von Kap Orlando. --

Um beim Hafenpersonal keinen Verdacht zu erregen, benahmen sich Taylor und Gardiner wie Kriegsgefangene; deren Flugzeug über dem Meer abgeschossen worden war. Ihr Haar war zerzaust, ihre Krawatten saßen schief, ihre Uniformen waren mit Wasser bespritzt.

Neugierige italienische Seeleute hörten und sahen, wie die beiden grob angelassen und an den Docks entlanggetrieben wurden. Hinter ihnen gingen zwei italienische Offiziere; jeder trug einen kleinen Koffer, doch die beiden wußten nicht, daß die Koffer einen Geheimsender und einen entsprechenden Empfänger bargen.

Taylor und Gardiner wurden in ein Auto gedrängt und in eine enge, verlassene Nebenstraße außerhalb des Hafens gebracht. Dort stiegen sie in einen Ambulanzwagen um. Über die Via Appia fuhr das Krankenauto in Richtung Hauptstadt. Am Fuß der Albaner Berge begegnete es einer kleinen Gruppe deutscher Infanteristen.

Um 22 Uhr hielt das Auto vor dem Palazzo Caprara, an der Ecke der Via Firenze und der Via XX Settembre, wo der Generalstab der Armee seinen Sitz hatte.

In einem der oberen Stockwerke wurden zwei große getäfelte Räume in Schlafzimmer verwandelt. Neben den Schlafzimmern befanden sich zwei geräumige Badezimmer in Marmor und Silber. Taylor bat um eine sofortige Unterredung mit General Carboni. Doch obwohl Taylor betonte, daß sie in großer Eile seien, wurden die amerikanischen Offiziere höflich ersucht, erst mal Platz zu nehmen und es sich schmecken zu lassen. Und es folgte ein Dinner mit sieben Gängen und »Crêpes Suzette«.

Um 23 Uhr erschien Carboni. Obgleich seine Mutter Amerikanerin war, reichte sein Englisch nicht aus, kompliziertere technische Details zu besprechen. Er hatte einen Dolmetscher mitgebracht, unterhielt sich zeitweise mit Taylor aber auch französisch.

Taylor bat zunächst um die Erlaubnis, die Landeplätze für seine Division besichtigen zu dürfen. Er wollte sichergehen, daß die Flugplätze nicht im Feuerbereich der Deutschen lagen.

Carboni antwortete, ein Flugfeldbesuch sei keine so einfache Sache, denn in der Nähe der Flugfelder seien überall deutsche Truppen stationiert. Er schlug vor, man solle die Amerikaner am Morgen verkleiden und sie dann zu den Flugplätzen führen.

Darauf Taylor: »Morgen wird meine Division mit der Landung beginnen, und zwar auf fünf verschiedenen Flugplätzen rund um Rom. Ich muß also noch in dieser Nacht feststellen, ob die Operation durchführbar ist, damit ich den Befehl vor Anbruch der Morgendämmerung durch den Geheimsender bestätigen oder aber widerrufen kann. Niemand hat uns etwas von der Anwesenheit deutscher Truppen auf den Flugplätzen gesagt, und niemand hat die Schwierigkeiten erwähnt, mit denen die technische Inspizierung der für uns so wichtigen Punkte verbunden ist.«

»Es muß ein Mißverständnis vorliegen«, sagte Carboni. »Soviel ich weiß, sollen die Luftlandeoperationen mit den Landungen von See her zeitlich zusammenfallen. Morgen ist der 8., und Sie haben sich verpflichtet, nicht vor dem 12. zu landen. Wenn Ihre Truppen früher kommen, könnten wir uns in die Lage versetzt sehen, auf sie feuern zu müssen.«

Taylor begann, im Raum auf und ab zu gehen »Ich muß darauf hinweisen, daß wir uns mit keinem Wort verpflichtet haben, am 12. zu landen. Sie jedoch haben sich verpflichtet, den Waffenstillstand im Augenblick unseres Angriffs bekanntzugeben.«

Carboni bat Taylor, sich -- zu setzen. »Wir sehen uns einem großen Mißverständnis gegenüber, das sich für uns alle als Katastrophe erweisen könnte. Ich kann Ihnen auf mein Ehrenwort als Soldat versichern, daß wir in Rom im besten Glauben und in aller Loyalität Ihnen gegenüber gehandelt haben. Wir haben jedoch Sämtliche Maßnahmen in dem Glauben getroffen, daß Ihre Truppen nicht vor dem 12., ja vielleicht sogar erst am 15. September an Land gehen, damit wir alles perfekt vorbereiten können. Unser Abgesandter, General Castellano, hat uns so und nicht anders informiert.«

»Aber General Castellano hat uns nichts Derartiges gesagt!« rief Taylor. »Wer ist dieser Castellano, den ihr uns geschickt habt und der uns in diesen Schlamassel hineinmanövriert hat!« Nun war sowohl Carboni als auch Taylor klar, daß entweder Castellano einen falschen Eindruck von den Absichten der Alliierten gewonnen hatte oder daß jemand im alliierten Lager seine eigenen Wege gegangen war.

Carboni war betroffen. Er betonte, daß er in dieser kurzen Zeit wahrscheinlich nicht in der Lage sein würde, seine Truppen rechtzeitig zur Verteidigung aufmarschieren und die Nachrichteneinrichtungen montieren zu lassen. Jeder vorzeitige Versuch, auf den Flugfeldern rund um Rom zu landen, würde die Deutschen alarmieren und Kesselring seinen vorbereiteten Angriff starten lassen.

Nachdem Taylor und Gardiner die Darstellung der mißlichen Lage vernommen hatten, waren sie von der Sinnlosigkeit, ihre Luftlandedivision einzusetzen, überzeugt. Taylor beschloß, die Operation abzusagen: »Wir müssen sofort mit Ihrem Generalstabschef, General Ambrosio, sprechen.«

Verlegen mußte Carboni zugeben, daß Ambrosio nicht in Rom sei. Taylor wechselte mit Gardiner einen verwunderten Blick, dann sagte er irritiert: »Aber er wurde doch informiert, daß wir heute noch ankämen! Dann müssen wir eben mit Marschall Badoglio sprechen.« Nun war es bald Mitternacht.

Carboni verließ das Zimmer, um in der Villa Badoglios anzurufen. Zunächst lehnte das Hauspersonal es ab, den Schlafenden zu stören, doch dann willigte es ein. Carboni rief auch Ambrosios Stellvertreter, General Rossi, an und teilte ihm mit: »Taylor sagt, daß der D-Tag morgen ist -- am 8.«

Als Taylor und Gardiner die Limousine Carbonis bestiegen, heulten die Sirenen in der verdunkelten Stadt. Carboni lenkte den Wagen. An jeder Straßenkreuzung mußte er anhalten und auf sein Rangabzeichen deuten, um passieren zu können. Nur unter Schwierigkeiten erreichten sie die Luxusvilla Badoglios.

Die Halle war im Schutz der Verdunkelungsvorhänge festlich erleuchtet. Eine Garnitur von Kronleuchtern warf ihr Licht auf gemeißelte Nymphen und auf eine Fülle von Trophäen, die einst den Palast Halle Selassies, des Kaisers von Äthiopien, geschmückt hatte -- einschließlich seines Thronsessels. Aus dem Schlaf geweckte Stabsoffiziere liefen im Pyjama bin und her. Taylor und Gardiner wurden in Badoglios Privatbüro geleitet und allein gelassen. Carboni ging zum Marschall.

Badoglio war in seinem Schlafzimmer und eben im Begriff, in Pyjama und Morgenrock zu den beiden Amerikanern hinüberzugehen. Zum erstenmal sah Carboni den greisen Marschall im Negligé. Er fand: »Ein demoralisierender Anblick. Der Marschall hatte einen kahlen Schädel, einen langen, runzeligen. gelben Hals und glasige Augen ohne Brauen. Seiner Uniform entblößt, sah der Marschall mit seinen schmalen Schultern wie ein alter Vogel aus, der die Federn verloren hatte und gerade gekocht werden sollte.«

»Exzellenz«, sagte Carboni, »Sie können sich so nicht vor amerikanischen Offizieren blicken lassen. Sie sind doch ein Marschall von Italien; Bitte, ziehen Sie sich an.«

»Ich wollte sie nicht warten lassen«, murmelte Badoglio.

Während der Marschall Anstalten machte, sich korrekt zu bekleiden, sagte Carboni: Die Alliierten haben weniger Truppen, als wir annahmen. Sie fürchten, daß, wir gegen sie kämpfen könnten. Daraus müssen wir Kapital schlagen. Machen Sie den beiden begreiflich, daß wir uns gezwungen sehen, unsere Streitkräfte gegen sie aufmarschieren zu lassen, wenn sie den Waffenstillstand vorverlegen.« Dann begab er sich in das Büro des Marschalls und unterhielt sich mit den Amerikanern.

Nach einigen Minuten erschien Badoglio in einem dunkelgrauen Anzug und schüttelte den Amerikanern die Hand. Er ließ sich theatralisch hinter einem großen Schreibtisch nieder, befahl Carboni, sich neben ihn zu stellen, und fragte Taylor beiläufig, ob der Waffenstillstand verschoben werden könne, um die Luftlandung zu ermöglichen.

Taylor. antwortete: Er glaube, das sei sehr schwierig.

Badoglio erklärte, es sei keine Rede davon, daß die unterschriebenen Waffenstillstandsbedingungen nicht eingehalten würden, es handele sich einfach um eine Verschiebung. »Wenn ich den Waffenstillstand verkünde und die Amerikaner schicken nicht genügend starke Truppen und landen auch nicht in der Nähe Roms, dann besetzen die Deutschen die Stadt und setzen eine faschistische Marionettenregierung ein. Der Marschall griff sich an die Kehle: »Die Deutschen werden mir den Hals abschneiden.«

Taylor erwiderte dem Marschall kühl: »Sie scheinen mehr Angst vor den Deutschen als vor den Alliierten zu haben. Doch vergessen Sie nicht, daß wir Ihre Städte verwüsten können -- auch Rom.«

Tränen in den Augen, hob der Marschall die Hände:« Aber warum solltet ihr das tun? Wir sind doch eure Freunde, wir wollen euch doch nur helfen!«

Es wurde beschlossen, über Taylors Geheimsender eine Botschaft an Eisenhower zu schicken und ihn zu bitten, die Verkündung des Waffenstillstands und die Landung zu Wasser und aus der Luft um ein paar Tage zu verschieben.

