AFFÄREN Schöne Mehrheit
Gut eine Stunde lang referierte, am Dienstagabend vergangener Woche, Hamburgs Energie- und Entsorgungssenator Jörg Kuhbier vor den Sozialdemokraten seines Distrikts Rotherbaum über die Stadt, den Müll und die eigene Not: »Hamburg muß zu einer drastischen Reduzierung des Hausmülls kommen; dabei kann jeder von euch mir helfen.«
Rückhalt erhofft sich Kuhbier vor allem aber von einem Amt, dem er selbst vorsteht: der staatlichen Stadtreinigung, die mit rund 2670 Beamten, Angestellten und Arbeitern mehr Personen beschäftigt als die Hamburger Feuerwehr. »Die Stadtreinigung arbeitet«, sagt Kuhbier, »wie ein mittelständisches Unternehmen und macht jedes Jahr eine Viertelmilliarde Mark Umsatz.«
Doch wie sie das macht und was da sonst noch alles an- und abfiel, hat die städtischen Saubermänner in Verruf gebracht: Machenschaften mit dem Müll haben Hamburgs SPD in die bisher schwerste Regierungskrise der laufenden Amtszeit gestürzt. Parlamentarier und Behörden stochern im Unrat, das Boulevardblatt »Bild« erkannte einen »Müllskandal«, die alternative »Tageszeitung« ein »Hamburger Watergate«.
Die Vorwürfe gegen die Stadtreinigung reichen von schlampiger Amtsführung bis zur Geldverschwendung für Müllwerker und -wagen. Mehrere Millionen Mark Gebühren sollen zuviel kassiert worden sein, und einzelne Beamte sind in Verdacht geraten, sich geldwerte Vorteile verschafft zu haben.
Es ist, zum wiederholten Mal, der letzte Dreck der Stadt, der Hamburg eine Affäre von Format beschert: 1979 wäre der - später aus anderen Gründen zurückgetretene - Bürgermeister Hans-Ulrich Klose beinahe um sein Amt gekommen, als auf dem Gelände der Chemiefirma Stoltzenberg große Mengen von Giften und Sprengstoffen gefunden wurden, nachdem dort ein Kind durch eine Explosion getötet worden war.
Im Stadtteil Georgswerder ragt der höchste Giftmüllberg der Republik empor, von Stadtreinigung und Privatfirmen jahrelang unkontrolliert aufgehäuft. Aus der Deponie sickern hochtoxische Substanzen, darunter das Supergift Dioxin. Der Stoff wurde auch auf anderen Müllplätzen der Stadt vergraben, er muß nun mit Multi-Millionen-Aufwand vernichtet werden.
Das Hamburger Werk der Chemiefirma Boehringer wurde zwar 1984 geschlossen, doch lange Zeit hatten städtische Bedienstete bei der Kontrolle der Dioxinschleuder gepfuscht, Erkenntnisse verharmlost oder verschwiegen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß bescheinigte vergangenes Jahr Regierenden und Ämtern Versagen: Der Senat habe seine Möglichkeiten nicht ausgeschöpft, die Behörden hätten dem Müllproblem »nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet«.
Mit der Abfallbeseitigung wurden von Amts wegen Privatfirmen beauftragt, die dann die Preise diktierten und den Müll wer weiß wohin transportierten. Ein Unternehmen wurde erwischt, das Frachtpapiere
offenkundig gefälscht und den Unrat illegal beiseite geschafft hatte.
Bei der Auftragsvergabe durch die Stadtreinigung erhielten Firmen den Zuschlag, die nicht die billigsten Bieter waren. Dabei scheint auch Genossen-Filz im Spiel gewesen zu sein.
Im Mai letzten Jahres geriet auch Bürgermeister Klaus von Dohnanyi in die jüngste Müllaffäre, als SPD-Fraktionschef Henning Voscherau wegen des Hamburger Mülldesasters zurücktreten wollte. »Ich habe«, so Voscherau damals, »kein Vertrauen mehr in den Willen des Senats, die Mißstände bei der Stadtreinigung restlos aufzuklären und zu beheben.« Der Senat und Dohnanyi ("Ohne Voscherau kann ich nicht regieren") bewegten Voscherau zwar zum Verharren im Amt und zu Tränen, doch der Fraktionschef blieb verbittert: »Die Beschlüsse können mir Mut und Zuversicht in der Politik nicht zurückgeben.«
Im Mittelpunkt der Vorwürfe stehen, zusammen mit den städtischen Müllwerkern selbst, die verantwortlichen Politiker Kuhbier und dessen Amtsvorgänger Volker Lange, der jetzt Wirtschaftssenator ist. Das Dickicht um den Dreck sollen nun gleich mehrere Institutionen lichten: *___ein parlamentarischer Untersu chungsausschuß, der auf ____Betreiben vor allem der Grün-Alternativen Li ste (GAL) ____einberufen worden ist - er hat gerade in einem ____vertraulichen, über 400 Seiten starken Zwischenbe richt ____eine Vielzahl von Mißständen und Merkwürdigkeiten bei ____der Be hörde aufgelistet; *___die Staatsanwaltschaft, die gegen An gehörige der ____Stadtreinigung wegen des Verdachts der Vorteilsannahme,
etwa beim Kauf von Mercedes-Perso nenwagen, ermittelt; *___das Baurechtsamt, das disziplinari sche Untersuchungen ____gegen führende Müllbeamte betreibt, um zu klären, ob ____schuldhaftes Verhalten oder per sönliche Bereicherung ____im Spiel ist; *___das Wirtschaftsinstitut McKinsey, von dem das ____"steinzeitalterliche be triebswirtschaftliche System« ____(Kuh bier) der Stadtreinigung durchleuch tet wird und ____das Vorschläge für bes sere Betriebsführung erarbeiten ____soll.
