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FDP Schön rund

Die FDP setzt auf ihren Hoffnungsträger Martin Bangemann. Der neue Minister begann behutsam seinen Dienst als Nachfolger des Grafen Lambsdorff. *
aus DER SPIEGEL 28/1984

Altgediente Staatssekretäre wie Otto Schlecht - er hat im Bonner Wirtschaftsministerium schon so manchen Minister überlebt - waren auf einiges gefaßt.

Die äußeren Maße des neuen Chefs kannten sie: 185 Zentimeter lang, 236 Pfund breit. Sonst aber war ihnen Martin Bangemann, 49, seit über zehn Jahren als Europa-Parlamentarier irgendwo zwischen Luxemburg und Brüssel verschollen, nur aus längst vergangenen Bonner Zeiten in Erinnerung.

Damals, in den 70er Jahren, war der Liberale aus dem Schwäbischen ein Jahr lang FDP-Generalsekretär, bevor Hans-Dietrich Genscher ihn wegen koalitionsfeindlicher Umtriebe und einer Liebelei mit der CDU/CSU - das SPD/FDP-Bündnis war sechs Jahre alt - aus dem Amt entfernte.

Vorher war der Nachfolger Lambsdorffs schon mal Linker. Er hatte als Rechtsanwalt Angeklagte aus der revoltierenden 68er-Generation verteidigt, am Freiburger Programm der FDP gemeinsam mit Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach gearbeitet, und den Kapitalismus hatte Bangemann einst sogar als reformbedürftige Veranstaltung angesehen, deren ungerechte Verteilung von Reichtum es zu korrigieren gelte.

Dieser Mann, so fürchteten die Ministerialen, sollte den Garanten eines wirtschaftsnahen Kurses, den Konstrukteur der Bonner Wende und Verfechter der Marktwirtschaft Otto Graf Lambsdorff ersetzen?

Nach Martin Bangemanns ersten Auftritten im Ressort und Kabinett vorige Woche waren die neuen Untergebenen zunächst beruhigt. Entgegen seinem Ruf hielt der mächtige Mann nicht polternd und lärmend Einzug.

Mit wohlgesetzter Bescheidenheit und Koketterie wies er seine Mitarbeiter im Wirtschaftsressort darauf hin, daß ihm ja wohl fast alles abgenommen werde - nur nicht, daß er etwas von Wirtschaft verstehe. Und insofern sei es sicher schon ein Erfolg, wenn er die Fachleute seines Hauses in den nächsten Wochen davon überzeugen könne, daß er des Lesens und Schreibens kundig sei.

Der sanfte Einstieg verfehlte seine Wirkung nicht. Staatssekretäre und Abteilungsleiter gestanden nach dem ersten Treffen zu, der Chef habe zwar keine Detailkenntnisse, aber sei im Generellen durchaus auf der Höhe der wirtschaftspolitischen Diskussion. »Aus dem Muspott kommt der nicht«, so das Urteil eines Bangemann-Mitarbeiters.

In dieser Meinung wurden sie bestärkt, als sich Berichte über den ersten Auftritt Bangemanns im Kabinett am Dienstag letzter Woche herumsprachen. Der Haushalt des nächsten Jahres wurde beraten; traditionell gehört dazu eine längere Analyse der wirtschaftlichen Aussichten durch den Wirtschaftsminister. »Selbstbewußt, aber sehr normal« - so ein Zuhörer - bewältigte Bangemann, gerade sechs Tage im Amt, diese Aufgabe, die er auch dem alten Hasen Schlecht hätte übertragen können. Nicht ohne Schadenfreude erinnerten Kabinettsmitglieder an eine Äußerung Lambsdorffs, er hinterlasse dem Nachfolger mächtig große Schuhe. »Der Bangemann«, so ein Minister, »hat offenbar ähnliche Füße wie der Graf.«

Eigentlich hatte der gescheiterte Europa-Kandidat der FDP wieder als Anwalt arbeiten wollen, wenn die Liberalen den Einzug ins europäische Parlament verpaßten. Das Wahldebakel der Liberalen - 4,8 Prozent bedeuteten das Aus im Europa-Parlament - wertete ihr Spitzenmann so: »Die Deutschen sind provinziell. Im Grunde genommen leben wir noch im Biedermeier.«

Trotzdem wurde dem Kandidaten ein politisches Wunder zuteil: Der Verlierer einer Wahl geht daraus als Gewinner hervor; er wird Hoffnungsträger einer Partei, die sonst zu vielen Hoffnungen nicht mehr berechtigt.

Die FDP hat offenbar nur auf ihn gewartet, der weder mit den mißlichen Umständen der Bonner Wende 1982 noch mit Spendenaffären etwas zu tun hat. Die Partei, die ihn nach seinem wenig publikumswirksamen Werkeln im europäischen Abseits kaum mehr zu kennen glaubte, braucht ihn jetzt als Halt. »Bangemann ist so schön rund - wie Ludwig Erhard« (ein Genscher-Mann) und das genaue Gegenteil des abtretenden Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher. Warum der Neue so in ist, erklärt Schatzmeisterin Irmgard Adam-Schwaetzer: »Der sagt, was er denkt.«

Beim jüngsten FDP-Parteitag in Münster brachten ihm die Delegierten nach seiner Rede, für die er sich nur Stichworte auf einem Bierdeckel notiert hatte, stehend Ovationen. »Er wird der Partei«, so der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Guido Westerwelle, »wieder ein Wir-Gefühl vermitteln.«

Dabei genügen dem Schwergewichtler bisher Schlagwörter - so, wenn er in Münster behauptet, es sei möglich, mit moderner Technologie so umzugehen, »daß dabei die Freiheitsspielräume des einzelnen größer werden«. Oder wenn er hinter der Forderung nach der 35-Stunden-Woche »eine tiefe reaktionäre Furcht vor den Chancen« entdeckt, »die in jeder Neuerung liegen«. Die Delegierten in Münster klatschten trotzdem.