Der von Badoglio geschriebene Text lautete: »Badoglio erachtet Luftlandung am 8. als unmöglich, bittet um einige Tage Aufschub, damit Operation vorbereitet werden kann. Er versichert alliiertem Kommandanten Zusammenarbeit und Loyalität. Bittet um Rückbeorderung Taylors, um Alliierte über die Situation zu informieren.«

Taylor entwarf eine weitere Botschaft:« Mit Hinblick auf Marschall Badoglios Erklärung, daß es unmöglich sei, den Waffenstillstand zu verkünden und Flugplätze zu sichern, ist »Giant Two« unmöglich. Badoglio bittet Taylor, zurückzufliegen, um Ansichten· der Regierung darzulegen.«

Nachdem die Botschaften abgefaßt waren, sprach der Marschall von seiner Soldatenehre und schwor, daß er nicht die Absicht habe, die Alliierten zu hintergehen.

Dann brachte Carboni die Amerikaner zurück in den Palazzo Caprara. Während der Fahrt sagte Taylor: »Hoffen wir, daß wir Eisenhower in guter Stimmung antreffen -- oder es ist um Italien geschehen.«

Als sie allein in ihrem Zimmer waren, sprachen Taylor und Gardiner nur noch im Flüsterton miteinander und vermieden es sorgfältig, Stunde und Ort der alliierten Landung zu erwähnen, aus Angst, es könnten Mikrophone im Zimmer versteckt sein.

Am nächsten Morgen schickte Taylor einen weiteren Funkspruch an Eisenhower:

»Zusammenfassend die von den italienischen Behörden bestätigte Lage: Die Deutschen haben 120 000 Mann im Tibertal. Panzer-Grenadier-Division zählt 24 000 Mann. Die Deutschen stellten die Lieferung von Treibstoff und Munition ein, so daß die italienischen Divisionen tatsächlich immobil sind und nur für einige Stunden Munition haben. Diese Mängel machen die erfolgreiche Verteidigung Roms und die unserer Luftlandedivision versprochene Unterstützung unmöglich. Letztere ist zur Zeit hier unerwünscht, denn ihr Eintreffen würde einen unmittelbaren Angriff auf Rom zur Folge haben.«

Kurz darauf bat Carboni den Amerikaner um Einzelheiten der alliierten Hauptlandung, und Taylor enthüllte dem Italiener, daß die Landungen nicht weiter nördlich als bei Saferno stattfinden würden. Carboni fragte nach der Landung, die in der Nähe Roms erfolgen sollte, und Taylor erwiderte, er könne bezüglich einer solchen Landung nichts sagen, weil er nie davon gehört habe.

Kurz vor Mitternacht beschloß Taylor, Eisenhower eine dritte Nachricht zu senden: »Lage hoffnungslos.« Das bedeutete nach dem Code des Hauptquartiers, daß die Luftlandung endgültig abgesagt werden sollte. (Die Mannschaften waren gerade im Begriff, in ihre mit laufenden Motoren bereitstehenden Maschinen zu steigen, als die Botschaft General Ridgway erreichte. Der General spielte zu dieser Zeit mit seinem Stabschef nervös Karten und konnte eben noch verhindern, daß die Maschinen aufstiegen.)

Im Laufe des nächsten Vormittags traf General Ambrosio aus Turin, wo er »familiäre Angelegenheiten« wahrgenommen hatte, wieder in Rom ein. General Rossi holte ihn vom Bahnhof ab, informierte ihn über die· Ereignisse und zeigte ihm die Kopien der Telegramme. Und obwohl Ambrosio mit Taylor und Gardiner hätte sprechen können, tat er es nicht. Er unterhielt sich mit Carboni und Roatta und machte ganz den Eindruck, als ob er daran glaubte, daß der Waffenstillstand um ein paar Tage verschoben würde.

Zu Mittag suchte Carboni den Minister für den königlichen Haushalt auf. Acquarone war ungewöhnlich nervös. »Dieser Castellano hat alles durcheinandergebracht«, sagte er und schlug vor, Carboni solle mit Taylor nach Nordafrika fliegen und Eisenhower und dem ganzen alliierten Stab die Lage auseinandersetzen.

Aber Carboni sagte, er könne seine Truppen in einem so heiklen Augenblick unmöglich ohne Kommandeur lassen. »Wenn Taylor rechtzeitig in Tunis eintrifft«, so meinte er, »wird er Eisenhower sicherlich überzeugen können.«

»Dann lassen wir ihn fliegen«, sagte Acquarone.

