STUDENTEN Scheine von Paris
Der »Deutsche Akademische Austauschdienst« in Bonn, Finanzier von Studienaufenthalten deutscher Studenten im Ausland, wird sein Geld nicht mehr los. »Wir rennen uns die Hacken ab«, klagt DAAD-Sprecher Gerhard Müller. »die vorhandenen Gelder werden nicht voll genutzt.«
Von den rund 608 000 Universitätsstudenten, die im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik und West-Berlin studierten, hatten nur 34 800 (gleich 5,8 Prozent) irgendwann in ihrem Studium einmal den Sprung über die Grenzen geschafft. Ein großer Teil davon wagte sich nur ins deutschsprachige Ausland vor. Und obgleich auch gemäß Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) Auslandsstudien finanziert werden, betrug der Anteil der auslandsfreudigen Bafög-Studenten nach den letzten Berechnungen des Bundesbildungsministeriums nur 5,3 Prozent.
Im Jahre 1953 gingen immerhin noch 7,8 Prozent, 9400 von den damals 120 000 Studiosi, für ein oder mehr Semester ins Ausland. Seither sank der Prozent-Anteil langsam, aber stetig -- magere Bilanz für ein politisch und wirtschaftlich weltweit verflochtenes Land.
Unter allen in dem Unesco-Handbuch »Study Abroad« aufgeführten Staaten ist die Bundesrepublik nunmehr das einzige Land, in dem der Anteil der im Ausland immatrikulierten Studenten zurückging, während etwa Frankreich, Großbritannien und die USA ihre Anteile innerhalb eines Jahrzehnts verdoppelten.
Während im vergangenen Jahr etwa die deutsche Humboldt-Stiftung, die Stipendien an frisch promovierte ausländische Wissenschaftler vergibt, 28 Prozent mehr Bewerber aus dem Ausland verzeichnete als zwei Jahre zuvor, zeigten nicht einmal genügend deutsche Anglistik-Studenten Interesse an den DAAD-Stipendien für Großbritannien und Nordamerika. Der DAAD »hätte sich weitere 50 qualifizierte Bewerber gewünscht«.
Dabei halten fast 83 Prozent aller Studenten ein Studium im Ausland grundsätzlich für angebracht -- teils einer vertieften Allgemeinbildung wegen, teils der Sprache, der fachlichen Kenntnisse und der internationalen Kontakte wegen. Immerhin noch zwanzig Prozent schmieden Auslandspläne.
Doch die wenigsten führen ihre Pläne auch aus. Die Gruppe derer, die ihre Chance am häufigsten nutzt, blieb überdies seit Kriegsende die gleiche. Der typische deutsche Auslandsstudent, so ergab eine von der Konstanzer Soziologin Hannelore Ger-Stein ausgewertete Studentenbefragung, ist nach wie vor der Werkstudent mit reichlich Eigeninitiative und verdientem Geld, der Hochbegabte und deshalb großzügig Geförderte, der streng wissenschaftlich Orientierte und vor allem auch das Kind des Bildungsbürgertums, Vater Akademiker. Gerstein-Formel: »Je höher die soziale Herkunftsschicht, desto größer das Auslandsinteresse«.«
Daß die Söhne und Töchter aus der Mittel- und Unterschicht, das Gros heutiger Studenten. den Schritt ins Ausland trotz grundsätzlich vorhandenem Interesse und ausreichender Finanzierungsmöglichkeiten (durch Bafög, DAAD, das Graduiertenförderungsgesetz und eine größere Anzahl weiterer Stipendienfonds) nicht wagen, hält die Konstanzer Soziologin geradezu für »ein typisches Verhalten« dieser Schicht: In ihrer unmittelbaren Umgebung fehle es diesen Studenten einfach an Vorbildern.
Andere gewichtigere Gründe kommen hinzu, etwa der häufig beklagte Konkurrenz- und Arbeitsdruck an den Hochschulen. »Unsicherheit und Zukunftsangst«, weiß DAAD-Müller, »sind die Grundstimmungen heutiger Studenten:«
Numerus clausus die Rückkehr iii ein deutsches NC-Fach nach einem Auslandsaufenthalt ist nicht überall garantiert -, vorgeschriebene Prüfungsfristen, bevorstehende Regelstudienzeiten, die Angst vor ständigen Neuverordnungen und die angespannte Arbeitsmarktsituation lassen vielen Studenten einen nischen und reibungslosen Studienabschluß geraten sein. Schon ein Studienplatzwechsel innerhalb Deutschlands gilt da als hinderlich.
