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Geheimdienste Schnippeln im Seelenklo

Ein Beamter des Bundesnachrichtendienstes klagt gegen seine Versetzung ins sogenannte Bergwerk - die Abschiebestation für Problemfälle.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Der Betriebsausflug war eine zünftige, feuchtfröhliche Gaudi. 40 Kolleginnen und Kollegen von der Operativen Dienststelle 16 C ("Internationaler Terrorismus") des Bundesnachrichtendienstes (BND) schipperten auf Schlauchbooten südlich von München die Isar hinunter.

Die anschließende Einkehr im Klosterbräu zu Schäftlarn dauerte, bei Schwänken und Getränken, bis zum späten Abend. Das war voraussehbar gewesen, jedenfalls für Ausflugsteilnehmer Konrad Schurz*, 49.

Weil der Regierungsamtmann wußte, daß der Ort um diese Zeit nicht mehr von öffentlichen Verkehrsmitteln angefahren wird, ließ er sich von seiner Frau mit dem Auto abholen. Hilde Schurz*, 46, erinnert sich, sie habe sich noch »auf eine Zigarettenlänge« an den Tisch ihres Mannes gesetzt.

Der Vorgang liegt schon drei Jahre zurück, doch er wird dem Beamten nun im nachhinein angelastet - als »Sicherheitsverstoß": Schurz hätte nicht zulassen dürfen, rügte ihn seine Dienststelle, daß die damals erst kurz mit ihm verheiratete und noch nicht sicherheitsüberprüfte Frau im Klosterbräu die Gesichter vieler Kollegen zu sehen bekam.

Der Vorwurf gehört zu einer Reihe von eher bizarren Begründungen, mit denen dem langjährigen BND-Mitarbeiter der sogenannte Sicherheitsbescheid entzogen wurde. Ohne den hat er beim Nachrichtendienst keinen Zugang zu Verschlußsachen, mithin gibt es für ihn auch keine vernünftige Verwendung mehr.

Der Mann wurde ins Referat »Offene Informationsgewinnung« umgesetzt - zum Ausschnipseln von Zeitungsartikeln. Schurz klagt dagegen beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin. Die Strafversetzung empfinde er, sagt die Ehefrau, als »unerhörte Schmach«, weil er »mit Kriminellen und gescheiterten Existenzen in einen Topf geworfen« werde. Abkommandiert zum Clipping werden beim BND in der Tat vorwiegend Problemfälle wie Alkoholiker, _(* Namen von der Redaktion geändert. ) Schürzenjäger oder straffällig gewordene Bedienstete.

»Die sind«, weiß Schurz-Anwalt Walter Sigel aus Erfahrung mit etlichen BND-Mandanten, »alle kaputt und kastriert. Das ist ein Seelenklo.« Das ominöse Referat, im Dienstjargon »Bergwerk« oder »Elefantenfriedhof« genannt, war stets weit weg von der BND-Zentrale in Pullach bei München ausgelagert und mußte wiederholt umziehen.

Mal werkelten die Ausrangierten in der Tangastraße in München-Waldtrudering, mal in einem Haus im Villenviertel Solln. Seit kurzem schnipseln sie in BND-eigenen Büroräumen nahe dem Münchner Hauptbahnhof.

Dort sei seinem Mandanten, so Anwalt Sigel, ein völlig leeres Zimmer zugewiesen worden. Die Referatschefin, eine Dame in fortgeschrittenem Alter, habe sich »als eindeutige Alkoholikerin entpuppt«, die schon morgens »im Büro herumschwankt« und sich an ihrem Schreibtisch festhalten müsse.

Der Fall Schurz sei, sagt Sigel, »exemplarisch für eine Fehlentwicklung beim BND«. Aufs Abstellgleis werde hier ein hochverdienter Mitarbeiter geschoben, meint der Anwalt, nur weil er einigen Vorgesetzten mal unbequem geworden sei.

In 20 Dienstjahren, davon 15 Jahre als Führungsoffizier östlicher »Quellen« in der Ex-DDR und Polen sowie zuletzt als Lehrkraft für »Führungsfragen« am BND-Schulungszentrum in Haar bei München, habe Schurz stets überdurchschnittliche Beurteilungen bis hin zur Bestnote 7 ("Spitzenleistung") erhalten. Möglicher Hintergrund der Abschiebung: Zweimal wandte sich der Beamte bei sachlichen Differenzen mit der BND-Abteilung 5 für »Sicherheit und Abwehrlage« hilfesuchend an den damaligen BND-Präsidenten Klaus Kinkel - und bekam jedesmal recht.

