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SPIEGEL-GESPRÄCH »Schluss mit den Tändeleien!«

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), 52, über das rechte Maß an Kooperation und Konfrontation in der Außenpolitik, seine wachsende Ungeduld im iranischen Atompoker und den Umgang der SPD mit ihrem ehemaligen Spitzenmann Wolfgang Clement
Von Georg Mascolo, Markus Feldenkirchen und Ralf Beste
aus DER SPIEGEL 32/2008

SPIEGEL: Herr Minister, welche Eigenschaften von Barack Obama hätten Sie selbst gern?

Steinmeier: Ich glaube, in der Politik kommt es darauf an, authentisch zu bleiben. Darum bemühe ich mich und habe nicht den Eindruck, dass das ohne jeden Erfolg war.

SPIEGEL: Sie wollen schon einmal eine Ähnlichkeit zwischen sich und Obama entdeckt haben: Sie stünden beide für eine Politik der Kooperation statt der Konfrontation. Wie meinen Sie das?

Steinmeier: In der Tat spricht sich Obama für mehr Kooperation in der Außenpolitik aus. Ich wende mich gegen den Versuch, 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges altes Blockdenken zu revitalisieren. Das kann nur schiefgehen in einer Welt, die sich neu ordnet. Diese Gefahr sehe ich in der Tat auch in der Vorstellung einer »Allianz der Demokratien«, die uns, den Westen, undifferenziert gegen den Rest der Welt stellen würde.

SPIEGEL: Der Rest der Welt wären etwa Russland und China.

Steinmeier: Obama denkt da anders, das schließe ich zumindest aus unseren beiden

bisherigen Gesprächen. Er will nach meinem Eindruck Gesprächskanäle wieder öffnen, die in den letzten Jahren verschüttet wurden. Wenn Obama auf eine globalisierte Welt schaut, wenn er sagt, der Westen müsse seine Rolle neu definieren, um diese Welt neu zu ordnen, dann kann mir das nur recht sein. Wir brauchen eine Neuvermessung der Welt.

SPIEGEL: Viele Deutsche waren begeistert von Obama und seinem Auftritt in Berlin. Ein Sprecher McCains schimpfte nachher über die »kriecherischen Deutschen«. Fühlten Sie sich angesprochen?

Steinmeier: Nein. Ich fand das unangemessen und falsch. Soll damit der Eindruck erweckt werden, dass die Deutschen Gefahr laufen, einem charismatischen Redner unkritisch zu folgen? Sechs Jahrzehnte demokratischer Nachkriegsentwicklung in Deutschland widerlegen diesen Vorwurf. Auch wenn Obama viele begeistert hat, waren die Zuhörer in Deutschland deswegen nicht unkritisch oder gar kriecherisch.

SPIEGEL: Die Begeisterung könnte jäh enden, wenn ein Präsident Obama die ersten harten Entscheidungen fällt.

Steinmeier: Enttäuscht werden könnten die Deutschen aber nur, wenn sie völlig falsche Vorstellungen vom Präsidentschaftsbewerber Obama hätten. Sollte Obama Präsident werden, würde er in erster Linie die Interessen des amerikanischen Volkes vertreten. Und das wissen die Deutschen auch.

SPIEGEL: Können Sie nach drei Jahren gemeinsamer Außenpolitik sagen, ob Frau Merkel eher für eine Außenpolitik der Konfrontation oder der Kooperation steht?

Steinmeier: Ich ahne schon die Schlagzeile, die Sie sich wünschen. Nein, mit so einfachen Überschriften möchte ich nicht hantieren. Wir haben in diesen drei Jahren in den großen Grundlinien der deutschen Außenpolitik Gemeinsamkeit gehalten. Das schließt ja nicht aus, dass der Außenminister und die Bundeskanzlerin in Einzelfragen auch diskutieren und manchmal unterschiedliche Einschätzungen über den richtigen Weg zum Ziel haben.

SPIEGEL: Die Liste der Streitigkeiten ist lang. Syrien, China, Russland, Kuba - immer geht es um die Frage: Wie geht man mit autoritären Regimen um?

Steinmeier: Unterschiedliche Weisen, auf die Welt zu schauen, will ich gar nicht leugnen. Das muss nicht schädlich sein, wenn am Ende ein Ausgleich stattfindet, der den außenpolitischen Interessen dieses Landes dient. Und das schließt ein, dass man sich über das Verhältnis zu den schwierigen Partnern zusammenfindet.

SPIEGEL: Ihnen wird vorgeworfen, zu viel Verständnis für autokratische Regime zu zeigen. Frau Merkel traut sich auch mal eine Konfrontation zu. Ist sie die Mutigere?

Steinmeier: Manchmal habe ich den Eindruck, einer der Letzten zu sein, der an die Stärken unserer offenen Gesellschaften glaubt. Ich plädiere für mehr Selbstbewusstsein im Umgang mit schwierigen Ländern. Außenpolitik gegenüber Österreich, der Schweiz und Dänemark ist meist einfacher als gegenüber Russland, China und Syrien. Aber ich bin überzeugt: Wir brauchen Dialog und Austausch nicht zu fürchten.

SPIEGEL: Der richtige Umgang mit China ist derzeit wieder ein großes Thema. Wie finden Sie es, dass China während der Olympischen Spiele Journalisten den Internet-Zugang beschränkt?

Steinmeier: Ich verstehe nicht, warum die chinesische Regierung mit der Begrenzung des Internet-Zugangs erneut weltweite Skepsis geweckt hat. Ich habe meinem chinesischen Kollegen dieses Unverständnis deutlich vorgetragen.

SPIEGEL: Sind solche autoritären Regime vielleicht unverbesserlich und fallen immer wieder in Kontrollreflexe zurück - egal was sie versprechen?

Steinmeier: Der aktuelle Vorgang eignet sich jedenfalls nicht als Beweis des Gegenteils. Aber uns muss klar sein: Der Weg zu einer offeneren Gesellschaft verläuft nie linear und ohne Rückschläge - erst recht nicht in einem so komplexen Land wie China.

SPIEGEL: Und was folgern Sie daraus?

Steinmeier: Dranbleiben, auch wenn wir uns oft ärgern und manchmal einfach wundern. Auf unsere Stärken vertrauen und Auseinandersetzungen, wo notwendig, selbstbewusst führen. Der Bau einer neuen Weltordnung kann nicht ohne oder gar gegen solche Mächte stattfinden. So schön es wäre - per Kabinettsbeschluss können wir China und Russland jedenfalls nicht ändern.

SPIEGEL: In Russland hat der umstrittene Wladimir Putin vor kurzem das Präsidentenamt geräumt. Besteht jetzt die Chance für einen Neuanfang mit Dmitrij Medwedew?

Steinmeier: Die Ankündigungen Medwedews sind zumindest eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit. Er will den Rechtsstaat ausbauen und die Wirtschaft modernisieren. Ich habe Russland angeboten, mit uns eine Modernisierungspartnerschaft einzugehen, um etwa das russische Gesundheitssystem oder die Energieversorgung zu sanieren. Ich würde mir wünschen, dass beim bevorstehenden Russland-Besuch von Frau Merkel hier schon in die konkrete Ausarbeitung eingestiegen wird.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass Medwedew Russland demokratisieren möchte?

Steinmeier: Ich glaube, er wird sich auf Fragen des Rechtsstaats und der Wirtschafts- und Verwaltungsreform konzentrieren. Das würde die Voraussetzung für eine weitere Demokratisierung schaffen.

SPIEGEL: Ihre Kooperationsbereitschaft mit Iran dürfte langsam an ihre Grenzen stoßen. Teheran schlägt zwar im Atomkonflikt immer neue Gesprächsrunden vor, aber bewegt sich keinen Zentimenter.

Steinmeier: Ich kann Ihre Ungeduld verstehen, und ich teile sie. Wir bieten Iran eine umfassende Kooperation an, selbst die Amerikaner haben sich sichtbar engagiert und erstmals einen Verhandler geschickt. Alles das sollte signalisieren, dass hier wirkliche Entschlossenheit zu einer diplomatischen Lösung besteht. Deshalb appelliere ich nochmals an die iranische Seite, nicht länger auf Zeit zu spielen, sondern uns eine verwertbare Antwort auf unsere Angebote zu geben: Schluss mit den Tändeleien!

SPIEGEL: Was erwarten Sie konkret?

Steinmeier: Ein klares Signal für ein beidseitiges Einfrieren - wir würden dann unsere Sanktionsbemühungen einfrieren und Iran den Ausbau seiner Zentrifugen. Das ist ein klares Angebot, das eine klare Antwort verdient, und zwar bald.

SPIEGEL: Jetzt muss es also zum Schwur kommen?

Steinmeier: Es wäre fahrlässig, die jetzige Chance nicht zu nutzen.

SPIEGEL: Und wenn die Iraner weiter tändeln? Ist dies das Ende der Diplomatie?

Steinmeier: Dann müssten wir den Druck auch über Sanktionen weiter verschärfen. Niemand wünscht sich, dass es auf diesem Weg weitergeht; aber der Schlüssel dafür liegt in Teheran.

SPIEGEL: Nach Ihrem jüngsten Afghanistan-Besuch haben Sie die dramatische Lage dort nicht schöngeredet. Das amerikanische Magazin »Newsweek« vergleicht Kabul schon mit Bagdad. Teilen Sie diese Einschätzung?

Steinmeier: Nein. Ich habe sehr unterschiedliche Beobachtungen gemacht. In Herat etwa erobert sich die Normalität den Alltag zurück, in den Geschäften liegen Waren, die Menschen wirken selbstbewusst. Kabul dagegen ist immer noch vom Krieg gezeichnet, die Anschläge sorgen für Nervosität. Besondere Sorge weckt bei mir die Entwicklung in Pakistan. Von dort ist ein erneuter Zustrom militanter Islamisten zu verzeichnen.

SPIEGEL: Befürworten Sie die Entsendung von Awacs-Flugzeugen der Nato nach Afghanistan?

Steinmeier: Wir sollten nicht jede Anforderung von mehr Militär für gottgegeben halten und sofort ja und amen sagen. Da der Bundestag über die Awacs-Maschinen entscheiden muss, sind wir als Regierung gut beraten, die Grundlage für eine mögliche Entscheidung sorgfältig vorzubereiten.

SPIEGEL: Das klingt eher skeptisch.

Steinmeier: Das mögen Sie so empfinden. Ich habe in den Afghanistan-Debatten der letzten Jahre unter anderem eines gelernt: Militärs reagieren allergisch darauf, wenn Diplomaten ihnen sagen, was sie tun sollen. Deswegen wissen sie es jetzt sicherlich zu schätzen, wenn die Diplomaten sagen: Warten wir jetzt erst mal einen gut fundierten, sauber begründeten militärischen Ratschlag ab.

SPIEGEL: Wie lange können Sie es sich noch leisten, vor allem Außenpolitik zu machen? Bald steht der Wahlkampf an.

Steinmeier: Sie müssen sich schon entscheiden: Mache ich Außenpolitik, kommt der Vorwurf, ich flüchte vor der Innenpolitik. Mische ich mich im Innern ein, heißt es: Deutschlands Interessen in der Welt werden vernachlässigt. Was ist das rechte Maß?

SPIEGEL: Das wüssten wir gern von Ihnen.

Steinmeier: Diese Frage beantworte ich durch tägliches Tun. Als ich Vizekanzler wurde, kam die Frage auf, ob ich jetzt noch Außenpolitik machen kann. Damals habe ich zart darauf hingewiesen, dass ich nicht der erste Vizekanzler bin, der gleichzeitig Außenminister ist. Und als ich stellvertretender Parteivorsitzender wurde, gab es die gleichen Kommentare. Alles andere sind ungelegte Eier.

SPIEGEL: Es ist ja vielleicht eine Frage des Konfliktmanagements. Vielleicht müssen Sie sich mit der Kanzlerin mehr in der Innenpolitik streiten, damit Sie Ihre Außenpolitik weiter in Ruhe machen können?

Steinmeier: Die Frage unterstellt, dass die Kandidatenfrage in der SPD entschieden wäre.

SPIEGEL: Und das ist sie nicht?

Steinmeier: Nein, das ist sie nicht.

SPIEGEL: Wo Sie doch ein Feind der Konfrontation sind, dürfte Ihnen der Rauswurf Ihres Parteifreunds Wolfgang Clement nicht gefallen haben.

Steinmeier: Der Spruch der NRW-Schiedskommission ist nicht gerade ermutigend, aber das letzte Wort in der Sache ist zum Glück noch nicht gesprochen.

SPIEGEL: Clements Aufforderung, die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti in Hessen nicht zu wählen, war auch recht konfrontativ.

Steinmeier: Natürlich waren seine Äußerungen über den SPD-Wahlkampf in Hessen damals alles andere als hilfreich ...

SPIEGEL: Damals nannten Sie sie schädlich und illoyal ...

Steinmeier: Sie halten Ihr Archiv in Ordnung. Aber im Ernst: Wir sollten uns Wolfgang Clement als Querdenker vorstellen, dieses Attribut ist in unserer Partei sympathischerweise kein Schimpfwort. Ein Querulant ist er aber gewiss nicht. Er hat über Jahrzehnte seine Verbundenheit mit der SPD bewiesen. Als Gerhard Schröder ihn 2002 rief, hat er das Amt des NRW-Ministerpräsidenten aufgegeben und sich in Berlin in die Pflicht nehmen lassen.

SPIEGEL: Ist der Rausschmiss des Genossen Clement eine späte Rache für die verhassten Hartz-Reformen des Wirtschaftsministers Clement?

Steinmeier: Die Reformen, die wir gemeinsam mit Wolfgang Clement durchgesetzt haben, haben in der SPD viele Wunden gerissen. Die werden aber nicht rascher verheilen, wenn Clement die SPD verlassen muss.

SPIEGEL: Haben Sie Angst vor Frau Ypsilanti?

Steinmeier: Warum sollte ich?

SPIEGEL: Rechnen Sie mit einem zweiten Versuch von Frau Ypsilanti, mit Hilfe der Linkspartei Ministerpräsidentin zu werden?

Steinmeier: Darüber haben wir uns lange genug öffentlich gestritten - ein Streit, der nicht immer zum Nutzen unserer Partei war. Wir haben dazu Beschlüsse gefasst. Ich hoffe, dass alle Entscheidungen in Hessen in dieser Verantwortung getroffen werden.

SPIEGEL: Sind Sie sicher, dass das ausreicht, um einen zweiten Anlauf zu verhindern?

Steinmeier: Sagen wir es plastischer: Der Parteivorsitzende Kurt Beck hat nach dem ersten Fehlversuch sinngemäß gesagt, niemand renne zum zweiten Mal mit dem Kopf vor dieselbe Wand.

SPIEGEL: Frau Ypsilanti sagt aber, sie sehe gar keine Wand, sondern ein unbestelltes Feld. Heißt Verantwortung, dass Frau Ypsilanti es nicht noch mal versuchen darf?

Steinmeier: Das sind Diskussionen, die wir nicht über den SPIEGEL mit Frau Ypsilanti führen sollten.

SPIEGEL: Herr Minister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Bei seinem Berlin-Besuch im Juli. * Oben: bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele am 25. Juli; unten: Georg Mascolo, Markus Feldenkirchen und Ralf Beste in Berlin.

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