SPD Schnell an die Wand
Wenigstens etwas haben die Sozialdemokraten von der ungeliebten Kohl-Regierung gelernt: Sie wollen, wenn sie an der Macht sind, den Bürgern Steuergeschenke nicht erst versprechen und dann später wieder wegnehmen, wenn die Rechnung in Gestalt von Steuererhöhungen auf Benzin, Alkohol und Tabak präsentiert wird. Die Genossen in der SPD-Vorstandskommission »Fortschritt 90«, die unter Leitung von Parteivize Oskar Lafontaine seit Monaten an einem Wahl- und Regierungsprogramm arbeiten, nennen das die »Methode Stoltenberg«.
Harald B. Schäfer, Umweltexperte der SPD-Bundestagsfraktion, wählte den umgekehrten Weg, die dramatische Pose. Um den Bürgern zu zeigen, wie ernst es die Sozis mit dem Schutz der Wälder und der Luft halten, forderte er öffentlich eine Verteuerung des Benzinpreises um bis zu 50 Pfennig über eine höhere Mineralölsteuer.
Auch die »Methode Schäfer« stieß auf Kritik. Einigen aus der Lafontaine-Kommission schwoll der Kamm, weil sie dem Kollegen die Publizität neideten. Andere, darunter der Vorsitzende Lafontaine und der Chef der Arbeitnehmergruppe, Rudolf Dreßler, fürchteten, die Wähler würden eher abgeschreckt, wenn sie - selbst für eine gute Tat - soviel mehr Geld für den Liter Benzin zahlen sollten.
Die Genossen plädierten für die bewährte »Methode SPD«, das kräftige Sowohl-Als-auch: Es sollen die geplanten Entlastungen, nämlich Steuersenkungen vor allem für Kleinverdiener und ein Härteausgleich für Bedürftige, stets im Zusammenhang mit den notwendigen Opfern für die Umwelt gerühmt werden.
Siebenmal seit der Konstituierung Anfang November vergangenen Jahres haben bislang die 22 »wichtigen Meinungsmacher der SPD, alles Leute, die das Land regieren wollen« (Volker Hauff), unter Lafontaines Vorsitz beraten, wie die SPD vor der Wahl mit ihrem ärgsten Handikap fertig wird: Sie muß bei den Bürgern wieder jenes Vertrauen in die wirtschaftliche Kompetenz wecken, das die Partei zu Karl Schillers Zeiten einmal genoß; zwei Jahrzehnte ist es her.
Dazu gehört das Kunststück, die Wähler mit einer Steuerreform anzulocken, die solide finanziert ist - eine Aufgabe für den roten Hoffnungsträger Lafontaine, der dem Parteivorstand unlängst einen »Halbzeit«-Bericht ablieferte. Er meldete, schon jetzt könne sich die SPD »drei Erfolge ans Revers heften":
Die Unternehmer sollen keine Angst vor sozialistischen Umverteilungsexperimenten haben. Lafontaine garantiert ihnen bei der Reform der Unternehmensteuern »Aufkommensneutralität«, die Gesamtbelastung der Wirtschaft soll also auf gleicher Höhe bleiben.
Die sozialdemokratische Idee der Öko-Steuer ist laut Lafontaine inzwischen bei allen Parteien »unumstritten«, doch gebe es bei den anderen »unterschiedlichen Mut zur Konkretisierung«.
Die SPD will die »Partei der sozialen Gerechtigkeit« bleiben und auch bei der Lohn- und Einkommensteuer die Aufkommensneutralität beachten: Es werden Steuerbegünstigungen für kinderlose Familien gekürzt, Kinderfreibeträge gestrichen. Mit dem Ersparten soll ein Kindergeld von 200 Mark vom ersten Kind an finanziert werden.
Soziale Wohltaten und Wahlgeschenke gibt es nur, wenn die Kasse das erlaubt - in Bonn wie in Saarbrücken. Als im saarländischen Kabinett am Dienstag letzter Woche der Vorschlag kam, das von der Bonner Koalition geplante Erziehungsgeld um ein paar Milliarden zu übertrumpfen, tobte der Ministerpräsident: »Seid ihr bekloppt? Wenn ihr so weitermacht, seid ihr schneller an der Wand, als ihr glaubt!«
Auch in seiner Fortschrittskommission hat der SPD-Vize eine ähnliche Parole ausgegeben: »Lieber drei Sachen, die stimmen, als zehn, die einen Haken haben.« Der baden-württembergische Oppositionsführer Dieter Spöri bestätigt das Versprechen: »Die Finanzierung wird in jedem Punkt mit größter Verbindlichkeit penibel geprüft.« Darin ist sich die Runde einig, von NRW-Städtebauminister Christoph Zöpel bis zur finanzpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ingrid Matthäus-Maier, die zu Beginn der Kommissionsarbeit die Kosten aller bis dahin vorliegenden Parteibeschlüsse ausgerechnet hatte und zu ihrem Erschrecken auf ein jährliches Plus von 35 Milliarden Mark gekommen war.
