INDIEN / KÜHE Schlechte Mutter
Vierzig Jahre sprach der Swami kein einziges Wort. Jetzt sagte er einen Satz: »Indira Gandhis Kongreß-Partei wird die Wahlen im Februar verlieren, wenn sie nicht in ganz Indien das Schlachten von Kühen verbietet.«
20 000 Mitglieder einer »Kuhschutz -Gesellschaft« jubelten. Swami (Hindu -Priester) Prabhu Dutt Brahmchari, 80, zog sich wieder in seine Klause zurück und vertiefte sich in die Weden, die heiligen Schriften des Hinduismus, nach deren Überlieferung Kühe sakral sind. Denn sie stehen - so die Weden - unter dem besonderen Schutz der Hindu-Gottheit Schiwa: Wer Kühe schlachtet, fordert den Zorn des furchtbaren Pan heraus.
Das wollte nicht einmal der Sozialist Nehru riskieren. Auch in seinem Säkularstaat blieben Kühe vor dem Metzger sicher. Ausnahme: jene sechs Bundesstaaten, in denen sich Indiens Moslems konzentrieren und Rindfleisch essen.
Gegen die Schlachter-Staaten liefen die rinderlieben Hindu-Orthodoxen vor jeder Wahl Sturm. Diesmal fühlen sie sich besonders stark, denn Indiens Regierung unter Indira Gandhi ist so schwach wie nie zuvor.
Die seit 1948 regierende Kongreß-Partei verlor nach Nehrus Tod Geschlossenheit und Dynamik. Auch Nehrus energische Tochter Indira konnte weder die Partei noch das Land mitreißen:
- Die Wirtschaft stagniert; in den großen Städten rebellieren die Studenten mit sinnlosen Gewaltakten gegen das Elend. Indira mußte schießen lassen und will jetzt zur Zähmung der Widerspenstigen einen Arbeitsdienst gründen.
- Die Korruption floriert; Schieber bereichern sich an den Hilfslieferungen des Westens, die Regierung gründete lediglich ein »Anti-Korruptionsbüro«, das die Namen der Krisen -Gewinnler veröffentlicht.
- Die Naga- und Mizostämme im Nordosten betreiben die Sezession, Neu -Delhi vermag sie weder zum Bleiben zu überreden noch zu unterdrükken.
So schwand Indiras Nehru-Nimbus in den letzten Monaten dahin. Die mächtigste Frau der Welt flatterte in den letzten Wochen »wie eine aufgescheuchte Henne« ("Sunday Telegraph"), um sich die weitere Unterstützung maßgeblicher Politiker zu sichern. Aber auf dem Kongreß-Parteitag zur Eröffnung des Wahlkampfes sickerte durch, K. K. Nadar, der Königsmacher der Partei, sei so unzufrieden, daß er Indiras Job selbst übernehmen wolle.
Nationalisten und religiöse Extremisten nutzten die Schwäche der Regierung. Sie wollen Indira zwingen, sowohl der modernsten als auch der ältesten Gottheit zu opfern: Sie verlangen für Indien Atomwaffen und verstärkten Rinderschutz.
Die Kuh-Kämpfer agitierten am lautesten. Zehntausend Männer und Frauen, von Wandermönchen angeführt, marschierten mit Kühen vors Parlament. Sprechchöre und Transparente forderten »Mehr Ehrerbietung für die Kuh, unsere Mutter«.
Sie ist eine schlechte Mutter: Von Indiens rund 175 Millionen Kühen sind 80 Millionen zu alt, als daß sie noch Milch geben könnten; die anderen erquicken vorwiegend ihren zahlreichen Nachwuchs. Folge: Indiens Rinder, ein Viertel des wiederkäuenden Weltviehs, spenden nur 6,5 Prozent der Welt-Milchproduktion.
Dennoch gab die bedrängte Indira nach. In ihrem Auftrag übermittelte Innenminister Nanda den schlachtenden sechs Bundesstaaten die Aufforderung, ihre Länder endlich sicher für die Kuh zu machen. Schon jetzt gibt es halb so viele Rinder wie Inder.
Dafür erhofft sich Premier Indira die Zustimmung der Orthodoxen für eine gewaltlose Lösung der Kuhfrage: Geburtenkontrolle durch Spiralen, mit denen man den Kuh-Uterus auch gegen den stürmischsten Stier unempfänglich macht.
Premier Indira Gandhi
Wer Kühe schlachtet ...
Heilige Kühe in Alt-Delhi
... verliert die Wahl