»Schlafwagenexpreß ins Mittelalter«
Lieber sterben als sich erniedrigen lassen«, stand in Farsi und Französisch an den Wänden des Zelts, das dem Ajatollah Chomeini in Neauphlele-Château bei Paris als Moschee diente.
Der Erniedrigung ist der 78jährige Schiiten-Führer durch seine triumphale Rückkehr nach Teheran glorreich entgangen. Am 1. Februar- fast 15 Jahre nach seiner Vertreibung durch den Schah, 16 Tage nach der Flucht des Schah -- setzte der Greis, der den mächtigsten Militärmonarchen der Welt vom 4500 Kilometer entfernten Exil aus gestürzt hatte, seinen Fuß wieder auf den Boden seines Landes.
Damit begann der zweite, vielleicht noch dramatischere, blutigere Akt des Persien-Dramas -- der Kampf um die Herrschaft über 35 Millionen Perser, um die Landbrücke zwischen Kaspischem und Arabischem Meer.
Wird dieses. Persien, das Europäern und Amerikanern zu Schah-Zeiten fälschlicherweise wie ein Brückenkopf des Westens im Orient erschien, künftig eine restaurative, wenn nicht repressive »islamische Republik« sein, wie Chomeini es anstrebt, oder der liberale Verfassungsstaat, den Bachtiar sich wünscht, oder schließlich eine ideologisch nicht faßbare Diktatur jener amerikanisch ausgebildeten Militärs, die dem anhebenden Debakel bislang Gewehr bei Fuß zusahen? Vorige Woche schien Chomeini auf der Siegesstraße -- allem Fortschritt und allen Widerständen zum Trotz.
»Wir Intellektuellen sind überrollt. Die meisten machen mit, aber nur mit der Zunge, mit dem Herzen kann das keiner, der mehr lesen und schreiben kann. Für mich ist der Chomeini-Siegeszug ein Schlafwagenexpreß ins Mittelalter«, beklagte ein in Paris zurückgebliebener Perser.
In diesen Schlafwagenexpreß des Ajatollah Chomeini, der Symbolfigur der Revolution gegen die Pahlewi-Monarchie, hatten Regierung und liberale Opposition im Iran nach gelungenem Schah-Sturz nicht mehr einsteigen wollen, und selbst die Chomeini-Berater im Exil waren sich uneins, was nun aus Persien werden solle.
Premier Bachtiar, seit Amtsantritt in zahllosen Demonstrationen als »Lakai des Schah« geschmäht, vom Ajatollah als Chef einer »illegalen Regierung« gescholten, erklärte sich entschlossen, dem Druck der religiösen Volksmehrheit nicht zu weichen: »Meine Regierung wird nicht hinweggefegt -- höchstens überwältigt.« Um dies zu verhindern, begann Bachtiar ein diplomatisches Verwirrspiel mit dem Ziel, seinen Rivalen im fernen Frankreich der Lächerlichkeit preiszugeben.
Brutaler Einsatz von Soldaten und Waffen, das wußte Bachtiar aus seinem langen Kampf als einer der Führer der Oppositionsbewegung »Nationale Front«, konnte den Widerstand der iranischen Massen nicht mehr brechen.
Wenn aber der exilierte Ajatollah durch versteckte Drohungen eingeschüchtert und heimlich an der Heimkehr gehindert würde, hätte das die Chomeini-Anhänger daheim schwer enttäuscht. Denn auch iranische Revolutionäre werden müde, wenn sie unentwegt ins Leere stoßen. Eine regierungsnahe Gegenbewegung, die sogenannten Verfassungsfreunde, hätten dann Gelegenheit gehabt, sich zu konsolidieren, um eine ernstzunehmende Stütze Bachtiars zu werden.
Erleichtert wurde Bachtiars Plan durch die feste Absicht des Ajatollah, sich nicht wie ein Dieb ins Land zu schleichen, sondern offen, mit Gepränge und Gefolge, in die Hauptstadt einzuziehen. Also galt es für Bachtiar, eine feierliche Rückkehr Chomeinis technisch unmöglich zu machen.
Aus Maschinen der »Iran Air«, die für den Ajatollah-Transport in Frage kamen, wurden deshalb elektronische Einrichtungen ausgebaut, und wenn sich dies als schwierig erwies, hielten Soldaten mal kurz mit der MP auf Fahrwerk oder Cockpit.
Öffentlich gab sich Bachtiar dabei um die Sicherheit des Ajatollah, den er als »eine hervorragende Persönlichkeit« bezeichnete, stets sehr besorgt -- eine Spur zu besorgt, denn allzuviel Aufwand um die persönliche Sicherheit Chomeinis mußte dem Ansehen des Volkshelden schaden, ihm den Nimbus der Unerschrockenheit nehmen.
Eilig ließ denn auch Chomeini verkünden, er werde auf jeden Fall zurückkehren. In Wahrheit bemerkten Beobachter in Neauphle-le-Château, daß es Chomeini plötzlich mit der Heimkehr nicht mehr ganz so eilig hatte. Seine Berater antworteten denn auch tagelang nur ausweichend und widersprüchlich auf Journalistenfragen nach dem Abflugtermin.
Unterdessen hatte Bachtiar die Flughäfen des Landes durch Panzer sperren lassen: Natürlich nicht die Rückkehr des Ajatollah, sondern »dringende Reparaturarbeiten« hätten ihn zu dieser Maßnahme gedrängt, verkündete der Premier den Iranern.
Um den Eindruck abzumildern, daß er den Ajatollah an der Heimkehr hindere, gab Bachtiar bekannt, er wolle selbst zu ihm nach Frankreich reisen -- eine Falle, in die der mehr glaubensstarke als diplomatisch gewitzte Volksheilige auch beinahe getappt wäre. Seine Berater Ibrahim Jasdi und Sadigh Ghotbsadih, fast als einzige Ajatollah-Gefährten westlicher Sprachen mächtig, informierten über das mögliche Treffen Bachtiar-Chomeini. Es hätte den Premier aufgewertet.
Schon tags darauf setzte sich eine radikalere Beratergruppe durch und veranlaßte den Ajatollah zu der Erklärung, er werde Bachtiar nur empfangen, wenn der zuvor sein Amt niedergelegt habe.
Offenbar war Chomeini nun auch des Zwistes unter den widerstreitenden Gruppen seiner Gefolgschaft müde und betrieb fortan die Heimkehr mit größerer Energie. Denn im Iran, wo er sich an das Volk direkt wenden kann, entgeht er auch am ehesten der Gefahr, Spielball seines Hofstaates zu werden.
Schon vor dem Abflug der »Air France«-Sondermaschine mit der frommen Fracht sonderte sich die Spreu vom Weizen: Hassan Nasih, einer der engsten Mitarbeiter Chomeinis, und in Neauphle-le-Château noch als künftiger Premier einer islamischen Republik genannt, hatte hektisch zu tun. So ließ er denn mitteilen, daß er den Ajatollah auf diesem Flug wegen wichtiger Angelegenheiten nicht begleiten werde. Die Maschine könne sehr wohl abgeschossen werden, fürchtete man im Stab.
In der Maschine beobachtete der mitreisende SPIEGEL-Korrespondent Volkhard Windfuhr: An Bord natürlich kein Alkohol-Ausschank. Entsetzen, als über der irakisch-iranischen Grenze ein Triebwerk aussetzte. Doch Sabotage? Aber nach dreimaligem Landeanflug schafft es die Maschine und setzt auf. Beim Empfang grinste ein Armee-Leutnant, nahm die Mütze ab, küßte demonstrativ die darauf befestigte Metallkrone seines exilierten Herrschers. Doch dann setzte sich der große Jubelzug zur Stadt in Bewegung, begleitet von Millionen Menschen.
Bachtiars Poker um Zeitgewinn hatte nichts genutzt, vor allem auch, weil die Ungeduld der iranischen Ajatollah-Anhänger nicht, wie von ihm erwartet, in Resignation umschlug, sondern in größeren Radikalismus. Waffen wurden nun auf beiden Seiten eingesetzt.
Bachtiar konnte zu diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr riskieren, Demonstranten durchs Militär zur Räson bringen zu lassen, denn längst gärte es auch in der Armee. Im Lande wurden Berichte verbreitet, nach denen kürzlich 160 oder 189 meuternde Luftwaffenoffiziere erschossen worden seien. In Teheran fiel auch auf, daß Angehörige der besonders schah- und verfassungstreuen kaiserlichen Garde unter die Angehörigen anderer Einheiten verteilt wurden: ein Gardist auf vier andere Soldaten.
Gerade rechtzeitig, um den revolutionären Eifer der iranischen Massen am Kochen zu halten, wurde in den USA der Text eines Tonbandes mit einer Rede des Schah aus der Zeit kurz vor seiner Abreise bekannt. In der Landessprache Farsi sagte demnach der Schah vor Generälen:
Indem wir Feindschaft und Haß zwischen Armee und Volk säen, wenn wir den Soldaten den Befehl zum ungehinderten Schießen und Töten erteilen, kann man diese beiden große Kräfte doch gegeneinander aufbringen. Ein so ausgelöster langer Bürgerkrieg wird uns genug Zeit lassen, Gegenmaßnahmen zu treffen, etwa durch eine Regierung, die dem Volk einigermaßen akzeptabel erscheint. Das Tonband soll von einem zu Chomeini neigenden Armeegeneral aus dem Iran herausgeschmuggelt worden sein und wurde der lokalen Fernsehstation KNXT in Los Angeles, die zur großen CBS gehört, zugespielt.
Amerikanische Stimmen-Experten erklärten, sie hätten mit Sicherheit die Stimme des Schah identifiziert. Oscar L. Tosi, Direktor des Instituts für Identifizierung von Stimmen des Staates Michigan und Vorsitzender der Internationalen Vereinigung für Stimmen-Identifizierung, war sich seiner Sache sicher: »Mit diesem Beweismittel«, so der in zahlreichen Prozessen erfahrene Experte, »könnte ich jemanden auf den elektrischen Stuhl schicken.«
Chomeinis militante Berater freilich machen nicht den Eindruck, als müsse man ihnen den Bürgerkrieg erst aufzwingen. Schon am Flughafen gaben sie an Journalisten die Parole aus: Was die Regierung nicht freiwillig gibt, holen wir uns mit Waffengewalt.
Einen Vorgeschmack auf den Bürgerkrieg erlebte Teheran am letzten Sonntag im Januar, als 3000 Demonstranten zum Sturm auf die Gendarmeriestation am 24.-Esfand-Platz ansetzten. Der Zusammenstoß wurde innerhalb von drei Stunden zum blutigen Massaker.
Obwohl der schiitische Klerus tags zuvor zum Waffenstillstand aufgerufen hatte, rückten die Proteststudenten mit Steinschleudern, Benzinbomben und vereinzelt auch Feuerwaffen gegen die Soldaten vor.
Die ersten Salven der Angegriffenen knatterten noch in die Luft. Dann wurde gezielt geschossen. Von den Dächern der umliegenden Häuser feuerten Soldaten mit Zielfernrohren in die Menge. Weil die Angreifer sich kaum um Deckung bemühten, rissen die Scharfschützen tiefe Breschen in ihre Linien. Bis zum Abend starben 35 Menschen, zwanzig weitere erlagen tags darauf ihren Verletzungen.
Ein junger Student riß im Sturmlauf einen abgehackten menschlichen Finger aus der Hosentasche, hielt ihn den Soldaten wie ein Kruzifix dem Gottseibeiuns entgegen und schrie frenetisch: »Rache, Rache, Rache!«
Bei einem Angriff gegen ein Team der US-Fernsehgesellschaft NBC wurde dem Kameramann von Agenten des Geheimdienstes Savak ein Auge ausgestochen, dem Toningenieur mit eisernen Stangen das Rückgrat gebrochen.
Spontan gegründete »Volksjustizgruppen« machen neuerdings auf den Straßen der Hauptstadt Jagd auf »Verräter«. Erstes prominentes Opfer wurde am Montag General Taki Latifi.
Eine Gruppe von jungen Leuten zerrte ihn unweit seiner Dienststelle an der Schah-Resa-Avenue aus seinem Wagen und machte ihn mit Messern und Eisenstangen nieder.
Es heißt, der General habe am Vortag den Befehl ausgegeben, auf Demonstranten zu schießen. Latifi starb wenige Stunden nach dem Anschlag im Krankenhaus. Mullahs hatten sich vergebens über ihn geworfen, um ihn vor dem Mob zu retten.