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SCHLECHTE SCHUHE

aus DER SPIEGEL 22/1970

Am Mittwoch eröffnete ZDF"Heute« seine Berichterstattung aus Kassel mit einem Hinweis, was Landsleute überführt: »Bei den DDR-Journalisten die schlechten Schuhe, die sie in der Bundesrepublik sofort auf Anhieb erkenntlich machen.«

Ja, auf Anhieb. Aber wenn nicht die schlechten Schuhe, so waren wir doch immerhin am Vorabend von Kassel bereit, unsere Vergangenheit den Landsleuten zu verzeihen: Im Kasseler Rathaus fragte ein »ZDF-Magazin«-Reporter, ob nicht »die Erhaltung der Einheit der Nation« auch im Interesse der DDR selbst liegen könne. Einer von den Menschen drüben antwortete: »Wir sind ja nicht diejenigen, die die Einheit der Nation aufs Spiel gesetzt haben«, und erinnerte daran, daß sich Bizone, Trizone und schließlich Bundesrepublik zuerst vom deutschen Nationalverband abgesetzt hatten. Darauf der ZDF-Reporter versöhnlich: »Gut, das ist Vergangenheit. Aber blicken wir in die Zukunft.«

Die Zukunft -- für den kommenden Tag -- hatte »ZDF-Magazin«-Chef Gerhard Löwenthal befragt. Er freute sich: »Mir sagte heute morgen ein hoher Beamter der Bundesregierung: »Völkerrechtliche Anerkennung ... kommt nicht in Frage.« Damit waren die Weichen gestellt, die aus Kassel einen Sackbahnhof machten (aus dem man, übrigens, weiterkommt, wenn man die Richtung ändert).

Doch zunächst demonstrierte das ZDF am Tag von Kassel die Einheit der Nation. Die Willy-Brandt-Rufer von Erfurt waren vom DDR-Fernsehen als »bestellte Provokateure und Leute von gestern« eingeordnet worden. Das ZDF erkannte in den Willi-Stoph-Rufern« die -- sicherlich -- besser organisiert waren, »Schreier« und eine »winzige Minderheit«.

ZDF-Löwenthal war schon um 9.20 Uhr »nicht sehr hoffnungsfroh«. Ihn verstörte -- was hatte er erwartet? -, daß Stoph in seinem ersten Satz die Forderung nach völkerrechtlicher Anerkennung »bekräftigt« hatte. Und dann ermahnte er seine Zuschauer dringend: »Meine Damen und Herren, Sie sollten sich auch nicht, in der Tat nicht, von den lautstarken Rufen der Demonstranten irritieren lassen. Eine verschwindende Minderheit, es ist eigentlich unnötig, dies immer wieder zu betonen, eine verschwindende Minderheit hat sich hier aufgestellt und versucht, den Anschein zu erwecken, als ob sie die Meinung eines größeren Teils dieses Volkes vertrete.«

Wenige Minuten später hatte er es -- gut so! -- schon wieder nötig zu betonen: »Ich muß sagen, die Lautstärke der Demonstranten steht in keinem Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung.« Und dann mußte er noch mal: »Ich muß sagen, es Ist ein merkwürdiges Gefühl, die Staatsfahnen der beiden Teile unseres Landes an diesen Wagen zu sehen.« Das war kurz vor zehn. Kurz nach zehn bemerkte Kollege Woher: »Hier ist draußen vor der Tür gerade ein kleiner Zwischenfall, hier wurde die Fahne heruntergerissen.« Löwenthal war es nicht. Später verdeutlichte Wohler. daß es eine »Lausbuberei« war. Sicherlich -- doch vor einem Jahr war solches noch Regierungspolitik. Woher: »Aber auf der anderen Seite hier die Demonstranten in diesem Kassel -- einer hat gesagt, die 0,6 Prozent DKP, die es in Deutschland gibt, sind bis auf den letzten Mann zusammengekratzt.« Die Rechtsdemonstranten kratzten nicht, ihnen war es leicht gelungen, wie ein ZDF-Reporter erläuterte, »so viele Menschen zu aktivieren«.

Als dann der Polizeipräsident keine Lust mehr hatte -- Stoph ist kein Schah -, die Verantwortung zu übernehmen, sagte ZDF-Woller, daß die Konferenz »eigentlich nahe am Platzen ist«, und ZDF-Schwarze bestätigte, Ost-Berlin hätte hier einen Vorwand gehabt, »um das Ganze abzubrechen«.

Willy. Brandt gelang es aber, Stoph doch noch zu einem Besuch des Mahnmals zu bewegen. Und das, obwohl die DDR aus dem Scheitern der Kranzniederlegung hohen Propagandagewinn hätte ziehen können. Nützte alles nichts.

Schon um 21.00 Uhr zog Gerhard Löwenthal eine »Lehre aus Kassel für alle diejenigen, die noch Illusionen oder falsche Vorstellungen hatten«. Er, der noch am Vorabend mit Erfolg gefordert hatte, daß es nicht anders -- nicht mit DDR-Anerkennung -- gehe, rehabilitierte jetzt die CDU-Deutschlandpolitik« weil Kassel bewiesen habe, »daß es anders auch nicht besser geht«. Und Rudolf Wohler stand ihm bei und sprach vom »Scheitern« der »auf Kontakt eingestellten Ost-Politik«. Weil die neue Ostpolitik -- von der alten belastet -- nach zwei Monaten noch keinen Erfolg hat, soll Brandt -- verlangt Woller -- die »innere Einheit« mit den Vertretern der seit zwei Jahren gescheiterten Deutschlandpolitik erneuern. Denn die Bundesregierung soll jetzt »diese innere Einheit, die Geschlossenheit In den Grundfragen unserer nationalen Politik, wieder allen sichtbar« herstellen.

ZDF-»Heute«-Chef Radke: »Der Tenor der Berichterstattung war eine Vermischung von Wunsch und Wirklichkeit, von Fakten und Fiktionen,« Er meinte allerdings -- stimmt ja ebenso -- das DDR-Fernsehen.

Otto Köhler

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