SOWJET-UNION Schlaues Spielchen
Die Öffentlichkeit erlebte ihn vorletzte Woche so, wie sie ihn nun schon seit Jahrzehnten kennt: Wortlos, mit der Miene eines Impresario, der gerade erfahren hat, daß der Saal für das Gastspiel seines Stars nicht ausverkauft ist, stiefelte Andrej Gromyko, Außenminister der UdSSR, im Schatten seines Chefs, Leonid Breschnew, durch die Bonner und Hamburger Szene.
So blieb den Gastgebern verborgen, ob Gromyko den Deutschland-Besuch Breschnews ebenso euphorisch einschätzt wie im heimischen Moskau die Regierungszeitung »Istwestija": »Die Blicke Europas und der ganzen Welt sind auf das Rheintal gerichtet; denn gerade hier befindet sich im gegenwärtigen Augenblick eines der wichtigsten Zentren der Weltpolitik.«
Schon in dieser Woche aber muß der Moskauer Außenminister die Bonn-Visite im anderen Deutschland ausführlich interpretieren, und das, zur großen Enttäuschung der Ost-Berliner Führung, ohne Breschnew.
Leicht wird es der Emissär Gromyko bei seinem DDR-Besuch kaum haben, zumal nicht, wenn er Honeckers mißtrauischer SED erklären will, warum ausgerechnet das in Bonn abgeschlossene Rahmenabkommen über die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen ausdrücklich auf West-Berlin ausgedehnt ist, so als habe es den jahrelangen Streit um die Berlin-Klauseln nicht gegeben.
Doch für Gromyko gehören auch heikle Missionen im Kreml-Auftrag längst zur Routine. Der Mann mit dem Leichenbittergesicht, der englische An-Züge von unauffälliger Eleganz und den klassischen Homburg bevorzugt, überstand als ein diplomatischer Methusalem eine nicht nur für die kommunistische Welt außergewöhnliche Karriere.
Andrej Andrejewitsch Gromyko, 68, trat im Jahr des Hitler-Stalin-Paktes in den diplomatischen Dienst, war schon auf den Konferenzen in Teheran, Jalta und Potsdam dabei, verhandelte mit Roosevelt und Churchill, half nach dem Krieg die Uno-Charta zu formulieren, war der erste Sowjet-Delegierte im Weltsicherheitsrat und -- was das bedeutsamste ist -- überlebte drei sowjetische KP-Chefs im exponierten Amt eines Außenministers: als Vize unter Stalin und Malenkow, als Chef seines Ministeriums unter Chruschtschow.
Er spricht Englisch perfekt -- seine Großmutter Elisabeth war eine Irin. Sein Vater bat noch als »Wirklicher Staatsrat« unter dem Zaren gedient, was in der Sowjet-Union freilich kaum jemand weiß, denn der amtliche Lebenslauf des Parteimitglieds Gromyko (seit 1931) weist ihn als Sohn eines Bauern aus.
Auch sein wirklicher Name ist nicht bekannt; den Namen Gromyko ("Donner") wählte er nach dem Vorbild Lenins und Trotzkis als nom de guerre, obgleich die Revolution damals längst gesiegt hatte: Er ist abgeleitet von seinem Geburtsort, dem belorussischen Dorf Staryje Gromyki bei Gomel.
Er studierte in Minsk die Landwirtschaft. Die Chance, ohne die übliche Bewährung in der Innenpolitik in die Diplomatenlaufbahn zu kommen, bot dem jungen Gromyko Stalins Premier Molotow. Um Hitler für den deutschsowjetischen Pakt günstig zu stimmen, hatte er den jüdischen Außenminister, Maxim Litwinow, abgelöst und das Ressort selbst übernommen. Dabei wechselte er mehr als die Hälfte der Beamten aus und ernannte Gromyko zum Leiter der Amerika-Abteilung.
Molotow nahm seinen Adlaten zu den Kabinettssitzungen und sogar zu den Beratungen des Politbüros mit, obwohl Gromyko es damals noch nicht einmal zu dem kleinsten Parteiamt gebracht hatte. Erst 1973 stieg Gromyko als Parteigänger Breschnews in das Politbüro auf.