Um 14 Uhr traf vom alliierten Hauptquartier ein Funkspruch ein, der die Italiener ermächtigte, Taylor in Begleitung eines italienischen Offiziers nach Tunis zu schicken, damit er die Lage kläre. Zum Begleiter Taylors wurde Ambrosios Stellvertreter, General Rossi, bestimmt.

Um 16 Uhr waren Taylor und Gardiner startbereit. Und genau in dem Augenblick, in dem sie den Wagen bestiegen, um zum Flugplatz zu fahren, wurde Carboni zu Badoglio beordert.

Carboni erkannte Badoglio nicht wieder, der Marschall schien einen Kollaps zu haben. Er hatte soeben auf seinen ersten Funkspruch die Antwort erhalten. Sie lautete:

»Ihrem Verhalten entnehme ich, daß Sie nicht bereit sind, sich an die Vereinbarungen zu halten. Ich habe beschlossen, den Waffenstillstand heute um 18.30 Uhr zu verkünden. Folgen Sie meinem Beispiel. Eisenhower.«

Unverzüglich setzte Badoglio eine Mitteilung an Eisenhower auf. Er bat ihn, bis zum Eintreffen Taylors und Rossis zu warten, und murmelte immer wieder vor sich hin: »Wir sind ruiniert.«

Als Carboni den Marschall verließ, bat er dessen Neffen, dem alten Herrn doch etwas zu trinken zu geben, »sonst schafft es der Marschall nicht bis zum Palast«. Denn der König hatte soeben den Kronrat einberufen.

Um 17 Uhr flogen Taylor, Gardiner und Rossi endlich ab. Bei Sonnenuntergang trafen sie in Tunis ein. Sie begaben sich sofort in das Hauptquartier Eisenhowers und setzten dem Oberbefehlshaber in Anwesenheit Castellanos die Vorteile einer Verschiebung des Waffenstillstands auseinander.

Eisenhower hörte zu, dann sagte er: »Auch wenn ein Fehler gemacht wurde, müssen wir die Situation jetzt hinnehmen, wie sie ist.«

Als Rossi Eisenhower entgegenhielt, die Alliierten handelten nur deshalb so, weil sie den Italienern nicht trauten, sagte der alliierte General: »Bis vor zwei Stunden waren wir noch Feinde -- wie könnten wir euch trauen?«

Währenddessen trat im Quirinal in Rom der Kronrat zusammen. Als erste trafen Marineminister Raffaele de Courten und Luftfahrtminister Renato Sandalli ein. Als Carboni kam, hörte er, wie die beiden über Ambrosio und Castellano fluchten. Badoglios Gesicht erschien ihm »aschgrau, gespenstisch«.

Der König saß an einem langen ovalen Tisch. Badoglio nahm zu seiner Rechten Platz, Außenminister Guariglia zu seiner Linken. Niemand sprach. Alle warteten auf die Worte des Königs.

Viktor Emanuel richtete sich auf und sagte: »Wie die Herren wissen, haben die Anglo-Amerikaner beschlossen, den Waffenstillstand um vier Tage vorzuverlegen.« Dann wandte er sich an Badoglio. Aber der Marschall war außerstande zu sprechen. Er nickte nur Ambrosio zu. Der stand auf und berichtete -- mit schwacher Stimme -, daß das Comando Supremo einen Waffenstillstand mit den Alliierten ausgehandelt habe. Die Alliierten, bestünden jedoch darauf, den Waffenstillstand vorzeitig zu verkünden.

Der König blickte auf Guariglia. Der Außenminister erhob sich, stützte die Hände auf den Tisch und sagte mit angstvoller Stimme: »Diese Verhandlungen waren ein Irrtum. Wenn wir den Waffenstillstand nicht ablehnen, ist Italien ruiniert.« Der König bedeutete Guariglia, er möge sich setzen.

Nun stand Kriegsminister Sorice auf und begann: »Ich glaube nicht, daß wir den Waffenstillstand ablehnen können. Aber ich glaube auch nicht, daß uns die Alliierten das Recht streitig machen, auf einer Verschiebung zu beharren.«

Carboni stimmte Sorice zu, daß der Waffenstillstand nicht abgelehnt werden könne -- doch müsse man den Deutschen irgenwie glaubhaft machen, daß der Waffenstillstand gar nicht angenommen wurde! Wenn es den Italienern gelänge, den Deutschen eine Ablehnung vorzutäuschen, dann könnten sie genügend Zeit gewinnen, um sich gegen die deutsche Übermacht zu verteidigen. Wenn nötig, so meinte Carboni, solle das Kabinett Badoglio diesem Ziel geopfert werden.