Tatsächlich ist Bangemann in seinem politischen Leben bisher nur gescheitert. Als Generalsekretär, als Vorsitzender der baden-württembergischen FDP, als Spitzenkandidat für Europa. Geht die Mißerfolgsserie weiter, wenn er erst einmal Genschers Nachfolge im Parteivorsitz angetreten hat?

Bangemann ist noch heute stolz darauf, daß er in den siebziger Jahren mit seiner Offerte an die CDU, die Koalitionsaussage offenzuhalten, richtig gelegen habe. Mit Sicherheit aber war er zu _(Bei der Übergabe der Amtsgeschäfte am ) _(29. Juni im Ministerium. )

ungestüm, ließ damals das Gespür für Pragmatismus und Taktik vermissen.

Er habe damals, meint Bangemann heute, wohl zu sehr die »Rolle des politischen Schockers« gespielt. Sein vorsichtiger Einstieg in Bonn zeigt, daß er diesen Part nicht zu wiederholen gedenkt. Dennoch sei für ihn das Wichtigste, jenes zu tun, »was ich für richtig halte«. Aber anders als früher ist er heute auch bereit, »etwas zu tun, was andere wollen«.

Der Nachfolger des Grafen Lambsdorff und zukünftige Nachfolger des Hans-Dietrich Genscher hat in Europa offenbar gelernt, in Kompromissen zu denken. Sein sozialdemokratischer Europa-Kollege Rudi Arndt bescheinigt ihm, die liberale Fraktion des Europäischen Parlaments, die sich aus zehn verschiedenen Ländern und zwölf Parteien zusammensetzt, »mit viel Integrationsfähigkeit« geführt zu haben.

In der Politik hat er inzwischen einen festen Standort gefunden, weit rechts, wie Arndt meint. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik habe er eindeutig die Unternehmerinteressen vertreten, sogar manchmal die Christdemokraten rechts überholt.

So extrem schätzt Bangemann seinen eigenen Standort nicht ein. Aber der einstige Linke, der früher mit Bekenntnissen zur Mitbestimmung der Arbeitnehmer, zu einer Bodenwertzuwachssteuer und überbetrieblicher Vermögensbildung in der FDP Karriere machte, räumt ein, er habe sich sehr gewandelt. Sein Bezug zur Realität, so nennt er das selbst, sei anders geworden.

Etwa so: Früher habe er an der Marktwirtschaft nur die ungerechte Verteilung zwischen Besitzenden und Habenichtsen bemerkt. Er wollte mehr Gerechtigkeit, mehr soziale und mehr staatliche Aktion. Heute glaubt er, die Marktwirtschaft verteile gar nicht so schlecht, »daß das Ergebnis so gut, der Kuchen so groß ist, damit alle davon mehr haben«.

Martin Bangemann ist mit der Tochter eines mittelständischen Dosenfabrikanten verheiratet; und seine ersten wirtschaftspolitischen Willenserklärungen im neuen Amt sind davon wohl leicht gefärbt: Der Mittelstand soll die Arbeitslosigkeit beseitigen, Innovation und Wachstum für alle bringen. »Die Zukunft liegt«, verkündet der neue Wirtschaftsminister, »in den kleinen und mittleren Betrieben.«

Auch. Nur werden dem Minister Sprüche allein nicht weiterhelfen.

Bangemann wird mit generellen Aussagen über Wünschenswertes kein Glück haben. Er erbt von Lambsdorff mehr als zwei Millionen Arbeitslose. Auf diesen Sockel, so fürchtete selbst Lambsdorff gegen Ende seiner Dienstzeit realistisch, wird beim nächsten Konjunktureinbruch ein kräftiger Schub draufkommen - voraussichtlich in der Zeit der nächsten Bundestagswahl 1987.

Dann aber wird Bangemann als Vorsitzender der Liberalen ums Überleben der FDP kämpfen. An der Koalition mit der Union will der Mann, der so frühzeitig das sozialliberale Bündnis auflösen wollte, über 1987 hinaus festhalten.

Wie er die FDP bei den Bundestagswahlen über die Fünfprozenthürde bringen will, wie er von den Millionen Arbeitslosen abzulenken gedenkt, das verriet der designierte Chefliberale dem SPD-Kollegen Arndt bei einem Abschiedsessen im Brüsseler Lokal »Hustender Floh": »Wir machen mobil gegen das rot-grüne Chaos.«

Vorgänger Genscher hat mit diesem Rezept sonderlichen Erfolg nicht gehabt.

Bei der Übergabe der Amtsgeschäfte am 29. Juni im Ministerium.

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