KOMMUNIKATION Schlüssel für den Staat
Das Gremium pflegt solche Diskretion, daß es selbst Bonner Insidern kein Begriff ist: Der »Staatssekretärsausschuß für das geheime Nachrichtenwesen und die Sicherheit« berät über die Fragen der nationalen Sicherheit nur in abhörsicheren Räumen. Den Vorsitz führt des Kanzlers Mann für die Geheimdienste, Staatsminister Bernd Schmidbauer.
Seit Monaten beschäftigt die Herren ein dringender Wunsch der Bundesregierung. Sie möchte in aller Eile ein sogenanntes Krypto-Gesetz verabschieden, mit dem jede Verschlüsselung per Telefon, Telefax oder Computer unter Strafe gestellt werden soll - sofern der Staat keinen Zugriff auf den Code hat.
Der Kryptographie, einst eine Domäne der Geheimdienste, kommt angesichts der Kommunikation auf weltweiten Datenautobahnen auch im privaten Bereich eine zunehmende Bedeutung zu. Im Gegensatz zu Regierungen, die ihre Botschaften von jeher durch immer raffiniertere Codes schützen, sind verschlüsselte Privat- und Firmennachrichten bis heute noch die Ausnahme. Sogar Kreditkartennummern, vertrauliche Betriebsunterlagen oder sensible medizinische Daten werden ungeschützt durch den Cyberspace gesendet.
Dabei sind schon für ein paar hundert Mark Verschlüsselungschips auf dem Markt zu haben, im Internet kursiert gar kostenlos die »Pretty Good Privacy«-Software, die vertrauliche Kommunikation garantiert. Algorithmische Codes, die selbst mit Hilfe von Supercomputern kaum zu knacken sind, schützen Schriftstücke nahezu perfekt. Auf dem Bildschirm erscheint nur unleserlicher Buchstaben- und Zahlensalat.
Der »breite Einsatz sicherer Verschlüsselungstechnologien« sei »äußerst wünschenswert, teilweise zwingend«, befand das Geheim-Gremium jüngst. Nur so lasse sich die »Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität der Daten in offenen Kommunikationsnetzen« zuverlässig gegen Wirtschaftsspionage schützen.
Selbst wer mit seiner Bank kommuniziert oder in seinem elektronischen Kaufhaus Shopping macht, soll sich per Krypto-Code legitimieren und so persönliche Daten und Privatsphäre vor Lauschern schützen. US-Experten erwarten, daß die Wachstumsbranche Krypto bis zur Jahrtausendwende weltweit 100 Milliarden Dollar umsetzen wird.
Soviel Schutz bereitet, obwohl gewünscht, der Polizei und den Verfassungsschützern aber auch großen Kummer. »Eine gewaltige Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden« hat Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ausgemacht. Die »in alle Lebensbereiche vordringende Informationstechnik« habe »das Risiko einer kriminellen Schädigung spürbar gesteigert«.
Der Staat fürchtet, »Terroristen, Hehlerbanden, Anbieter harter Pornographie, Drogenschmuggler und Geldwäscher« könnten »künftig ihr Vorgehen durch kryptographische Verfahren schützen«. Schon jetzt würden Rechtsradikale mit verschlüsselten Botschaften über Mailbox oder im Internet kommunizieren. Telefon- und Postkontrolle, heute noch ein wirksames Mittel der Strafverfolger, würden nutzlos. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Peter Frisch, mahnt zur Eile: »Wir müssen verschlüsselte Botschaften lesen können.«
Das aber geht nur, wenn jedes Verschlüsselungssystem vom Staat einzeln genehmigt und der Schlüssel für die Entzifferung zuvor bei einem sogenannten Trust-Center, einer unabhängigen dritten Stelle, hinterlegt wird. Nach den vor allem vom Kanzleramt und Innenministerium favorisierten Plänen müßte jeder, der ungenehmigte Schlüssel benutzt, mit dem Besuch des Staatsanwalts rechnen.
Um derart strenge Regelungen durchzusetzen, die in den USA und den Niederlanden gescheitert sind, wird das Krypto-Gesetz wie eine Verschlußsache behandelt. »Geradezu konspirativ geht es zu«, kritisiert der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka. Dabei sei das Thema »für den Bürger wichtiger als der große Lauschangriff«.
Eine Allianz aus Wirtschafts- und Justizministerium sowie der deutschen Industrie müht sich, die Krypto-Regelung zu stoppen. Sie fürchtet bei einem nationalen Alleingang weltweite Verwicklungen und Rechtsunsicherheiten. Zudem stünden Aufwand und Nutzen in keinem Verhältnis. »Nur um ein paar Kriminelle zu treffen«, spottet ein hoher Ministerialer, »können wir doch nicht allen Bürgern vorschreiben, in einer für uns verständlichen Sprache zu verkehren.«
Die Strafverfolger dagegen fürchten, daß der Staat mit der rasanten technischen Entwicklung nicht mehr Schritt halten kann. Gleichsam als Trauma erlebten Fahnder die Einführung des Handys - die Betreiber hatten keine Mithörmöglichkeiten für die Polizei geschaffen. Alles andere als ein Verschlüsselungsverbot, behauptet der Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), »käme dem Eingeständnis gleich, daß der Staat bereits vor der Technik kapituliert hat«.
Dabei zweifeln selbst die Befürworter der Regelung am technischen Nutzen des Vorhabens. In Wiesbaden demonstrierte der hessische Datenschutzbeauftragte Rainer Hamm vergangenen Monat vor Fachkundigen wie einfach selbst die Tatsache der verdeckten Nachrichtenübermittlung zu tarnen ist. In einem Computerbild der Mona Lisa versteckte er eine kryptierte Meldung mal in der Augenbraue, dann tarnte er sie in Form einer leichten Farbveränderung. Hamms Fazit: »Einschränkungen von Verschlüsselungstechniken sind praktisch überhaupt nicht machbar.«