In diesem Augenblick betrat Major Marchesi den Raum. Alle blickten auf ihn. Der Major verlas eine Note Eisenhowers, die gerade eingetroffen war:

»Ich beabsichtige, den Waffenstillstand zur geplanten Stunde bekanntzugeben. Wenn Sie oder eine Ihrer bewaffneten Einheiten nicht, wie vereinbart, mit uns zusammenarbeiten, werde ich der Welt die Vorgeschichte der ganzen Angelegenheit zur Kenntnis bringen.«

Die Drohung war offensichtlich. Eine solche Verlautbarung würde sofort zu Racheakten der Deutschen gegen Italien führen. Der König fragte, oh noch jemand etwas zu sagen habe. Carboni erhob sich und wollte reden. Doch der König brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen und sagte mit leiser Stimme: »Es steht eindeutig fest, was wir zu tun haben.« Damit schloß er den Kronrat.

Genau um 18.30 Uhr gab Eisenhower der Welt bekannt: »Die italienische Regierung hat für ihre bewaffneten Streitkräfte um Waffenstillstand gebeten, und ich in meiner Eigenschaft als Oberster Befehlshaber gewährte ihr militärische Waffenstillstandsbedingungen. Die italienische Regierung verpflichtete sich, sich diesen Bedingungen vorbehaltlos zu unterwerfen. Die Feindseligkeiten werden sofort aufhören, Italien erhält Hilfe und Unterstützung von den Vereinten Nationen, um die deutschen Unterdrücker von Italiens Boden zu vertreiben.«

Um 19.45 Uhr gab Badoglio mit bedrückter Stimme im Rundfunk bekannt, (laß Italien von den Alliierten Waffenstillstandsbedingungen erhalten habe. In bezug auf die Deutschen vermied er jedoch jede eindeutige Stellungnahme. Seine Rede endete doppeldeutig: »Jede -feindliche Aktion gegen die anglo-amerikanischen Streitkräfte seitens der italienischen Streitkräfte ist überall sofort einzustellen. Doch müssen diese auf jeden Angriff von jeder anderen Seite reagieren.«

Nach Badoglio sprach der König. Er sagte, der Waffenstillstand sei nur deswegen zustande gekommen, weil die Alliierten zu stark wären, Darüber, ob man gegen die Deutschen kämpfen werde, sagte er kein Wort.

Gegen Abend dieses 8. September trat Roatta in Monterotondo, einer kleinen Stadt 25 Kilometer nordwestlich von Rom -- in der sich nun das Hauptquartier des Generalstabs der italienischen Armee befand -, mit Kesselrings Stabschef General Westphal zusammen, um die Bildung einer gemeinsamen Front gegen die alliierte Landung von See her zu besprechen.

Westphal bat um Erlaubnis, die deutsche 3. Panzer-Grenadier-Division in südlicher Richtung in Marsch setzen zu dürfen. Roatta willigte widerstrebend ein, bat aber, die Division möge einen 20 Meilen breiten Streifen nördlich von Rom nicht vor Tagesanbruch durchqueren.

Mitten in der Unterhaltung wurde der deutsche General zum Telephon gebeten und davon unterrichtet, daß die Alliierten im Rundfunk den Waffenstillstand mit Italien verkündet hatten. Verblüfft bat Westphal Roatta um eine Erklärung. Mit bemerkenswerter Geistesgegenwart ließ Roatta seinen Stabschef Zanussi kommen und fragte ihn, ob er die Nachricht gehört habe. Zanussi zeigte das gleichgültige Gesicht eines Pokerspielers und schüttelte den Kopf.

Roatta nahm seinen Kneifer von der Nase und blickte dem Deutschen treuherzig in die Augen: »Diese Sendung ist eine freche Lüge der britischen Propaganda.« Westphal machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen. Sobald er den Raum verlassen hatte, packten Roatta und Zanussi ihre Sachen. In der Halle flüsterte Roatta seinem Stabschef zu: »Wir sitzen fein in der Scheiße.«

Mit seiner Frau und seiner neunzigjährigen Mutter machte Roatta sich in Richtung Rom auf. In einer Ortschaft Im alliierten Hauptquartier in Nordafrika. kurz vor der Hauptstadt unterbrach er die Reise, um seine Familie in Sicherheit zu bringen. Dann genoß er ein gutes Abendessen.

Der König tat genau das gleiche. Nachdem er im Quirinal kalt gespeist hatte, ließ er sich zum Obersten Befehlshaber sämtlicher italienischer Streitkräfte ernennen und verließ den Palast in Begleitung der Königin durch eine Seitentür. Viktor Emanuel war in einen langen Mantel gehüllt, der ihm bis zu den Knöcheln reichte, dazu trug er eine kleine runde Mütze. Hinter dem Monarchen marschierten Prinz Umberto und einige Mitglieder des königlichen Haushalts mit Koffern und Kisten.

Im Halbdunkel nahm die königliche Gesellschaft Kurs auf ein Gebäude an der Via Napoli, von dem man sagte, daß dort der tiefste Luftschutzkeller zu finden sei -- das Kriegsministerium.

Der König und seine Familie wurden in einem düsteren Appartement im Halbstock untergebracht, das durch einen langen engen Korridor von den anderen Gebäudeteilen getrennt war. Vor der Tür standen zwei Gardekavalleristen Wache, sie hatten hohe Helme auf und schwarze Stiefel an, in den Händen hielten sie blanke Säbel.