Als Hitler 1941 die Sowjet-Union überfiel, schickte Stalin den abgehalfterten Litwinow als Botschafter in die USA, eine dringend notwendige Waffenhilfe auszuhandeln. An der Seite des verbitterten, herrschsüchtigen Veteranen Litwinow bewährte sich der zähe Unterhändler Gromyko so sehr, daß er 1943 den wichtigen Posten seines Chefs selbst übernahm -- mit 34 Jahren damals der jüngste Botschafter in Washington.
Stalins Tod und die Diadochenkämpfe in Moskau konnte Gromyko aus der Ferne in aller Ruhe betrachten: Stalin hatte ihn als Botschafter nach London geschickt. Stalin-Nachfolger Malenkow, mit Molotow im Bunde, holte sich den tüchtigen Mann wieder als Vize-Außenminister nach Moskau zurück. Als sowjetischer Delegationschef auf der Londoner Abrüstungskonferenz 1955 begann für den Belorussen eine dritte und die für ihn wohl wichtigste Karriere: als Moskaus gewieftester Vertrags-Aushändler.
Denn dem Mann, dem man ein Computergehirn nachsagt und dem nach eigener Erfahrung des damaligen Außenministers Walter Scheel »noch nie ein Argument ausgegangen ist«, ist das Gestrüpp von Paragraphen offenbar liebstes Operationsfeld.
Als ihm 1974 bei den festgefahrenen Gesprächen über die Berlin-Frage Bonns Außenminister Genscher betroffen vorwarf, Berlin sei doch schließlich immer noch eine deutsche Stadt, antwortete Gromyko nur spöttisch: er habe auch nie geglaubt, daß es eine chinesische Stadt sei.
Außenpolitische Visionen sind offenkundig nicht seine Sache; wenn es um die Einschätzung einer künftigen, noch nicht kalkulierbaren Lage ging, hat Gromyko auch oft genug geirrt. Aber möglicherweise tat er auch nur so, um auf diese Weise die Irrtümer der Kreml-Führung zu decken. Selbst in der Entspannungspolitik ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr so sicher, ob er mehr als nur der Polier auf dem Baugerüst war.
Sicher ist dagegen: Gromyko hat sich keinem Problem so intensiv gewidmet wie der deutschen Frage: Als 1970 in Moskau der Vertrag mit Bonn ausgehandelt wurde, saß er mit Staatssekretär Egon Bahr insgesamt 36 Stunden am Tisch -- länger als mit jedem anderen Partner.
Um den Vertrag mit den Westdeutschen, Moskaus wichtigstem wie auch schwierigstem Verbündeten, der DDR zu erklären, blieb Gromyko eine ganze Woche in Ost-Berlin, wo ihn der damalige Kronprinz und Sicherheitschef Erich Honecker mit der Feststellung empfing, Bonns neue Ostpolitik sei »konterrevolutionär«.
Nur einmal in seinem langen Diplomatenleben hat der so kühl wirkende Diplomat vor Zeugen die Contenance verloren. Als im März 1977 der neuernannte US-Außenminister Vance im Auftrag seines Präsidenten Jimmy Carter versuchte, die in Wladiwostok noch von Ford ausgehandelten Salt-Abmachungen durch neue Vorschläge zu unterlaufen, bestellte sich der pressefeindliche Gromyko 500 Journalisten. Rot vor Zorn im Gesicht und mit überschlagender Stimme wetterte der Außenminister über Amerikas »schlaues Spielehen« und zerbrach seinen Bleistift.
In Ost-Berlin, soviel ist sicher, wird Gromyko die Einschätzung der Kreml-Führung nach dem Bonn-Besuch vortragen. Das muß nicht unbedingt und in allen Punkten die gleiche wie die von Leonid Breschnew sein.
Denn am gleichen Tag, an dem Breschnew und Gromyko in Bonn landeten, feierte die Moskauer KPdSU den 33. Jahrestag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus.
Hauptredner war der Luft-Marschall Sergej Rudenko. Er erwähnte die »historische Mission« der beiden Genossen in Bonn mit keinem Wort.