Martin Morlock SCHLAG INS WASSER
Im »Refektorium« zeugt ein umgekippter Ritterstuhl vom Bacchanal der Vornacht (es war »Hochheimer Markt"). Auf weinlaubumwobenen Gesimsen stehen Kleinplastiken, darstellend Nofretete, Till Eulenspiegel, Johann Gutenberg und eine unbekannte Militärperson, deren Silbersockel die Inschrift trägt: »Unserem Generalfeldmarschall Diether Hummel in Treue die Mainzer Prinzengarde«.
Auch eine Breitseite des Chefbüros, voll behangen mit über 400 Karnevalsorden, verdeutlicht die enge Verbindung zwischen der Herstellung von Sekt und kalendarischem Frohmut.
Diether Hummel, 57, Vorstandsmitglied der ältesten rheinischen und bis 1923 größten deutschen Sektkellerei »Burgeff & Co., Hochheim am Main«, empfängt mich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des »Verbandes Deutscher Sektkellereien e.V.« und mit der seelischen Ausgeglichenheit eines, dessen Familie dieses Ehrenamt in der dritten Generation innehat.
Einen »neuen Spuk« nennt er das Sparvorhaben der Bundesregierung, die Sektsteuer von einer Mark auf 1,50 Mark zu erhöhen, und das sind harte Worte für einen Mann, der allem Herkommen nach nicht nur der Fröhlichkeit, sondern auch der jeweils waltenden Autorität Respekt zu erweisen geneigt ist. »Bismarck«, »Blücher«, »Sedan«, auch »Asgard« und »Odin« heißen seine Keller, aus denen in stolzer Vergangenheit so Hochmögende wie die Queen Victoria und der Kaiser Friedrich ihr Leibgetränk - genannt »Sparkling Hock« oder »Vaterländischer Champagner« - zu schöpfen pflegten.
Gelabt mit einer Kostprobe »l960er Rüdesheimerberg«, lerne ich die Historie der Wechselbeziehungen zwischen solchem Perlgetränk und dem Fiskus kennen: Sektsteuer in Höhe von einer Mark wurde erstmals 1902 von Wilhelm II. zur Finanzierung seines Flottenprogramms erhoben; sie hielt sich bis 1918. Danach, vor und während der Inflation, mußte der Verbraucher 30 Prozent des Endverkaufspreises an den Staat entrichten. März 1926: Sektsteuer entfällt. Juli 1926: Sektsteuer (eine Mark) bleibt. 1933: keine Steuer mehr. 1939: Sektsteuer eine Mark. 1941: eine Mark plus zwei Mark Kriegssteuer.
1952 war es insonderheit Diether Hummel, der dem Juliustürmer Schäffer den Kriegszuschlag auszureden verstand; eine rhetorische Leistung, die, wie der Verbandsvorsitzende mutmaßt, den Sektumsatz von siebeneinhalb Millionen (1951) auf 120 Millionen Flaschen (1964) klettern ließ.
Bei Gesprächen über Steuerfragen geraten Sekthersteller leicht in Konflikte: Einerseits liegt ihnen daran, ihr Erzeugnis als nahrhaftes Volksgetränk auszuweisen, das den bürgerlichen Namen »Schaumwein« führt, andererseits soll auch der kleine Mann die werbegünstige Ideenverbindung »Frack und Claque und tolle Weiber«, die das Wörtchen »Sekt« in ihm wachruft, nicht völlig verdrängen.
Wir sprechen, obwohl mittlerweile ein 1959er »Burgeff Brut Cuvée 125« vor uns perlt, vom Schaumwein:
»Es is net wesche der fuffzisch Pfennisch, die ka sisch heutzutag jeder leiste, aber die Leut werde einfach aus Antipathie geche zusätzliche Steuern zu annere Getränk übergehe.«
Hummel, in abgeklärter Gemütslage auch des Hochdeutschen mächtig, befürchtet einen Umsatzschwund, günstigstenfalls eine Stagnation. Und alles Ungemach nur deshalb, weil es sich beim Schaumwein um ein Produkt handle, dessen Konsum den Maßhaltevorstellungen
Ludwig Erhards »optisch« entgegenstehe.
Sogar der Fiskus scheine mit einem Rückgang zu rechnen, da er, um ein zusätzliches Steueraufkommen von 50 Millionen Mark zu erzielen, einen Jahresumsatz von nur 100 Millionen Flaschen zugrunde gelegt habe. Dabei, belehrt mich Hummel mit gezügeltem Hohn, betrage schon der Umsatz von 1965 an die 150 Millionen Flaschen.
»Wozu die Winzer, die ein Siebentel ihres Ertrages an die Sektkellereien liefern, mit jährlich vier bis sieben Millionen Mark subventionieren, wenn man ihnen nun indirekt ihre Einkünfte schmälert?«
»Was wollen Sie unternehmen?« frage ich, schon aus Courtoisie, denn soeben beginnt in meinem Glas ein »Burgeff Brut« von 1953 zu prickeln.
Diether Hummel will Funk und Fernsehen mobilmachen, sektverständige Bundestagsabgeordnete überzeugen, Weinlandesväter zum Protest anstacheln. Einstweilen hat er ein Memorandum verfaßt; es trägt den Titel: »Sektsteuererhöhung - ein Schlag ins Wasser«.
Jäh überkommt ihn Unbotmäßigkeit: »Am libbste hätt isch drübber geschribbe: 'Solle widder Panzerkreuzer gebaut werde, wie anno zwoundneunzisch unner Kaiser Willem?'« Aber das wäre denn doch zu kühn gewesen.