Badoglio war schon etwas früher im Kriegsministerium eingetroffen, um im privaten Speisezimmer des Ministers ein ausgezeichnetes Abendessen einzunehmen. Nun zog er sich in sein improvisiertes Schlafzimmer »in den Räumen des Chef de cabinet zurück.

Ambrosio ließ sich eine Treppe tiefer nieder.

Rund um das Gebäude, in den anschließenden Straßen und den kleinen Parks, hielt eine Kompanie der »Sassari«-Division mit Panzern Wache.

General Carboni begab sich, nachdem der Kronrat beendet war, sofort in sein Hauptquartier im Palazzo Caprara. Dort ließ er den wachhabenden Offizier kommen und befahl, daß der Waffenstillstand bekanntgegeben werde. Dann ordnete er Alarmbereitschaft an und teilte seinen Offizieren mit, daß sie möglicherweise gegen die Deutschen zu kämpfen haben würden.

Mit seinem Sohn, einem Leutnant der Kavallerie, aß Carboni zu Abend. Als Chef des Geheimdienstes hatte der General seinen Sohn einige Wochen lang dazu benutzt, um mit den Führern der verschiedenen antifaschistischen Parteien Kontakt zu halten. Mit einigen dieser Führer hatte er vereinbart, deren Leute mit Waffen zu versorgen, sobald es zu Kämpfen mit den Deutschen käme.

Zehn Tage zuvor hatte das »Zentralkomitee der Nationalen Front« beschlossen, mit allen ähnlichen Komitees in ganz Italien zusammenzuarbeiten, »mit allen bekannten Organisationen der Arbeiterklasse, mit der Armee und mit anderen bewaffneten Einheiten, um bei Entfesselung einer direkten Aktion gegen· die Deutschen ihrer Hilfe sicher zu sein

Nun gab Carboni seinem Sohn den Auftrag, mit der Verteilung der Waffen zu beginnen.

Kurz vor 22 Uhr ging Carboni in sein Geheimdienstbüro. Um herauszufinden, was die Deutschen im allgemeinen, zu tun gedächten, schickte er seinen Adjutanten, Oberleutnant Lanza, In die Deutsche Botschaft. Lanza kehrte zurück und berichtete, daß der deutsche Stab gerade dabei sei, seine Koffer zu packen und geheime Dokumente zu verbrennen.

Offensichtlich erwarteten die Deutschen einen alliierten oder sogar einen kombinierten alliiert-italienischen Angriff. Sie waren so nervös und durch die Proklamation des Waffenstillstandes so verblüfft, daß der deutsche Militärattaché, General von Rintelen, Carbonis Adjutanten Lanza an seine langjährige Freundschaft mit Carboni erinnerte und ihn um Schutz anflehte, damit er heil aus der Stadt entkommen könne.

Um 22.30 Uhr erhielt Carboni. von Ambrosio den Befehl, unverzüglich Bericht zu erstatten. Carboni meldete, daß er, da er von Roatta keinen Befehl erhalten habe, seine Truppen auf eigene Initiative in Alarmzustand versetzen ließ. Ambrosio schien sehr bekümmert: »Wir müssen sehr sorgfältig disponieren, es darf uns nicht untergeschoben werden, daß wir die Angreifer waren.«

Carboni meinte, es würde sich wohl kaum feststellen lassen, wer bei Nacht den ersten Schuß abgefeuert habe; und wer es auch gewesen sei, die Deutschen würden auf jeden Fall die Italiener beschuldigen.

Ambrosio fragte, was Carboni über die mögliche deutsche Reaktion dachte. Carboni: »Wenn die italienischen Truppen in ganz Italien feste Haltung zeigen, dann kann es sein, daß die Deutschen abziehen.« --

Ambrosio dachte nach, dann sagte er: »Erlassen Sie Befehle, daß die Deutschen unsere befestigten Punkte frei passieren dürfen, wenn sie nicht feuern.«

In seinem Hauptquartier erkannte Carboni, wie gefährlich ein solcher Befehl sei, und versuchte, Badoglio zu erreichen. Aber dessen Sohn Mario sagte ihm, sein Vater schlafe und dürfe nicht gestört werden. In diesem Augenblick wurde Carboni zum König beordert.

Carboni traf den Monarchen in einem kleinen Salon. Viktor Emanuel lag auf einem Sofa wie zusammengeschrumpft da. In einem hohen Sessel neben ihm saß die Königin, einen Arm schützend um die Schultern des Gemahls gelegt.

Der König richtete sich auf und stellte Carboni der Königin vor. Auch die Königin erhob sich und fragte stotternd, ob es wahr sei, daß die Deutschen das Feld räumten. Carboni antwortete, dies stimme, sofern man das Botschaftspersonal meine.