Seitdem, vermutet sein Rechtsvertreter, wolle ihn die Abteilung fertigmachen: »Wenn die einen auf der Latte haben, erfinden sie notfalls ein Sicherheitsrisiko.« Der gegen Schurz erhobene Hauptvorwurf scheint zumindest weit hergeholt und, nach dem Umbruch im Osten, auch reichlich abstrus.

Der Beamte sei, argumentiert der BND, gegenüber der damaligen Staatssicherheit der DDR und dem Dienst eines weiteren kommunistischen Staates »mit Personenbeschreibung, Arbeitsnamen und Decknamen enttarnt« worden. Und: Es sei davon auszugehen, daß auch »weitere Erkenntnisse zu Ihrer Person« an diese beiden östlichen Dienste »abgeflossen sind«.

Zugrunde liegen der angeblichen Enttarnung zwei von der Stasi abgehörte Telefonate, mit denen der Feind von einst durch Stimmenvergleich die Identität von Schurz-Deckname (für BND-Hausgebrauch) und Schurz-Arbeitsname (für Frontdienst) habe feststellen können.

»Pipifax hoch drei« ist das nach Ansicht von Anwalt Sigel im Vergleich mit den blamablen Erkenntnissen, die der BND etwa zur gleichen Zeit aus einer noch weitgehend unbekannten »Operation Trosse« gewinnen mußte: Im Dezember 1989 war ein Stasi-Hauptmann aus der MfS-Hauptabteilung III (Elektronische Aufklärung) übergelaufen, den die Pullacher leicht abschöpfen konnten. Er hatte eine Computer-Diskette mit rund 3000 Abhör-Texten dabei, davon 2000 Telefonate mit BND-Bezügen und 1000 mit Klarnamen, auch von leitenden BND-Leuten.

»Wie kann man da«, fragt Sigel, »jetzt die Enttarnung des Herrn Schurz als einmalige böse Entgleisung darstellen?« Sigels Eingaben beim BND und beim für die Geheimdienste zuständigen Bonner Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) fruchteten indes nichts.

Der Entzug des Sicherheitsattests, beschied die BND-Sicherheitsabteilung kühl, sei kein Verwaltungsakt, sondern eine »hoheitliche Maßnahme im Rahmen der Organisationsgewalt des Dienstherrn«, dem in Sicherheitsfragen »ein gerichtlich nur beschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum« zustehe. Bohl fand das Vorgehen »angemessen«.

Zum Vorwurf macht der BND seinem Mitarbeiter auch, daß dessen Ehefrau die Zustimmung zu ihrer Sicherheitsüberprüfung verweigert. Das aber tut sie eben wegen der »zynischen Behandlung« ihres Mannes.

Der Check des Ehepartners oder Lebensgefährten ist überdies keine zwingende Vorschrift, wird aber vom BND wie ein Muß gehandhabt. Hilde Schurz ist bereit, eidesstattlich zu versichern, sie sei im Gespräch mit BND-Sicherheitsleuten sanft darauf hingewiesen worden, daß sie im Fall ihrer Verweigerung die Schuld trage, wenn ihr Mann ins »Bergwerk« müsse und keine Aussicht mehr auf Beförderung habe.

Dabei stellt die Frau sicher kein großes Risiko dar. Sie ist Hauptschullehrerin und ehrenamtliche Schöffin am Münchner Amtsgericht - und vom BND auch schon mal in die Mangel genommen worden: Die sogenannte Personen-Anfrage bei diversen Behörden, eine Art kleiner Sicherheits-Check, vor ihrer Eheschließung vorgenommen, ergab »Fehlanzeige«.

Auch der den Schurzens angekreidete Verstoß im Klosterbräu kann nur begrenzt sicherheitsrelevant gewesen sein. Die meisten Geheimdienstler, die sie da nicht hätte mustern dürfen, hatte Hilde Schurz schon vorher kennengelernt - bei ihrer Hochzeit, bei zwei Kindstaufen und etlichen Grillpartys. Y

* Namen von der Redaktion geändert.

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