Nur »exemplarisch« will der Untersuchungsausschuß, der mit 120 Meter Aktenbestand alle einschlägigen Hamburger Rekorde schlägt, sechzig Einzelfragen behandeln. Doch erkennbar wird schon jetzt, daß die Stadtreinigung offenbar mehrfach gegen die Landeshaushaltsordnung verstoßen hat. Millionen Mark wurden angefordert, für die ein Bedarf nicht vorhanden war, Geräte und Materialien wurden gekauft, die billiger hätten beschafft werden können.
Mit widersprüchlichen und meist zu hohen Angaben über Müllmengen wurden jahrelang die Gebühren in die Höhe getrieben und Überschüsse in Millionenhöhe eingefahren. Schon ein vorausgegangener Rechnungshofbericht war zu dem Fazit gekommen, »daß in vielen Bereichen die Aufgaben unwirtschaftlich durchgeführt sowie haushaltsrechtliche und Beschaffungsbestimmungen nicht beachtet wurden«.
Würden bei der Müllabfuhr, so der Rechnungshof 1984, etwa Kosten-Nutzen-Rechnungen analysiert, das Kostenbewußtsein gestärkt, mehr betriebswirtschaftlicher Sachverstand eingesetzt und die Organisation verbessert, ließen sich bis 1991 insgesamt 238 Millionen Mark einsparen - immerhin rund 40 Mark pro Jahr für jeden Hamburger Haushalt. Daher sei »eine Gebührensenkung erforderlich«.
Aufgrund manipulierter Zahlen über die Müllmenge sind jahrelang die Gebühren gestaltet, Arbeitsplätze sowie Müllwagen bereitgestellt und die in Hamburg vereinbarten Prämienlöhne der Müllwerker berechnet worden. Deshalb mußten, so der Untersuchungsausschuß, die Hamburger für ihre Müllbeseitigung immer mehr bezahlen als die Bewohner anderer Großstädte.
Die Stadtreinigung bevorzugte nämlich ihr eigenes System: Die Müllmenge wurde nicht wie anderswo kontinuierlich gewogen, sondern nach dem Volumen der Müllbehälter berechnet. Als Mitte der 70er Jahre den Bürgern größere Mülltonnen gestellt wurden, gingen die Beamten automatisch auch von einer größeren Müllmenge aus.
Dabei hatte schon 1965 der Verband Kommunaler Fuhrpark- und Stadtreinigungsbetriebe in einem Merkblatt erklärt: »Die Müllmengen werden ausschließlich aus dem Gewicht ermittelt.« Auswirkungen dieser Regel auf die Hamburger Praxis, befand der Untersuchungsausschuß, seien in den Folgejahren »nicht festzustellen« gewesen.
Senator Kuhbier blieb bald nach Amtsantritt im Zahlen-Chaos seiner Beamten stecken: »Ich weiß allmählich nicht mehr, was ich glauben und zur Grundlage politischen Handelns machen soll.« Immerhin läßt er seit einem Jahr den gesamten Hamburger Müll wiegen.
Den offenbar überhöhten Personalbestand der Stadtreinigung und das teure Prämiensystem für die Müllwerker hat Kuhbier dagegen noch nicht in den Griff bekommen. Seit fünf Jahren wehren sich die Saubermänner erfolgreich gegen die Einführung personalsparender Müllwagentechnik; sie beharren auf übertriebenen Kolonnengrößen, die andere Städte längst abgebaut haben.
Das Prämiensystem beruht auf einer Arbeitsleistung, wie sie vor zwanzig Jahren anfiel. Seither haben sich, so der Untersuchungsausschuß, »die betrieblichen Abläufe erheblich zugunsten der Arbeitnehmer« verändert - etwa durch »leichte Kunststoffmülltonnen, kräftesparende Hub- und Kippvorrichtungen an Müllwagen, fahrbare Müllbehälter«.
Ob die Senatoren Kuhbier und Lange die Landesregierung und das Parlament mit falschen Angaben über den Müll, hinters Licht geführt haben, soll der Ausschuß in den nächsten Monaten untersuchen. Vergangene Woche stritten Ausschuß und Senat noch um die Herausgabe bestimmter Akten. Klarheit wird es wohl erst im Spätsommer oder Herbst geben - sofern nicht bis dahin, wie die GAL fürchtet, »alles verschleiert wird«.
Im Herbst wird das Hamburger Landesparlament neu gewählt. »Dann kann uns der ganze Schiet«, sorgt sich ein Senatsmitglied, »die schöne absolute Mehrheit kosten.«