»Carboni«, sagte der König, »wenn die Deutschen Rom angreifen, werden unsere Truppen kämpfen?«

»Meiner eigenen Truppen bin ich ganz sicher, Majestät. Sie werden bis zum Schluß kämpfen, besonders gegen die Deutschen.«

»Aber Sie haben, soviel ich weiß, wenig Munition.«

»Wir sind ganz auf uns selbst gestellt. Majestät wissen, was ich in den letzten Monaten getan habe, um eine Lösung herbeizuführen. Ich werde meine Bemühungen fortsetzen.«

»Dann gehen Sie«, sagte der König. »Schnell.«

Als Carboni der Königin die Hand küßte, ergriff der König seinen Arm: »Wir sind in Ihren Händen, Carboni.«

Carboni ging in sein Hauptquartier im Palazzo Caprara zurück. Sein Weg führte ihn über die Via XX Settembre, und er bemerkte, daß der Palast von den Panzerwagen der »Sassari« umzingelt war. Aber die Wagen standen so nahe beieinander, daß sie manövrierunfähig waren; die Leute hätten im Ernstfall gar nicht feuern können. Carboni ordnete daher eine bessere Aufstellung an.

Als er in seinem Hauptquartier anlangte, war beinahe Mitternacht. Kurz darauf platzte sein Stabschef mit der Meldung herein: »Die Deutschen werden entlang der Divisionslinie der »Granatieri« angegriffen!«

Carboni eilte zu Roatta. Er traf ihn am Schreibtisch unter einem Ölbild Mussolinis an. Roatta sah bekümmert drein, er hatte gerade die Meldung über ein abgefangenes Telephongespräch zwischen General Westphal und dem deutschen Auswärtigen Amt erhalten: Kesselrings Stabschef berichtete nach Berlin, daß die deutschen Fallschirmjäger die Italiener entwaffneten.

Aus dieser Nachricht folgerte Roatta, daß die Deutschen sich nicht mit sporadischen Aktionen zufriedengeben würden, sondern einen bereits vorhandenen Plan auszuführen gedachten. »Wir müssen unsere Truppen unterstützen«, sagte Roatta, »müssen Verstärkungen hinschicken, wo immer sie benötigt werden.«

Um ein Uhr morgens kehrte Carboni in sein Büro zurück. Er meinte, es sei höchste Zeit, den Befehl »O. P. 44« zu erteilen, damit die italienischen Truppen im ganzen Land gegen die Deutschen vorgingen. Über mehrere Stationen wurde Ambrosios Meinung eingeholt. Ambrosio wollte aber nicht selbst entscheiden, sondern weckte Badoglio. Als er vom Marschall zurückkam, erklärte er, daß Badoglio die Zeit für den Befehl noch nicht für gekommen halte.

Und nun erließ Ambrosio einen Befehl mit der Numer 24202, eine Order des Comando Supremo, die besagte, »daß »feindliche Handlungen gegen die Deutschen zu unterbleiben haben«.

Sodann ordnete Ambrosio in seiner Eigenschaft als Generalstabschef an, daß Roatta als Armeestabschef die Verteidigung der Hauptstadt zu übernehmen habe. Doch Roatta. der bereits Zivil angelegt hatte, antwortete, es sei unmöglich, die Stadt längere Zeit zu verteidigen. Er empfahl dem Comando Supremo, sich entlang der Tiburtina so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen, sonst würde es umzingelt und gefangengenommen werden.

Ambrosio und Roatta suchten Prinz Umberto auf und berichteten ihm: Die Deutschen greifen in breiter Front an -- vom Südwesten mit Kräften, die zwei Fallschirmjägerdivisionen entsprechen, verstärkt durch Panzereinheiten, vom Norden ebenfalls auf einem breiten Streifen mit Kräften, die einem starken Panzerkorps entsprechen, unterstützt von mobilen Panzereinheiten und Sturzkampffliegern. Der Prinz nickte.

Kurz darauf betrat das Trio die Gemächer Badoglios. Sie eröffneten dem Marschall, die Lage sei hoffnungslos, sie seien umzingelt und könnten unmöglich bis zum »Eintreffen der Alliierten aushalten. Der einzige noch offene Fluchtweg für den König führe in die Abruzzen, entlang der Tiburtina via Tivoli.

Schläfrig stimmte Badoglio zu, den König zu wecken, und schlug vor, sich unverzüglich auf die Flucht zu begeben, um nicht in deutsche Gefangenschaft zu geraten.

Viktor Emanuel erschien unwillig, ließ sich jedoch überzeugen. Er ordnete an, daß der Kronprinz, der Regierungschef, der Generalstabschef, der Armeestabschef und die drei Minister der Armee, der Marine und der Luftwaffe ihm in die Berge folgen sollten.

Nachdem Ambrosio die zur Flucht notwendigen Befehle erteilt hatte, ließ er Innenminister Umberto Ricci kommen und beauftragte ihn, als Vizepräsident des Ministerrats in Rom zu bleiben. Aber Ricci beschwerte sich darüber, daß man ihn nicht einmal über die Waffenstillstandsverhandlungen informiert hatte, lehnte den Auftrag ab und demissionierte an Ort und Stelle.

