Zur Ausgabe
Artikel 72 / 84

Briefe

SCHLANGEN-POLKA
aus DER SPIEGEL 16/1965

SCHLANGEN-POLKA

In Ihrer Geschichte über den neuen Modetanz »Letkiss« schreiben Sie, daß niemand so recht weiß, wer das neue Hüpf- und Kick-Amüsement mit Kußeinlage erfunden hat. Vermutungen, daß die Kapelle Anton Letkis, die aus Frankreich nach München zugewanderte Letkiss-Biene Mari France oder die in Paris lebende Finnin Myriam Michelson Urheber des Letkiss seien, sind falsch; der Tanz kommt auch nicht aus Lappland. Entwickelt haben ihn die Finnen - die allerdings nicht dabei knutschen.

Malmö GERHARD BRENDEL

Der Tanz ist finnisch, nicht aus Lappland - aber man versteht ja, daß Lappland exotischer klingt. Der Rhythmus hat tatsächlich Tradition in unserem Lande. Jenka oder Schottisch oder »die deutsche Polka« - wie er auch oft genannt wird - war früher, vor der Jazz-Epoche, sehr populär. Er wurde aber ganz anders getanzt. Vor anderthalb Jahren erfand ein Tanzlehrer in Helsinki, Olavi Niemelä, neue Schritte für den traditionellen Tanz. Das Wort »letka« bedeutet Schlange (aber nicht das Tier) oder Strecke, daher der Name »letkajenkka«. »Letkis« ist daraus geformt, eine alltägliche Kürzung, nicht ganz salonfähig.

Helsinki RAUNI VORNANEN

»Letkiss« - so geschrieben - gibt es gar nicht, sondern es gibt nur einen »letkis« (mit nur einem »s« in der zweiten Silbe), und zwar ist dieses Wort eine Erfindung der finnischen Teenager für das Wort »Letkajenkka«, zu deutsch Schlangenpolka oder Reihenpolka. Letkajenkka ist ein alter finnischer Bauerntanz, erst vor zwei Jahren machten die Orchester Rauno Lehtinen und Ronni Kranck und die Fernsehstation Tes-Visio in Helsinki einen »Pop Hit« daraus. In der wöchentlichen TV-Sendung »nuorten tansihetki« wurden damals innerhalb weniger Wochen Limbo und Twist von der Letkajenkka einfach verdrängt, und ganz Finnland tanzte nur noch »letkis«.

Mit Küssen hat dieser Tanz nichts zu tun, man hat auch nicht die geringste Chance dazu, denn man bildet eine Schlange aus beliebig vielen Paaren, kehrt sich den Rücken zu und hält sich an den Hüften des Vordermanns. Dann hüpft der Verein los: Einmal nach vorn, einmal nach hinten, darauf zweimal nach rechts gekickt und wieder dreimal vorwärts, danach wieder einmal nach hinten und nun mit den Beinen nach links gekickt und so weiter. Ja, das ist echter »letkis«, wer dabei noch küssen will, muß das Risiko eingehen, ins Kreuz gekickt zu werden oder den ganzen Verein außer Schwung zu bringen. Die Technologen der Universität in Turku brachten es auf eine Schlange von über hundert Meter Länge und tanzten zum Gaudi der Bevölkerung zehn Kilometer »letkis« durch die Stadt. Heute gibt es in Finnland mindestens zwei Dutzend letkis-Schlager, und unter den »Top ten« der Woche ist zur Zeit immer noch eine Letkajenkka.

Das Orchester Jann Rohde mit den Adventurers brachte diesen Hit nach Schweden und nannte ihn Finn-Jenka. Rohde sang die Texte in Englisch und

gab darin auch die genaue Tanzanweisung bekannt, danach wurde die Finn -Jenka auch in England populär. Also ist der neue Hit auf dem Kontinent in Finnland geboren worden, hat aber als Tanz mit dem Original nichts mehr zu tun, da man wohl aus Sprachschwierigkeiten das finnische »letkis« mit dem englischen »let's kiss« vertauschte und in Paris Letkiss daraus machte. Schade, aus diesem einmal echten »Ringelpiez mit Anfassen« für Jedermann wurde nun ein »one step with sex for two«.

Helsinki GERHARD OTTENSTROER

Bei uns in Finnland stellt man sich zu diesem Tanz wie zu einer Polonaise in Reihe auf und legt seinem Vordermann die Hände in die Hüften. Zunächst werden auf dem linken, dann auf dem rechten Bein zwei Hüpfer ausgeführt, wobei das jeweils freie Bein die von Ihnen erwähnte Kickbewegung macht, wobei jedoch der Absatz zur Betonung des Rhythmus hart aufgesetzt wird. Alsdann erfolgt mit geschlossenen Füßen ein Hüpfer nach vorn, einer nach hinten und dann wiederum drei nach vorn. Die Prozedur beginnt von neuem. In Deutschland wurde aus unserem finnischen Letkis nur der hiesige »laß küssen« (Letkiss), weil er in seiner ursprünglichen Form bei der deutschen Jugend kaum Anklang gefunden hätte.

Obervellmar (Hessen) MERYT TEUBLER

Ich habe diesen Tanz bereits 1959 getanzt und 1964 fünf Monate lang in Finnland als Musiker gespielt. Er wird in Finnland von jung und alt getanzt, muß also, da sich Oma und Opa wohl kaum im Hinzulernen neuer Tänze befleißigen, recht alt sein.

Hamburg WOLFGANG ZEUSCHNER

Gehen Sie mir weg mit Letkiss! Ich war vorige Woche auf einem Klassentreffen zur Erinnerung an den zehnten Jahrestag unseres Abiturs. Auf einmal kam unser Lehrer auf die Idee, Damenwahl anzukündigen. Als höflicher - Mensch konnte ich nicht umhin, die Aufforderung eines Mädchens anzunehmen, das ich während meiner gesamten Schulzeit von allen Klassenkameradinnen am wenigsten leiden konnte. Ich hätte mich gewiß in irgendeiner Form um die Tanzerei gedrückt, wenn ich gewußt hätte, daß die Kapelle als dritten Tanz einen Letkiss spielen würde. Da wir schon in vorgerückter Stunde und in besonders beschwingter Stimmung waren, lag bei diesem Letkiss der Hauptton natürlich auf der zweiten Silbe - leider auch für meine Partnerin.

Ich habe am nächsten Morgen meine sämtlichen Letkiss-Platten im Mülleimer zerdeppert.

Berlin ROLF BANDERMANN

Ich verstehe nicht, warum der Letkiss so populär ist: Wenn ich mit meiner Freundin knutschen will, gehe ich doch nicht auf die Tanzfläche.

Essen PETER LICHTNER

Hoffentlich setzt sich der Letkiss gegenüber den wilden Verrenkungen beim Twist, der leider offiziell zu den Tänzen gerechnet wird, durch. Im Vergleich zu diesem irren Twist, bei dem die Partner stumpfsinnig aneinander vorbeitanzen, ist Letkiss endlich wieder ein Modetanz, bei dem man was von seinem Partner hat.

Kassel GUDRUN KLINGE

Durch den Letkiss wird endlich das legalisiert, was man in Deutschland bislang in den meisten Lokalen zwar verurteilte, aber nicht verhinderte, das Küssen auf den Tanzflächen.

Bonn MANFRED ZIELORKAS

Letkiss in Deutschland

Letkis in Finnland

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 72 / 84
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren