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Umwelt Schlicht abgelagert

Das Bundeskriminalamt ermittelt erstmals gegen die Plastikverwerter des Abfallsystems »Grüner Punkt«, wegen Untreue und Betruges.
aus DER SPIEGEL 5/1993

Umweltminister Klaus Töpfer, 54, war zum einjährigen Jubiläum des Recycling-Zeichens »Der Grüne Punkt« voll des Lobes. Die getrennte Sammlung von Verpackungsmüll in 28 Millionen deutschen Haushalten sei, rühmte der Christdemokrat, »international einmalig«.

Töpfer wird seine Hymnen womöglich etwas verhaltener anstimmen müssen. Im Wiesbadener Bundeskriminalamt (BKA) beschäftigt der Grüne Punkt, für den alle Verbraucher beim Einkauf jeweils mehrere Pfennige berappen müssen, neuerdings das Referat »Umweltkriminalität": Nicht nur obskure Abfallentsorger und dubiose Recyclingfirmen sollen kriminelle Geschäfte mit dem Grünen Punkt gemacht haben.

Auch gegen Manager der »Verwertungsgesellschaft gebrauchte Kunststoffverpackungen« (VGK) hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des »Verdachts der Untreue und des Betruges« eingeleitet. Vergangenen Mittwoch wurden die Geschäftsräume der VGK in Bad Homburg durchsucht. Als Geschädigte werden die »Kapitalgeber« der VGK genannt - die gesamte chemische Industrie der Bundesrepublik.

Die BKA-Ermittler glauben sich einem »ganz dicken Ding« auf der Spur. Es geht um jährlich rund 900 000 Tonnen gebrauchter Kunststoffverpackungen, von denen, wie die VGK einräumt, derzeit nur »rund 200 000 Tonnen« tatsächlich entsorgt werden können, davon 43 000 Tonnen im Ausland.

Ins Visier der Öko-Fahnder kam die VGK, die von dem privatwirtschaftlich organisierten Dualen System Deutschland als »Garantiegeber« für die ordnungsgemäße Verwertung eingesetzt worden ist, durch einen Zufall. Im Zusammenhang mit illegalen Exporten von Plastikmüll auf französische Kippen im August letzten Jahres eröffnete die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Verfahren gegen die lothringische Müllfirma Concorde. Während der Recherchen stießen die BKA-Fahnder bei der VGK auf merkwürdige Praktiken. So wurden für die Entsorgung des Problemmülls im Ausland Firmen genannt, die dazu offenbar gar nicht in der Lage waren - quasi Potemkinsche Anlagen.

VGK-Firmen, so die BKA-Erkenntnisse, hätten »gegen Festpreise pro Tonne« die zu Plastikballen gepreßten Verpackungen »schlicht abgelagert«. So liegen im Rheinhafen Koblenz über 500 Tonnen Plastikmüll. Eigentlich sollte das Material längst zur Verwertung nach Bulgarien transportiert worden sein.

Dort aber, in Assenowgrad, türmen sich vor einem zweistöckigen Flachbau der Chimik AG schon jetzt riesige Mengen Plastikmüll mit dem Grünen Punkt, der etwa zu Granulat oder Abfallsäcken verarbeitet werden soll. Bislang allerdings waren auf den bis zu 15 Jahre alten Anlagen vorwiegend vorsortierte Folien aus der bulgarischen Landwirtschaft eingeschmolzen worden.

Gleichwohl führt das Duale System die Firma Chimik als einen der ersten »anerkannten Verwertungsbetriebe« im Ausland an. Die Abfallmanager stützen sich dabei auf eine gemeinsam mit dem Umweltministerium veranlaßte Überprüfung durch den Technischen Überwachungsverein (TÜV).

Ein Mitarbeiter des Rheinisch-Westfälischen TÜV hatte am 21. September die »Chimik Plastik-Recycling« besucht. Zwecks »Zertifizierung« der Fabrik erstellte der Experte eine positive »Erstbewertung«, die nur neun Zeilen umfaßt.

Darin heißt es, Chimik könne jährlich mit maximal 14 000 Tonnen »aussortiertem VGK-Material« beliefert werden. Der Freibrief vom TÜV bedeutete für einen deutschen Vertragspartner der bulgarischen Plastikschmelze bares Geld: die »Vermarktungsgesellschaft für Sekundärrohstoffe« (VGS) im nordrheinwestfälischen Troisdorf.

Mit der VGS hatten die Bulgaren zuvor einen exklusiven »Kooperationsvertrag« geschlossen. Danach sollten monatlich 700 Tonnen Plaste und Elaste bei Chimik angeliefert oder aber an »andere Recycling-Unternehmen in Bulgarien« weitergegeben werden.

Daß die Chimik derzeit wohl kaum den von Bonn geforderten Recycling-Standard erreicht, belegt ein Passus des deutsch-bulgarischen Vertragswerkes. Um eine »bessere Nachsortierung« zu ermöglichen, verpflichten sich die deutschen Müllhändler bei der Beschaffung entsprechender technischer Anlagen »behilflich« zu sein.

Allein für die Abnahme von Plastikfolien aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen stellten die Müllmakler bis zum Jahresende mindestens 1,2 Millionen Mark in Rechnung. Nach Recherchen der VGK ist lediglich »ein geringer Bruchteil der gesamten Tonnage« tatsächlich verwertet worden.

Von einem erfolglosen Mitbewerber um den exklusiven Müll-Deal erfuhr die VGK, wie es um die Anlage in Bulgarien tatsächlich steht: Es sei zu »bezweifeln«, daß die Chimik »größere Mengen verschmutzter Kunststoffabfälle« zu »vernünftigen Produkten« verarbeiten kann. Fraglich sei auch die »Eignung für Problemkunststoffe«.

Mißtrauen gegenüber dem Müllexport in den Osten zeigt auch der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler, 43. Weil ein Teil der mehr als 1100 Tonnen Plastikballen über den bayerischen Donauhafen Regensburg verschifft werden soll, hat der CSU-Politiker die Bonner Regierung erst einmal um eine »Bestätigung der vorgelegten Urkunden« aus Bulgarien gebeten.

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