BILDUNG / BERUFSFORSCHUNG Schmales Feld
Westdeutsche Lehrlinge, so stellte der Berliner Bildungsforscher Dietrich Winterhager unlängst fest, werden »nach Regeln ausgebildet, die zum Teil noch aus dem Zunftwesen des Mittelalters herrühren«. Dem Münsteraner Soziologen Dr. Heinrich Ebel fiel »ins Auge, daß die Lehrzeit noch weitgehend eine »Leerzeit' ist«.
Diesen für den einzelnen Lehrling und für die Produktivkraft der Wirtschaft gleichermaßen abträglichen Bildungsleerlauf abzustellen, stünde Arbeitgebern ebenso an wie Gewerkschaften. Doch beide haben sich mit Reformkonzepten bislang schwergetan -die einen befangen in Prinzipal-Tradition, die anderen im Tarif-Denken.
Die Neuorientierung und Neuorganisation der Berufsausbildung modellhaft vorzubereiten, obliegt jetzt einem wissenschaftlichen Institut, das seine Arbeit im Oktober 1970 in Berlin aufgenommen hat. Das »Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung« soll mit einem Jahresetat von acht Millionen Mark Reformprogramme für Berufsschulen und berufliche Ausbildungsgänge entwerfen. Doch auch bei diesem Versuch droht -- so fürchtet der SPD-Bundestagsabgeordnete Harry Liehr -, daß wieder »alles in die Mangel sozialpartnerschaftlicher Kompromisse und Querelen« gerät.
Von derlei Sorgen geplagt, hatte schon im Juli der erst wenige Monate zuvor gewählte Präsident des Instituts, der Münchner Soziologe Burkart Lutz, seine Mitarbeit vorzeitig aufgekündigt. Wie der Politiker hatte auch der Honorarprofessor »offensichtliche Strukturschwächen in den gesetzlichen Grundlagen des Instituts« erkannt.
Tatsächlich ist der Gesetzgeber mit der Konstruktion des Bundesinstituts« das die Berufsbildung von Grund auf modernisieren soll, weit hinter die Bestimmungen für andere, ebenfalls aus öffentlichen Mitteln geförderte Forschungsinstitutionen zurückgefallen.
So hat ein Hauptausschuß, dem je fünf Delegierte der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften sowie je ein Vertreter des Bundeswirtschafts- und des Bundesarbeitsministeriums angehören. über den Haushaltsplan und das Forschungsprogramm »zu beschließen«. Der Präsident des Instituts hat das beschlossene Programm dann nur noch »durchzuführen«.
Mit Recht moniert der Berliner Bildungsökonom Professor Friedrich Edding auch: »Diejenigen, die Berufsbildung praktisch betreiben, nämlich die Lehrer der berufsbildenden Schulen und die Ausbilder, sind bei Beschlüssen über das Forschungsprogramm nicht beteiligt.« Und der Berliner Bildungsforscher Wolfgang Lempert befürchtet, das Institut könne wegen seiner Abhängigkeit von den Vertretern beider Sozialparteien »voraussichtlich nur jenes schmale Feld beackern, in dem die wohlverstandenen Interessen der Unternehmerverbände mit den unaufgeklärten Interessen der Gewerkschaften übereinstimmen
Selbst das Organ des gewerkschaftseigenen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts ("WWI-Mitteilungen") prognostizierte: » Die Erforschung von bestimmten Problemen und die Ausarbeitung von Reformvorschlägen, die das bestehende Berufsbildungssystem und die gegebene Praxis in Frage stellen«, könnten »eventuell be- oder gar verhindert werden«.
Nach dem Prinzip des Interessenausgleichs verfuhr der Hauptausschuß bereits bei der Auswahl der Direktoren. Sie stehen den Forschungs- und Fachabteilungen des Instituts vor und dürfen nach etwa zwei Jahren den Professorentitel erwarten. Die exakt zwischen Gewerkschafts- und Arbeitgeberwünschen austarierten ersten Entscheidungen fällte der Hauptausschuß zugunsten zweier Gewerkschafts- und zweier Arbeitgeberfunktionäre. Zum fünften Direktor wurde der West-Berliner Arbeitsamtsleiter Karl-Heinz Grunwald berufen.
Um die Stellung der Instituts-Wissenschaftler gegen die Funktionäre dennoch zu stärken, hatte Ex-Präsident Lutz den Hauptausschuß mit höchst anspruchsvollen Gehaltsforderungen für sich und seine Forscher konfrontiert: »Mit A-15-Stellen«, so prophezeite der Soziologe, »kriegt man keine erstklassigen Wissenschaftler nach Berlin. Und eine Fachebene, die nur ein 08/15-Stab ist, wird bei dieser Konstruktion hoffnungslos untergebuttert.«
Als die Gehalts-Pläne des Präsidenten abschlägig beschieden wurden, trat Lutz damals von seinem Posten zurück. Nun obliegt es dem inzwischen neu gewählten Präsidenten, dem Hannoveraner Berufspädagogen Professor Hans-Joachim Rosenthal, »unter verbesserten finanziellen Bedingungen« (Rosenthal) einen Forscherstab für das Bundesinstitut zusammenzustellen. Bildungsforscher Edding aber meint, das neue Institut sei schon aufgrund seiner organisatorischen Konstellation »kaum attraktiv für qualifizierte Wissenschaftler«. Die Berufsbildungsforschung. so urteilt der Professor, »können wir jetzt schon als einen wissenschaftlich ergiebigen Forschungszweig abschreiben«.