Inzwischen war Carboni zu Roatta beordert worden. Roatta saß an seinem Schreibtisch und kritzelte mit seiner Feder auf einem Schreibblock. Als Carboni eintrat, fragte er: »Können Sie Ihre Divisionen augenblicklich in Marsch setzen?«

»Warum?« fragte Carboni.

»Wir können uns in Rom nicht mehr länger verteidigen. Man hat uns gefangen wie die Maus in der Falle. Hier haben Sie einen Befehl, Ihre Divisionen nach Tivoli zu verlegen.«

»Und was wollen Sie, daß ich unternehme?«

Roatta runzelte die Stirn: »Ich weiß es noch nicht. Lassen Sie eine Division an der Seite der Straße auf marschieren. Sie soll bereit sein, ostwärts vorzustoßen. Dann wollen wir weitersehen. Sie erhalten in Tivoli neue Befehle. Kontrollieren Sie die Kasernen der Carabinieri und die Straße, die nach Avezzano führt.«

»Wann verlassen Sie Rom?«

»Der König ist schon auf dem Weg, in seiner Begleitung sind Badoglio und Ambrosio.«

»Wollen Sie mir keinen schriftlichen Befehl geben?«

»Nicht nötig.« Roatta dachte einen Augenblick nach. Dann händigte er Carboni das Papier aus, auf dem er gekritzelt hatte: »Hier. Das ist ein offener Befehl. Füllen Sie ihn später selbst aus.«

Dann sah Carboni nur noch, wie Roatta schnell die große Treppe des Palazzo hinuntereilte.

Als Carboni den Zettel mit Roattas Befehl seinem Stabschef gab, um ihn daraus einen ordentlichen Armeebefehl machen zu lassen, wies der darauf hin, daß Roatta eine östliche Marschrichtung festgesetzt hatte, also weg von den Deutschen, statt einer westlichen, den Deutschen entgegen.

»Das muß ein Irrtum sein«, sagte Carboni. »Formulieren Sie es so: Richtung Tal.«

Der Morgen des 9. September dämmerte.

Im Hintereingang des Kriegsministeriums, der auf die Via Napoli führte, wartete der König in der Uniform des Obersten Befehlshabers sämtlicher italienischer Streitkräfte. Darüber trug er einen Regenmantel. In der Hand hielt er einen alten Koffer.

Im Hof, zwischen einigen Panzer- und Munitionswagen, stand Viktor Emanuels Privatlimousine, ein Fiat 2800. Bevor der Monarch in den Wagen stieg, zögerte er. »Ich bin ein alter Mann«, murmelte er, »was können sie mir schon tun?«

Nervös beteuerte Badoglio, daß die Regierung an einen sicheren Ort gebracht werden müsse.

Also willigte der König ein. Er, Königin Elena und der Adjutant Puntoni bestiegen den Wagen.«

Kurz vor 5 Uhr steuerte der Fahrer das schwere Auto hinaus auf die Straße. Auf dem rechten Kotflügel flatterte die azurblaue Standarte des Königs und Kaisers.

Als Ambrosio und Badoglin auf ihre Büros zugingen, sagte der Generalstabschef: »Ich gebe noch einige Befehle, bevor ich aufbreche. Sie wollen doch das gleiche tun, nehme ich an.«

Badoglin bejahte, schüttelte dann aber den Kopf und sagte: »Nein, ich breche gleich auf.«

Als der Prinz von Piemont in Badoglios Wagen stieg, sah der alte Mann sehr niedergeschlagen aus. Er schüttelte den Kopf und murmelte: »Was für ein Spektakel

Es herrschte immer noch Halbdunkel, als der Wagen. des Prinzen dem seines Vaters folgte. Dann fuhr eine Gruppe von kleinen Armeewagen an. In ihnen saßen Ambrosio, Roatta, die Minister der Marine und der Luftwaffe sowie einige Offiziere vom Comando Supremo und vom Generalstab -- alle in Zivil.

Gegenüber dem Ministerium standen Soldaten auf der Straße. Einige grüßten die Herren in den anfahrenden Autos, andere behielten die Hände in den Taschen und sahen finster zu, wie ihre obersten Chefs sich auf die Flucht begaben.

Als der Konvoi -- im ganzen sechzig Wagen -- Rom verließ und zwischen den Hügeln immer höher kletterte, fuhren frostige Windstöße über die Landschaft.

Umberto erinnert sich, daß Badoglio. der Zivilkleidung trug, sichtbar zitterte.

Der Prinz zog seinen Waffenrock aus und legte ihn dem Marschall um die Schultern. Er war überrascht, als er sah. daß Badoglio die goldbestickten Revers umkehrte, damit der Rock nicht als der eines Generals erkannt werden konnte.

IM NÄCHSTEN HEFT

Der Verteidiger von Rom begibt sich zu Filmaufnahmen -- 60 Divisionen ohne Befehl -- »Retten Sie Italiens Ehre!« -- Italiens Soldaten: »Heim! Heiml« -- Badoglios Divisionen lösen sich auf-Der König erklärt Deutschland den Krieg

Peter Tompkins

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