WAFFEN-EXPORTE Schlechtes Gewissen
Bonns geheimstes Führungsgremium richtet sich auf Überstunden ein. Seit Monaten häufen sich im Bundessicherheitsrat, in dem sich unter Vorsitz von Kanzler Helmut Schmidt der Außen-, Finanz-, Verteidigungs- und Wirtschaftsminister versammeln, brisante Vorlagen: Exportanträge deutscher Firmen, die Waffen in alle Welt verkaufen möchten.
Abschlägig werden die Antragsteller schon seit längerem nur noch selten beschieden. Vor allem die Werften, die seit Jahren mit unausgelasteten Kapazitäten arbeiten, kompensieren den Rückgang von Zivilaufträgen zunehmend mit Rüstungsgeschäften.
In aller Diskretion und ohne das übrige Kabinett mit der vertraulichen Materie zu befassen, genehmigte der Bonner Sicherheitsrat allein im letzten Jahr den Verkauf von
* zwei U-Booten nach Indonesien, > vier Schnellbooten ins Scheichtum
Abu Dhabi und nach Ghana, > drei Schnellbooten nach Nigeria, > sechs U-Booten nach Persien, und > zwei Landungsschiffen und einer Fregatte nach Nigeria.
Seit 1974 verhalf Bonn zudem den Streitkräften fast aller südamerikanischer Meeresanrainer (Ausnahme: Chile) zu stärkerer Seetüchtigkeit. U-Boote made in Germany erhielten Kolumbien (2), Ecuador (2), Peru (6) und Venezuela (2); Schnell- oder Minensuchboote inklusive Bewaffnung gab es für Argentinien (2), Ecuador (6) und Brasilien (6).
Ein U-Boot-Geschäft mit Argentiniens Militärregierung sicherte die Bundesregierung im November vergangenen Jahres mit einer 340-Millionen-Mark-Bürgschaft ab. Als der damalige Forschungsminister Hans Matthöfer vor der Abstimmung eine Grundsatzdebatte über die Zulässigkeit des Verkaufs forderte, wies ihn Kanzler Schmidt kühl zurecht: Das Kabinett dürfe nur über die Bürgschaft befinden, die Exportgenehmigung selbst habe der Sicherheitsrat unter seinem Vorsitz längst erteilt.
Überschlägiger Wert all dieser Marineausrüstungen: etwa drei Milliarden Mark, immer noch wenig, gemessen am Welthandel mit Kriegsgerät (in den letzten fünf Jahren fast hundert Milliarden Dollar), aber: »Die Attraktion deutscher Waffen«, verrät ein Sicherheitsrat-Mitglied, »steigt ständig«.
Seit das Bundeskanzleramt zu dem Schluß gekommen ist, Schiffe seien »zur Disziplinierung von Feindstaaten oder Rebellen nur wenig geeignet«, füllen sich die Auftragsbücher der Werftindustrie munter weiter. 61 Kriegsschiffe will der Iran jetzt ordern, Argentinien möchte Fregatten bestellen, Australien verhandelt über die Lieferung von 17 Schnellbooten.
Auch die Zubehör-Produzenten im Binnenland kommen bei dem neuen Boom nicht zu kurz. Die Ravensburger Firma Escher Wyss etwa exportiert Propeller für Kriegsschiffe nach Marokko, Südkorea, Indonesien und Saudi-Arabien. Zwei Drittel aller Kampfboote der Seestreitkräfte außerhalb des Ostblocks sind mit (zusammen 1 086) Dieselmotoren der Friedrichshafener MTU bestückt.
Selbst an das international geächtete Apartheid-Regime Südafrikas dürfen die Diesel verkauft werden, denn die Transaktion, so der Staatssekretär im Wirtschaftsressort, Martin Grüner, »verstößt nicht gegen bestehende Exportbeschränkungen«, weil Schiffsmotoren keinen »spezifisch militärischen Charakter« hätten.
Der lange Kundenkatalog beweist, daß der Kabinettsbeschluß von 1971, deutsche Waffen seien, wenn überhaupt, nur an Nato-Staaten zu liefern, für Politiker und Kriegsschiff-Konstrukteure Makulatur geworden ist. Geliefert wird heute an -- fast -- jeden, der bezahlen kann.
In aller Stille ist der Sicherheitsrat auf die alte Position verflossener CDU-Regierungen eingeschwenkt: Die Formel, Kriegsgerät »nur in Nato-Staaten« zu liefern, ersetzten die Minister durch die Gummiklausel »nicht in Spannungsgebiete«.
Einzige Bedingung: Die Waffen müssen so beschaffen sein, daß die Empfängerstaaten sie »nicht für innere Auseinandersetzungen«, etwa beim Kampf gegen Aufständische, verwenden können. Verboten sind nach dieser Klausel zum Beispiel leichte Panzer, Gewehre oder Maschinenpistolen.
Zwar kommt es dann auch schon mal vor, daß ein Ausfuhrgesuch abgelehnt wird: so der Wunsch einer Berliner Waggonbaufirma, dem Wüstenstaat Mauretanien, der sich gern die ehemalige spanische Sahara einverleiben möchte, zum Transport von Kriegsmaterial Güterwagen zu liefern.
Sonst aber lassen sich die Strategen aus dem Sicherheitsrat immer öfter von ökonomischen statt militärischen Überlegungen leiten: Das bevorstehende Rekordgeschäft mit Persien genehmigten sie vor allem deshalb, »um Arbeitsplätze in der Werftindustrie zu erhalten« (so das Auswärtige Amt).
Nach der Definition des Außenministeriums ist der Iran, dem vor vier Jahren noch der Kauf deutscher »Leopard«-Panzer abgeschlagen wurde, jetzt »kein Spannungsgebiet« mehr -- obwohl der Schah nach wie vor Expansionsgelüste auf die Scheichtümer am Persischen Golf nicht leugnet. Der Perser-Kaiser am Dienstag letzter Woche: »Wir sehen es als unsere Pflicht, uns auf den Zugang zum Indischen Ozean vorzubereiten«.
Keine Rede auch in Bonn davon, daß die argentinischen Generale ihre Kriegsschiffe unter Dampf halten, um militärische Stärke vor d er Küste des (chilenischen) Feuerlandes oder der (britischen) Falkland-Inseln zu demonstrieren. »An der Realisierung des Ausfuhrgeschäfts« -- so das Kabinettspapier zum U-Boot-Verkauf vom Vorjahr -- »besteht ein besonderes gesamtwirtschaftliches Interesse, derzeit insbesondere das der Sicherung von Arbeitsplätzen.« Auch das Wirtschaftsministerium sieht deshalb »die Spannungsherde jetzt enger als früher«.
Den deutschen Waffenverkäufern war es ohnehin egal, wie die Bonner Diplomaten die Kaufinteressenten einordneten: Sie mogelten sich schon früher häufig an den Beschlüssen der Bundesregierung vorbei und gründeten Verkaufsorganisationen im Ausland -- am liebsten mit französischen Partnern in Paris.
So kann der Münchner Rüstungskonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), größter der Branche, über seine französische Halbtochter Euromissile problemlos Raketen in alle Welt -- darunter ins Spannungsgebiet Syrien -- verkaufen. Dornier-Flug zeuge vom Typ »Alpha Jet« sollen via Frankreich nach Ägypten donnern. Über die britischen Werften von Vickers gelangten in Hamburg und Kiel entwickelte U-Boote nach Israel. Der deutsche Wunderpanzer »Leopard I« wird von Oto Melara im italienischen La Spezia nachgebaut -- auch für den Export. Die »Leopard-lI«-Kanone, eine Entwicklung von Rheinmetall, wollen -- Erfolg deutsch-amerikanischer Gemeinsamkeit -- die USA in Lizenz nachbauen.
Noch in diesem Jahr entscheidet Washington über ein Zwölf-Milliarden-Mark-Projekt: den Lizenz-Nachbau der MBB-Flugabwehr-Rakete »Roland«. Und »die USA«, freut sich ein deutscher Rüstungsproduzent, »werden sich den Export der Kanonen und Raketen doch nicht von uns verbieten lassen«.
Damit erfüllt sich allmählich ein langfristiges Konzept der Rüstungslobby: Über eine politisch erwünschte Partnerschaft mit Nato-Staaten, die keine Export-Restriktionen kennen, wollen die Waffen-Produzenten die deutschen Ausfuhrverbote so weit durchlöchern, daß sie schließlich haltlos werden.
Bonns neue »Politik der größeren Flexibilität« (ein Staatssekretär) hilft indes nicht nur Arbeitern zu Lohn und der Industrie zu schönem Profit: Sie gibt auch den Bonner Diplomaten verstärkt Gelegenheit, außenpolitisches Porzellan zu zerschlagen.
Denn mußten sie bisher höflich absagen, wenn Freunde um Waffenhilfe baten -- etwa die Saudis um Lieferung von »Marder«-Schützenpanzern -, so können sie jetzt ihr Wohlwollen auch denen schenken, von denen bisher kaum einer wußte, daß es sich um Freunde der Deutschen handelt -- wie dem Regime der brasilianischen Militärs, das im letzten August die ersten »Roland«-Raketen aus deutsch-französischer Kooperation erhielt, montiert auf rein deutschen »Marder«-Fahrgestellen.
Daß die Bundesregierung ihre Strategie des flexiblen Exports bisher ängstlich geheimhielt, zeugt nicht nur vom schlechten Gewissen, um der Arbeitsplätze willen mit hehren Grundsätzen gebrochen zu haben. Einstweilen scheint es Schmidt und Genscher auch noch an einer tragfähigen außenpolitischen Grundlage für das Geschäft mit den Waffen zu mangeln.
Die Sozialliberalen sind sich nicht schlüssig, ob das deutsche Kriegsgerät, nach französischem Vorbild, wahllos jedem zukommen soll, der danach fragt, oder ob die Deutschen nur dann einspringen sollen, wenn der Westen in bestimmten Regionen ein militärisches Gegengewicht zu sowjetischen Waffenlieferungen schaffen will.
Während Kanzler Schmidt eher dazu neigt, Rüstungsgerät politischen Günstlingen zu gewähren, scheint Außenminister Genscher noch nach allen Seiten offen: Eine bei seinen Beratern bestellte Problemstudie ist bislang nicht fertig.