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VIETNAM / ESKALATION Schlüssel zum Sieg

aus DER SPIEGEL 1/1967

Halber Weihnachtsfriede herrschte in Saigon, als Francis Kardinal Spellman, Erzbischof von New York und Amerikas oberster Militärgeistlicher, unter freiem Himmel eine Weihnachtsmesse zelebrierte. Er ernannte die GIs zu »Soldaten Christi« und beschwor sie: »Wir können gegenüber der Tyrannei nicht nachgeben ... Wir können einen Krieg nicht nur halb gewinnen.«

Halber Weihnachtsfriede herrschte auch in Hanoi, als Harrison E. Salisbury, stellvertretender Chefredakteur der »New York Times«, seine ersten Berichte aus dem Reich Ho Tschi-minhs nach New York kabelte und eindeutig klarstellte: Amerikanische Bomben waren -- entgegen allen Dementis -- auch auf nordvietnamesische Wohngebiete gefallen (siehe Seite 64).

Salisburys kritische Artikel und. Spellmans militante Appelle schockierten die Weltöffentlichkeit. Sie veranlaßten den Sprecher der amerikanischen Juden, Präsident Johnson in einem Telegramm zur Einstellung der Bombenangriffe gegen Nordvietnam zu drängen, und nährten bei Johnsons Landsleuten die Zweifel, ob ihr Präsident in Vietnam immer noch die gerechte Sache vertrete. Der Papst ließ klarstellen, daß sein amerikanischer Kardinal »nicht im Namen der Kirche gesprochen hat«.

Salisburys Berichte offenbarten aber außerdem die Ausweglosigkeit der amerikanischen Vietnam-Politik: Nachdem die Bemühungen des Uno-Generalsekretärs U Thant gescheitert sind, Washington und Hanoi an den Verhandlungstisch zu bringen, fühlt sich Amerikas Regierung gezwungen, den Krieg noch weiter zu verschärfen -- um ihn überhaupt zu gewinnen. Und das bedeutet: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich der schmutzige Krieg alsbald über Laos auch auf Thailand ausdehnen.

Denn die einzige Chance der USA für einen Sieg in· absehbarer Zeit ist die vollkommene Abschnürung der in Südvietnam kämpfenden roten Bataillone vom lebenswichtigen Nachschub aus Nordvietnam.

Das ist den USA trotz der Bomben-Teppiche auf das Nachschubnetz des Ho-Tschi-minh-Pfades bisher nacht gelungen. Wie es gelingen könnte, erläuterte der bis vor wenigen Monaten im Pazifik stationierte Ex-General John K. Waters dem Nachrichtenmagazin »U. S. News & World Report": »Die Marine hält die vietnamesische Küste blockiert. Die Luftwaffe beherrscht den Luftraum. Aber der Schlüssel zum Sieg liegt dort, wo der Feind stark ist -- auf dem Boden. Und am Boden müssen die USA den Gegner isolieren.«

Die US-Streitkräfte sollten, so Waters, den Ho-Tschi-minh-Pfad quer durch Vietnam und das benachbarte neutrale Laos bis zur thailändischen Grenze hin blockieren. Sie sollten mit starken Truppen-Einheiten eine Linie etwas südlich des 17. Breitengrades besetzen.

Wollen die Kommunisten dann weiterhin Nachschub nach Süden schicken, müssen sie den amerikanischen Sperr. Riegel mit starken Kräften angreifen -- »ein schönes Ziel für unsere überlegene Feuerkraft« (Waters).

Die Vorschläge des Generals sind nicht mehr Ideen eines Außenseiters. Je wahrscheinlicher es wird, daß Rotchina auch bei einer weiteren Eskalation des Vietnamkrieges nicht direkt eingreifen möchte, desto beharrlicher drängen Pentagon-Strategen auf eine härtere Kriegführung.

Schon jetzt haben sich im vietnamesischen Teil der geplanten Sperrlinie Marine-Infanteristen aus Da Nang eingegraben, um jede Infiltration zu verhindern. In liaos machen von Amerikanern bewaffnete, ausgebildete und zuweilen auch von US-Spezialisten geführte Bergstämme Jagd auf die roten Nachschubkolonnen. Tag und Nacht detonieren auf den getarnten Dschungel-Pfaden in Laos Bomben und Raketen amerikanischer Kampfflugzeuge.

Sie starten von Flugplätzen, die oft nur zehn oder zwanzig Flugminuten von den Zielen entfernt liegen -- von Rollfeldern eines Landes, das insgeheim längst eine Hauptrolle im Vietnamkrieg spielt, obwohl es offiziell in dem Konflikt neutral ist: Thailand.

Das »Land der Freien« (das bedeutet der Name), zweimal so groß wie die Bundesrepublik und von 33 Millionen Menschen bewohnt, ist in den letzten anderthalb Jahren zur Haupt-Etappe Amerikas im Vietnamkrieg gewerden.

Auf Thai-Territorium stehen bereits 35 000 US-Soldaten. Weite Teile des Landes sind militärische -- Grollbaustellen. Die Amerikaner bauten in Sattahip am Golf von Siam einen Hafen, in dem 40 000-Tonner schnell entladen werden können. Sie trieben die »Freundschaftsstraße« quer durch das ganze Land -- eine strategische Rollbahn, deren gerade Strecken als Behelfsflugplätze dienen können. Und sie betonierten bisher acht große Luftwaffen-Basen in die rote Erde Thailands. Von diesen Stützpunkten- aus fliegen 400 Maschinen etwa zwei Drittel aller Bombenangriffe auf Nordvietnam.

Doch Thailand ist nicht nur Etappe. Das Land, dessen König in Amerika geboren wurde, ist bereits selbst in den Krieg der Amerikaner um Südostasien geraten. In Saigon trafen· letzte Woche die ersten 200 thailändischen Marine-Soldaten ein. Sie sollen Vietnamesen ausbilden.

Thai-Piloten fliegen in laotischen Uniformen und Maschinen der königlich laotischen Luftwaffe eigene Angriffe auf die Roten in Ost-Laos. Thai-Infanteristen fliegen in US-Helikoptern zu Einsätzen im Nordosten ihres eigenen Landes. Denn dort, am Mekong-Bogen, im unterentwickelten »Sibirien Thailands« (so der Londoner »Observer"), haben rote Partisanen damit begonnen, den Volkskrieg chinesischer Prägung auch in das Land der Freien zu tragen.

In den kargen, armen Phu-Pan-Bergen siedeln starke laotische und vietnamesische Minderheiten. Sie stellen einen Teil der Kader für Partisanentrupps« die in Nordvietnam ausgebildet und ausgerüstet werden. Der Kern der roten Bürgerkriegstruppe wird zur Zeit auf etwa tausend Mann geschätzt; ihnen fielen bereits zahlreiche Polizisten, Ortsvorsteher und Regierungsfunktionäre zum Opfer.

Mit massiver US-Unterstützung (Wirtschaftshilfe bisher etwa zwei Milliarden Mark, militärische Investitionen etwa ebensoviel) versuchen die Thais, der Partisanen-Bewegung den Nährboden zu entziehen. Die Regierung in Bangkok baut Straßen, Bewässerungsanlagen und Schulen und schickt halbmilitärische Entwicklungshelfer in die entlegensten Dörfer.

Doch der Nordosten ist schon zu stark rot infiltriert. Die Entwicklungshelfer erzielen nur Teil-Erfolge, und trotz intensiver Partisanen-Jagd blieben bisher kaum hundert Guerillas auf der Strecke.

Aus den Partisanen-Scharmützeln im Phu-Pan-Gebirge können -- sich aber sehr bald regelrechte Gefechte entwickeln: dann nämlich, wenn die USA ihr Sperr-Riegel-Projekt quer -- durch Laos verwirklichen. In diesem Fall könnten die roten Nachschub-Bataillone für den Kriegsschauplatz in Südvietnam nur in einer Richtung ausweichen -- über den Mekong hinüber -- nach Thailand.

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