Innerhalb der daraufhin selbstgesteckten Grenze wollen die Sozis aber kräftige Akzente, vor allem zugunsten der Umwelt, setzen. Die Sozialdemokraten trauen sich zu, einen »ökologischen Umbau der Industriegesellschaft« anpacken und die ökologische Erneuerung überwiegend mit marktkonformen Mitteln erreichen zu können: Indem der Naturverbrauch neben Kapital und Arbeit zum Kostenfaktor gemacht wird, so das Prinzip, wächst das Interesse des einzelnen, diese Kosten zu vermeiden, sich also umweltgerechter zu verhalten. Spöri hoffnungsfroh: »Da können wir die Koalition auf ihrem ureigenen Feld, der Marktwirtschaft, in Schwierigkeiten bringen.« Und ganz en passant gemeinsame Sache mit dem grünen Realpolitiker Joschka Fischer machen (siehe Seite 64).
Die Sozialdemokraten zielen vor allem auf den Verbrauch fossiler Energien, der laut Schäfer für die Hälfte der jährlich in der Bundesrepublik entstehenden Umweltschäden in Höhe von geschätzt 100 Milliarden Mark verantwortlich ist. Mit höheren Energiesteuern soll der Verbrauch gesenkt werden. Die Mehrbelastung der Bevölkerung wollen die Sozis durch geringere Besteuerung der Arbeit über einen höheren Grundfreibetrag oder, bei Nichtsteuerpflichtigen, durch höhere Wohn-, Heizkosten- oder Sozialzuschüsse kompensieren.
Die Kraftfahrzeugsteuer soll, weil nicht verbrauchsabhängig, abgeschafft und auf die Mineralölsteuer umgelegt werden: Für Pendler ist zum Ausgleich eine neue Entfernungspauschale bis zu 50 Pfennig pro Kilometer (derzeit 42 Pfennig) vorgesehen. Der Benzinpreis soll sich am oberen EG-Niveau orientieren, das derzeit von Frankreich mit knapp zwei Mark für Supersprit angeführt wird.
Weniger detailliert als das Öko-Steuer-Programm wird aus heutiger Sicht das SPD-Konzept zur Unternehmensbesteuerung ausfallen. Als Leitsatz gilt, daß die Steuerbelastung der Wirtschaft weder gesenkt noch erhöht werden soll. Es könnte also bei den vom früheren CDU-Finanzminister Gerhard Stoltenberg gesenkten Spitzensätzen der Einkommen- und Körperschaftsteuer (von 1990 an: 53 und 50 Prozent) bleiben.
Weil es im FDP-geführten Wirtschaftsministerium allerdings Pläne gibt, den Unternehmern im Wahlkampf eine Nettoentlastung von 20 bis 25 Milliarden Mark auszuloben - darunter einen Spitzensatz bei Einkommen- und Körperschaftsteuer von nur 46 Prozent -, hat die frühere Freidemokratin Ingrid Matthäus-Maier ein Modell mit Spitzensätzen von 49 Prozent entworfen, das die Staatskasse rund acht Milliarden Mark kostet. Um diese Summe müßten Abschreibungsvergünstigungen und andere Subventionen gekürzt werden.
Doch Dieter Spöri hält eine derartige Operation »in der SPD nicht für durchsetzbar«. Er sagt heftigen Protest der SPD-Stammwähler voraus, »wenn wir plötzlich die Steuern für den Vorstandsvorsitzenden senken, nachdem wir die amtierende Regierung heftig attackiert haben, als sie den Spitzensatz runtersetzte«. Er will den Einkommensteuer-Spitzensatz bei 53 Prozent lassen und nur die Körperschaftsteuer auf 45 Prozent für jene Gewinne senken, die im Betrieb bleiben. Einzelunternehmer und Personengesellschaften, die jetzt der Einkommensteuer unterliegen, sollen künftig für einbehaltene Gewinne die niedrigere Körperschaftsteuer wählen können. Der Vorschlag würde zwei Milliarden Mark kosten.
Im August wollen die Sozialdemokraten mit Unternehmern und Verbandsfunktionären Reaktionen auf ihr »Fortschritt«-Modell testen. Ob die Partei ihr Konzept zur Unternehmensbesteuerung schon im Wahlprogramm präsentiert, ist noch offen.
Derweil diskutieren die Genossen bereitwillig auch über exotisch anmutende Pläne und Probleme. Etwa über die Krankenversicherung: Autofahrer, die einen Unfall verursachen, rechnen bislang eigene Gesundheitsschäden über ihre Krankenkassen ab, was die jährlich rund 15 Milliarden Mark kostet. Wenn es gelänge, diese Summe der Kraftfahrzeugversicherung anzulasten, könnten die Krankenkassen gut acht Milliarden Mark für Beitragssenkungen, die übrigen Milliarden für eine »Pflegesicherung« für Alte und Kranke ausgeben.
Oder die Quellensteuer: Nachdem die Bundesregierung ihr ungeliebtes Kind wieder verstieß, will auch die heutige Opposition trotz früherer Sympathiebekundungen den Balg nicht wiedersehen.
Eine erste Probe aufs Exempel, wie ernst er's mit dem Versprechen finanzieller Solidität hält, hat Lafontaine für August anberaumt. Dann wollen die Kommissare ein »Finanzkataster« aufschreiben, mit allen Projekten und ihrer Finanzierung. Der SPD-Vize hat den Rahmen fürs Regierungsprogramm abgesteckt: »Es wird nichts drin stehen, was nicht finanzierbar ist.«
Doch ob Lafontaine sein Werk auch im Bundestagswahlkampf als Spitzenkandidat vertritt, darüber entscheiden im nächsten Jahr erst die Saarländer bei ihrer Landtagswahl, die der Ministerpräsident nicht verlieren darf, und dann der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel.
»Das Programm«, sagt Oskar, »das könnte auch der Jochen nahtlos übernehmen.«