Schließt sich ein Teufelskreis?
Der Publizist Thilo Koch, der jede Woche für die »Neue Ruhr Zeitung«, die »Kieler Nachrichten«, die »Hessische Allgemeine«, das »Darmstädter Echo« und den »Südkurier« (Konstanz) eine Kolumne schreibt, verfaßte in der vorletzten Woche einen Beitrag zur Konzentration in der deutschen Presse. Zum erstenmal verzichteten zwei Blätter, die SPD - nahe »Neue Ruhr Zeitung« (Chefredakteur Feddersen: »Dazu kann ich beim besten Willen nichts sagen") und die CDU-nahen »Kieler Nachrichten« (Chefredakteur Dotzer: »Das Thema war einseitig beleuchtet, die Begründung für die Ablehnung kann man im 'Rückspiegel' der letzten SPIEGEL-Ausgabe selber nachlesen"), auf den Abdruck der Kolumne.
Es ist höchste Zeit, daß der Bundestag sich mit dem Pressekonzern Axel Springer befaßt. Viel zu lange schon hat man Augen und Ohren verschlossen vor der Tatsache, daß ein einziger Verlag, der einem einzigen Manne gehört, 40 Prozent aller Presseerzeugnisse in der Bundesrepublik druckt, schreiben läßt, kontrolliert. In West-Berlin sind es sogar 75 Prozent; in unserer alten Hauptstadt kommen also bereits drei von vier Zeitungen aus dem Hamburger Konzern. Es verdient angemerkt zu werden, daß es zwei traditionell sozialdemokratische Städte und Bundesländer sind - Berlin und Hamburg -, in denen diese ganz ohne Zweifel undemokratische Konzentration seit langem geduldet wird ...
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Sänger erklärte nach Rudolf Augsteins Kritik am Wuchern des Springer- Konzerns im SPIEGEL, der Bundestag verfüge, noch nicht über genügend zuverlässiges Material, um eine Gesetzesinitiative gegen übermäßige Konzentration in der Presse ergreifen zu können. Aus dem Munde eines verdienten Journalisten, des früheren Chefs der Deutschen Presse -Agentur, eines prominenten Mitglieds des Deutschen Presserats, klingt das verwunderlich. Jenes »zuverlässige Material« zusammenzutragen, wäre eine reine Fleißarbeit; es liegt überall offen zutage. Von jedem guten Reporter würde man erwarten, daß er diese Aufgabe in einigen Monaten löst ...
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Emmy Diemer-Nicolaus hat jetzt verdienstvollerweise an die Bundesregierung die Frage gestellt, »welche Maßnahmen beabsichtigt seien, um die Bildung von Zeitungsmonopolen zu verhindern oder bestehende Monopole zu beseitigen«.
Die Abgeordnete wies dabei auf das SPIEGEL-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hin; darin erinnert das oberste deutsche Gericht an die Pflicht des Staates, Gefahren abzuwehren, die einem freien Pressewesen aus der Bildung von Meinungsmonopolen erwachsen können. Der Bundestag hat nun zwar seit längerem eine »Wettbewerbskommission« eingesetzt; aber offensichtlich ist deren Aufgabenbereich zu umfassend. Die Konzentration in der Wirtschaft reicht ja vom Stahl über die Textilien bis zum Einzelhandel. Mit der Konzentration in der Presse sollte sich unverzüglich der Kulturpolitische Ausschuß des Bundestages selbst befassen, weil hier sich bereits eine akute Gefahr etablierte.
Es trifft zu, daß eine gewisse Konzentration in der modernen Industriegesellschaft notwendig ist; finanzielle, technische, organisatorische Zwangsläufigkeiten bedingen sie - auch im Wirtschaftszweig Verlagswesen. Die Frage lautet also nicht: Konzentration ja oder nein. Sie lautet: Konzentration ja - aber bis zu welchem Grade. Sagt einem nicht schon der gesunde Menschenverstand, daß es nicht gut sein kann, wenn mehr als etwa jede vierte Zeitung von einem Mann bestimmt, von einem Konzern hergestellt wird? Dann hätten Gesetzeshüter oder Gesetzgeber schon einschreiten müssen, als Springer die 25-Prozent-Grenze überschritt. Die Regierung des Landes Berlin aber läßt sich 75 Prozent gefallen, ohne zum Beispiel ihre Möglichkeiten im Bundesrat zu nutzen. Warum?
Es geht hier nicht um den Mann Axel Springer. Der tüchtige Hamburger Verleger hat eine glückliche Hand, -und niemand bestreitet, daß er ein honoriger Demokrat ist. Es geht auch nicht darum, es ihm zu neiden, daß er im Jahr mehr als eine Milliarde Mark umsetzt und entsprechend verdient. Die Freiheit selber steht auf dem Spiel, die für einen demokratischen Rechtsstaat ausschlaggebende Freiheit der Meinung, wenn ein einzelner Mann, eine einzige Firma diese Macht ausübt, dieses Ausmaß von Marktbeherrschung erreicht.
Denn wie sehr die persönliche politische Meinung eines Großverlegers die Geschicke eines Staatswesens beeinflussen kann, dafür ist aus der Weimarer Zeit der unselige Hugenberg ein warnendes Beispiel. Und geben nicht auch die radikalen, zuweilen sogar chauvinistischen Töne mancher Springer-Blätter zu denken? Schließlich aber: wem mag Axel Springer sein Imperium einmal vererben?
Es ist höchste Zeit. Nur Bundestag und Bundesregierung können hier Einhalt gebieten. Aber sie werden von den großen Parteien bestimmt. Und die Parteien schielen nach dem Wähler. Zehn Millionen Wähler aber lesen zum Beispiel Springers »Bild«, und die Führungskräfte in der Bundesrepublik lesen Springers »Welt«. Droht sich da nicht ein Teufelskreis zu schließen?