Leicht korrigierbar wäre ein weiteres Hindernis. das schon vielen ein Auslandsstudium vermiest hat: überhöhte Anforderungen an die Sprachkenntnisse all jener, die ihr Auslandsstudium nicht selber finanzieren können.
Nach DAAD-Bestimmungen muß ein Bewerber die Sprache seines Studienlandes »so beherrschen, daß ein sinnvolles Studium möglich erscheint« -dies zum Zeitpunkt der Bewerbung, ein ganzes Jahr vor Antritt des Auslandsstudiums.
Fachleute aus dem Bundesbildungsministerium halten das für überzogen. Denn das Jahr vor Beginn des Auslandsstudiums bietet ausreichend Zeit zum Sprachenbüffeln; viele Studenten würden die Chance vermutlich nutzen,
* Hannelore Gerstein: »Das Interesse deutscher Studenten an einem vorübergehenden Studium im Ausland«. Herausgeber: Bundesminister für Bildung und Wissenschaft. Bonn: Gersbach & Sohn verlag im Kommunalschriftenverlag J. Jehle. München: 160 Seiten: 5 Mark.
wäre ihnen nur halbwegs gewiß, daß sie dann auch tatsächlich ins Ausland könnten.
Entscheidend jedoch für den Verbleib im eigenen Land sind jene Tücken, die deutsche Studenten nach Rückkehr aus dem Ausland befürchten. Denn allenthalben stellen sie fest, daß Auslandssemester zwar »sprachlich ein großer Erfolg« waren, aber »fachlich keinen Gewinn« brachten, »nicht in den deutschen Studiengang passen« oder daß, ebenso unbefriedigend, »die Scheine von Paris hier nicht immer gelten«, »das Zeugnis von Princeton manchmal nur für den Lokus taugt«.
Daß es gerade an der fachlichen und organisatorischen Eingliederung des Auslandsstudiums in die deutschen Studiengänge mangelt, ist allen Experten seit Jahren bekannt.
Doch noch immer arbeiten jene Landesämter, die für die Anerkennung ausländischer Studien- und Leistungsnachweise verantwortlich sind, »mit bürokratischer Schwerfälligkeit« (Gerstein), und längst nicht immer ist im vorhinein sicher, was dabei herauskommt: die Anerkennung von Scheinen und Prüfungen oder ein verlorenes Semester.
Solche Unsicherheit kann sich ein Bafög-Geförderter schon gar nicht leisten: Da Bafög die Höchstförderungszeit nur um ein Semester verlängert, kann die Nichtanrechnung ausländischer Prüfungen für den Studenten bedeuten, daß er die verlorenen Auslandssemester in Deutschland nachholen muß und dabei die Studienfinanzierung ausgerechnet während der Examensphase aussetzt.
In ebenso ernsthafte Bedrängnisse werden Studenten mit Auslandsneigung etwa von 1981 an geraten, wenn das vom Hochschulrahmengesetz vorgezeichnete System der Regelstudienzeiten wirksam wird. Dann steht es den Bundesländern frei, das Auslandsstudium anzurechnen oder auch nicht. Allein das letztere wäre für Studenten eine akzeptable Lösung. Aber nur drei Länder -- Nordrhein-Westfalen, Hessen und Berlin -- entschieden sich bislang eindeutig für diese Lösung.
Um ein Auslandsstudium trotz einengender Regelstudienzeiten auch künftig attraktiv zu machen, arbeiten Experten des DAAD an einem »Programmrahmen«, der den Titel »Integrierte Auslandsstudien« trägt und den fachlichen Ertrag eines Auslandsstudiums in der Tat beträchtlich erhöhen könnte.
Nach diesem Modell sollen möglichst viele in- und ausländische Universitäten untereinander zweiseitige Fachbereichsvereinbarungen treffen, wie das heute erst an wenigen Universitäten -- beispielsweise zwischen Erlangen und dem französischen Rennes im Fach Medizin -- der Fall ist. Diese Vereinbarungen sollen Studenten nicht nur fachlichen Gewinn, sondern auch die nahtlose Anerkennung der ausländischen Studienleistungen garantieren« Kernsatz des Programmrahmens": »Das integrierte Auslandsstudium ist Bestandteil des eigenen Fachstudiums und wird bei der Rückkehr an die Heimatuniversität voll anerkannt«
Ähnlich Löbliches versuchte das Bundesbildungsministerium den Bundesländern bislang vergeblich nahezubringen. Nach Meinung der Bonner müßten für Sprachstudenten zwei Auslandssemester zur Pflicht werden. Studenten anderer Fachrichtungen sollten für ein mehrsemestriges Auslandsstudium einen Bonus bei entsprechenden Prüfungen erhalten.