Zur Ausgabe
Artikel 20 / 61

INDUSTRIE / PHOENIX-FIRESTONE Schlaue Gedanken

aus DER SPIEGEL 53/1970

An einem nebligen Spätherbsttag des Jahres 1970 nahmen die Gummilöwen aus Ohio verschnupft und mit mäßigem Profit Abschied von der Elbe.

Gegen Schluß einer Aufsichtsratssitzung der Phoenix Gummiwerke AG in Hamburg-Harburg am 14. Dezember, auf der das Investitionsprogramm der Reifenfirma verabschiedet werden sollte, überraschte Aufsichtsratschef Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank AG mit der Nachricht, Amerikas zweitgrößter Gummiwarenkonzern, The Firestone Tire & Rubber Comp. in Akron/Ohio, habe seine 27-Prozent-Beteiligung an der Phoenix (8000 Beschäftigte, Jahresumsatz: 562,4 Millionen Mark) abgegeben.

Das Aktienpaket der Amerikaner wanderte zum Börsenkurs in das Portefeuille der beiden anderen Phoenix-Großaktionäre, der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft (bisheriger Anteil: 35 Prozent) und der Erbengemeinschaft Moritz Schultze (bisher etwa 25 Prozent), denen der US-Konzern durch einen Poolvertrag verbunden war,

Der Pool verpflichtete die drei Phoenix-Partner, daß jeder, der sein Aktienpaket verkaufen wollte, es zunächst den beiden anderen anbieten mußte. Deutschbankier Abs, 69, seit kurzem allergisch gegen US-Beteiligungen, riet der Versicherung und den Schultze-Erben zur Annahme des Firestone-Pakets. Phoenix-Chef Hans Werner Kolb, 50: »Für mich kam das Ganze ziemlich überraschend.«

Daß die Firestone-Manager an der Harburger Gummi-Liaison keine rechte Lust mehr verspürten, hatte Hans Werner Kolb freilich schon im Juli dieses Jahres erfahren müssen: Damals verhinderten die Amerikaner eine Kapitalerhöhung bei der Phoenix, mit deren Hilfe Kolb die neuen Anlagen für Phoenix-Stahlgürtelreifen finanzieren wollte.

Das Desinteresse der US-Partner rührt daher, daß es ihnen nicht gelang, in Harburg die Aktienmehrheit zu gewinnen. So hatte das Firestone-Management beschlossen, sich künftig nur noch mit sicheren Kapital-Majoritäten in fremden Unternehmen festzusetzen. Die Münchener RÜCk und Schultze Erben, die zusammen 60 Prozent des Phoenix-Kapitals hielten, aber hatten den Partner aus Übersee wissen lassen, daß mit ihnen kein Pakethandel möglich sei.

Als Minderheitsaktionär jedoch mochte Firestone, das seit 1951 das Phoenix-Paket hielt, nicht mehr länger mitmachen, zumal sinkende Gewinne und. wachsende Wünsche ihrer Partner nach mehr Eigenkapital die Firestone-Rendite schmälerten.

Denn nur mühsam konnte der Harburger Phoenix seine zwölf Prozent Marktanteil in Westdeutschland halten. Zudem geriet das Unternehmen im Wettbewerb mit den übrigen Gummifirmen und den preisgünstigen Angeboten der Versand- sowie der Cash-and-carry-Häuser stark in die Kostenklemme. Phoenix-Chef Kolb: »Das Hauptkriterium des Marktes ist erbarmungsloser Fight.

An dieser Art Wettbewerb beteiligen sich außer der Phoenix, den Continental Gummi-Werken AG in Hannover (30 Prozent Marktanteil) und der Metzeler AG des 70jährigen Selfmade-Unternehmers Willy Kaus nur noch kampflüsterne Töchter internationaler Reifenkonzerne.

Der amerikanische Welt-Spitzenreiter Goodyear (Umsatz 1969: 11,7 Milliarden Mark) produziert in den Gummiwerken Fulda GmbH für Deutschland, der britisch-italienische Dunlop-Pirelli-Konzern über die Dunlop AG in Hanau und die Veith-Pirelli AG in Sandbach (Odenwald). Der US-Konzern Uniroyal bedient sich der Uniroyal Englebert Deutschland AG in Aachen und sein US-Konkurrent Goodrich der B. F. Goodrich GmbH in Eschborn (Taunus).

Am meisten Sorgen bereitet den deutschen Gummi-Bossen freilich der französische Michelin-Konzern, der ein großes Aktienpaket der Pariser Citroen-Werke an Fiat verkaufte und dadurch genug Geld in die Kasse bekam, um sich mit kräftigen Investitionen den fünften Platz unter den Reifenkonzernen in der Welt zu sichern.

In Deutschland bauen die Franzosen allein drei neue Werke. Dort wollen sie ihre teuren Michelin-X-Stahlgürtelreifen produzieren, die wegen ihrer legendären Haltbarkeit so stark begehrt sind, daß Michelin seinen deutschen Kunden heute Lieferzeiten von vier Monaten zumuten kann.

Phoenix-Chef Kolb rechnet damit, daß in den nächsten drei bis vier Jahren ungefähr ein Drittel aller deutschen Autofahrer auf Stahlgürtelreifen umgestiegen sein werden. Außer Kolhs Harburger Phoenix wollen deshalb auch die Continental Gummiwerke AG und die Metzeler AG den Wettbewerb durch aufwendige Investitionen in Stahlkord-Pneus anheizen.

Die Firestone-Manager nahmen die Stahlkord-Konkurrenz zum Anlaß, den deutschen Markt einstweilen zu räumen. Dabei nehmen sie sogar in Kauf, daß Altbankier Abs aus der Firestone-Asche bei Phoenix den längst ersonnenen deutschen Gummikonzern aufsteigen läßt: die Vereinigung von Conti und Phoenix, die zusammen jährlich zwei Milliarden Mark umsetzen, die Hälfte der Michelin-Weltumsätze.

Noch bis vor einem Jahr sah sich der Bankensenior bei der Conti durch die Familie von Opel und bei Phoenix durch Firestone behindert, die beide mit ihrer Sperrminorität (mindestens 25 Prozent des Aktienkapitals) den Zusammenschluß blockieren konnten.

Eine erste Chance zur Verschmelzung sah der Bankier, als Georg von Opel der Deutschen Bank im Herbst 1969 ein Zehn-Prozent-Paket der Conti übergab und damit der Bank den Vorsitz im Conti-Aufsichtsrat ermöglichte. Systematisch kaufte das Institut sich bis dicht an die Sperrminorität bei dem hannoverschen Unternehmen heran und ist damit größter Conti-Aktionär.

Das jetzt von Firestone aufgegebene Phoenix-Paket möchte Abs gern ins Portefeuille der Deutschen Bank oder gleich an die Continental Gummi-Werke AG überführen. Bei diesem Handel kann der Bankmann damit rechnen, daß die beiden verbliebenen Phoenix-Großaktionäre Schultze Erben und Münchener Rück nichts gegen ein Conti-Engagement einwenden werden. Denn die Finanzkraft der Erbengemeinschaft Schultze ist begrenzt, und zur Münchener Rück unterhält die Deutsche Bank gute Beziehungen.

Phoenix-Chef Kolb über die Zukunft des vagabundierenden Gummi-Pakets: »Ich nehme an, daß sich irgendwelche schlauen Leute Gedanken darüber machen.«

Zur Ausgabe
Artikel 20 / 61
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren