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SCHWEIZ / TODESSTRAHLEN Schnee geschmolzen

aus DER SPIEGEL 30/1963

Ungewöhnliche Order lief Anfang vergangener Woche bei eidgenössischen Polizeidienststellen ein:

Die Gesetzeshüter wurden angehalten, nach einem Mann zu fahnden - freilich nicht, um ihn zu verhaften. Vielmehr sollte sichergestellt werden, daß der Gesuchte wirklich verschwunden ist und damit die eidgenössische Bürokratie von einer Blamage befreit hat.

Der Gesuchte nennt sich Dr. Hans Ehrhardt und hieß früher Hans Engelke. Als Amateur-Physiker war er - nach eigenen Angaben zusammen mit Wernher von Braun - in der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches beschäftigt gewesen.

Dabei erfand er eine Wunderwaffe: Engelke wollte in den von feindlichen Bomberstaffeln durchflogenen Luftschichten dichte Wolken feinster Kohlenstoffpartikel verteilen. Mittels einer Zündrakete sollte beim Herannahen von Feindflugzeugen ein Schlagwetter in der Atmosphäre erzeugt werden. Beim ersten und einzigen Versuch mit seiner Wunderwaffe, so fabulierte Engelke-Ehrhardt, seien im April 1945 gleich 36 Bomber auf einen Schlag vom Himmel geholt worden.

Nach Krieg und alliierter Internierung wandte sich Autodidakt Ehrhardt einem anderen physikalischen Phänomen zu: Er begann Versuche mit Strahlen, die laut eigener Aussage »im Frieden Kranke heilen und im Kriege Feinde töten« sollten.

Aus einer Gasplasma-Quelle gedachte der Erfinder mit großen Hohlspiegeln einen gebundelten ultravioletten Lichtstrahl herzustellen. Dieser Todesstrahl sollte einerseits 30 000 Kilometer weit wirken und eine »ungeheure Zerstörungskraft« (so Ehrhardt) entwickeln, andererseits aber Krebskranke von ihren Leiden befreien, »ohne daß Knoten oder Kapselungen zurückbleiben«.

In der Bundesrepublik gelang es dem modernen Cagliostro nicht, seine Ideen zu verkaufen, obgleich Deutschland stets ein dankbares Feld für Wundermänner war: Nach dem Ersten Weltkrieg gelang es dem geisteskranken österreichischen Landbriefträger Karl Schappeller, Ex-Kaiser Wilhelm II. große Summen für einen Plan zu entlocken, Deutschland »durch die Nutzung ungeheurer Energien aus dem kosmischen Raum zur ersten Weltmacht zu machen«. Zur selben Zeit begeisterte ein Betrüger namens Franz Tausend den General Ludendorff mit seiner angeblichen Fähigkeit, aus Eisen und Blei Gold zu gewinnen.

Dem Strahlenmagier Ehrhardt glückte es hingegen Anfang 1961, die Kriegstechnische Abteilung (KTA) des Eidgenössischen Militärdepartements in Bern für seine phantastischen Projekte zu interessieren.

Die schweizerischen Landesverteidiger luden Ehrhardt am 24. Februar 1961 zu einer Besprechung ein und forderten ihn auf, schriftliche Unterlagen beizubringen. Eine Prüfung des Ehrhardt -Exposes durch Züricher TH-Professoren veranlaßte freilich die KTA am 31. Mai 1961 dazu, auf eine weitere Zusammenarbeit mit Ehrhardt zu verzichten.

Interessiert an den Künsten des deutschen Physikers blieb indes weiterhin ein Beamter der KTA: Adjunkt Eugen Burkhard, Chef der Rüstungszentrale der Kriegstechnischen Abteilung, erhoffte sich von Ehrhardts Ideen Entdecker-Ruhm und förderte den Deutschen in eigener Regie.

Als KTA-Beamten fiel es Burkhard leicht, dem Forscher Aufenthaltsbewilligung und Wohnung zu verschaffen. Im August 1961 siedelte sich der Waffenrevolutionär mit Gattin Ilse und vier Sprößlingen am Sarner See im Kanton Obwalden an.

Rückendeckung für die folgenden Versuche wurde Ehrhardt durch die »Bewilligung 2524« der KTA zuteil, in der dem Physiker gegen Entrichtung von 50 Franken Gebühr und 80 Rappen Porto routinegemäß erlaubt wird, »Prototypen zu Geschossen ohne Patronenhülsen bis zum Kaliber 30 mm herzustellen«.

In Wahrheit experimentierte der Sarner Neubürger aber nicht mit 30-mm-Geschossen, sondern mit »Todesstrahlen«. Mit diesen Produkten seines Erfindergeistes schmolz Ehrhardt im letzten Frühjahr - so erzählte er der »Deutschen National-Zeitung« - auf eine Entfernung von zwölf Kilometern binnen Sekunden anderthalb Meter hohen Gletscherschnee. Applaudierte die DNZ: »Erfinder Dr. Ehrhardt, Herr über Tod und Leben.«

Ungemach näherte sich dem Herrn über Tod und Leben freilich, als Anfang Juni ein Photo erschien, das den Ehrhardtschen Todesstrahl als drohend himmelwärts gerichteten Finger über dem Sarner See zeigte.

Die eidgenössische Presse, von der schockierten Fremdenindustrie alarmiert, überhäufte die nichtsahnende Kriegstechnische Abteilung mit Vorwürfen wegen dieser »lebensgefährlichen Experimente«, während die Sarner Gastwirte Schadenersatz für die Gäste forderten, die wegen der Todesstrahlen fernbleiben würden.

Das Militärdepartement ließ eilends verlauten, Ehrhardt habe »keinen Rappen« schweizerischer Steuergelder für seine Experimente erhalten. Zugleich interessierte sich die eidgenössische Sicherheits- und Fremdenpolizei eingehend für den Deutschen.

Dabei ergab sich laut Polizeibericht, daß Ehrhardt »über wesentliche Punkte seiner Person und seines Vorlebens unwahre Angaben gemacht hatte, so über seine Tätigkeit in der DDR«.

Da witterten die Behörden die Chance, sich des peinlichen Gastes zu entledigen: Am 4. Juni eröffnete die Fremdenpolizei Obwalden dem Ehrhardt, daß sein Aufenthalt bis zum 15. Juli 1963 befristet sei.

Zwei Tage vor Ablauf der Frist, in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli, verschwand Ehrhardt aus seinem Sarner Domizil, ohne sich abzumelden oder eine Adresse zu hinterlassen.

Mit seinem allzu stillen Abschied wurde Ehrhardt freilich gezwungen, vorerst auch auf die Verwirklichung eines Planes zu verzichten, den er in der Ende 1962 herausgegebenen Schrift »Der neue Weg« publik gemacht hatte: die Nutzbarmachung eines von ihm erdachten Perpetuum mobile.

Erfinder Ehrhardt

»Ungeheure Zerstörungskraft ...

... über 30 000 Kilometer": Ehrhardt-Strahl am Sarner See

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