WELTJUGENDTREFFEN Schöne Schweine
Zwanzigtausend Rotgardisten hatten die Chinesen zu den »IX. Weltfestspielen der Jugend und Studenten« in der Bulgaren-Hauptstadt Sofia angemeldet. Das Veranstaltungsbüro genehmigte nur 250 der gefährlichen Mao-Rebellen. Da kam überhaupt keiner.
Die Rebellion kam dennoch: nicht aus Peking, sondern aus Prag und Bonn. Tschechoslowakische und bundesdeutsche Jungsozialisten vergällten der Festival-Bürokraten Hoffnung auf ein Weltjugendtreffen ohne die Lieblingsbeschäftigung der Weltjugend: Weltrevolution. Aus dem Traditionstreff junger kommunistischer Funktionärsanwärter machten sie eine Demonstration weltweiter Jugendbewegung gegen Establishments jedweder Couleur -- auch roter.
Ein Bonner Amtswalter hätte den bulgarischen Offiziellen beinahe einen Teil ihres Ärgers erspart. Als der Bundesjugendring Anfang dieses Jahres beim Familienministerium wegen der Finanzierung der westdeutschen Festival-Delegation nachfragte, ließ CDU-Minister Bruno Heck den Jugend-Funktionären mitteilen: »Zu kommunistischen Jugendspielen fährt man nicht. Dafür gibt's kein Geld.«
Jugendring-Vorsitzender Klaus Flegel, als Chef der sozialistischen Jugend »Die Falken« Mitglied des SPD-Parteirats, suchte bei seinem Partei-Profos Herbert Wehner Hilfe. Unter Hinweis auf die neue Ostpolitik der Bundesregierung drängte er: »Herbert, das mußt du einsehen, da müssen wir mitmischen.«
Überzeugt marschierte Wehner zu seinem Vorsitzenden Willy Brandt, der im Kabinett schließlich auch Kanzler Kiesinger für den Jugend-Trip nach Sofia gewann. Heck mußte klein beigeben und zahlen.
Mit der Beatgruppe »The Speeders«, zehn Fässern Kur-Kölsch, 1500 Frankfurter Würstchen und zwei Tonnen Papier machten sich vorletztes Wochenende 500 Jungdeutsche -- darunter etwa vier Dutzend SDS-Mitglieder -- auf den Weg in Bulgariens Hauptstadt.
Dort erregten sie schon bei der Eröffnungsfeier behördliches Mißfallen: Beim Aufmarsch vor der Regierungsloge im Sofioter Wassil-Lewski-Stadion riefen sie im Sprechchor »Dubcek, Dubcek«. Erschrocken ließ der Chef der bulgarischen KP, Todor Schiwkoff, die zum Klatschen erhobenen Hände sinken.
Kurz darauf erschien die tschechische Delegation mit Bildtafeln des auch in Sofia ungeliebten CSSR-Parteiführers. Schiwkoff zog sich verärgert in die Parteiloge zurück.
Schon vor Beginn der Festspiele hatten die Bulgaren bei der Behandlung der CSSR-Jugend sozialistische Brüderschaft vermissen lassen. Eine tschechische Wandergruppe wurde von bulgarischer Polizei an der Grenze bei Kalotina mit Knüppeln bearbeitet. Grund: »Lange Haare und seit Wochen ungewaschene Gesichter.« Die 37 Bazillenträger, so erläuterte die bulgarische Nachrichtenagentur BTA, »wirken abstoßend und leiden vielleicht an ansteckenden Krankheiten«.
Schiwkoffs frostige Begrüßung der Prager veranlaßte die jungen Linken aus Jugoslawien, Rumänien und der Bundesrepublik, sieh mit den brüskierten Tschechoslowaken wider das Festival-Establishment zu solidarisieren.
Die Solidaritätsfront trat erstmals in Aktion, als die Festival-Leitung bekanntgab, daß am Dienstag letzter Woche auf der Veranstaltung »Gegen Neonazismus in der Bundesrepublik« kein Sprecher des Bundesjugendrings auftreten dürfe. Protestierend zog die deutsche Delegation in die Sofioter Radrennbahn, den Schauplatz des Anti-Nazi-Tribunals. Nach einer Rede des FDJ-Funktionärs Günter Jahn forderte sie im Sprechchor »Diskussion«.
Die FDJIer versuchten die Westdeutschen mit Sprechchören ("Nazis 'raus aus Westdeutschland«, »Freiheit für die KPD") niederzubrüllen. Die Gegenparolen der Westdeutschen ("Ho-Ho-Ho-Tschi-minh«, »Rosa Luxemburg«, »Vivat Dubcek") fanden Unterstützung bei den Tschechen, die ihre Sympathie so skandierten: »Ru-di Dutsch-ke.«
Auch ohne ihren Chefstrategen Dutschke, der in Italien seine Attentats-Wunden auskuriert, wurde Westdeutschlands SDS in Sofia bald zum Zentrum der aufsässigen Linken. Stets begleiteten stämmige Geheimdienstler und jugendlich kostümierte Polizisten den Protest-Trupp des Frankfurter SDS-Bundesvorsitzenden Karl-Dietrich ("Kade") Wolff.
Von ihnen bezogen »Kades«-Kameraden Fußtritte und Rippenstöße, als sie sich zur »Politisierung« einer staatlich gelenkten Vietnam-Demonstration vor der Sofioter US-Botschaft zu einem Sit-in niederließen. Wolff zu seinen bulgarischen Begleitern: »Ihr seid ja schöne Schweine, gebt euch als Arbeiter aus und seid Geheimpolizisten.«
»Solidarität, Frieden und Freundschaft« -- so das Festival-Motto -- waren einem scharfen ideologischen Duell im linken Lager gewichen.
»Kade« hatte seinen Freunden bewiesen wovon er selbst längst überzeugt war: daß sozialistische Bürokratie auf jugendliche Aufsässigkeit in der gleichen Schlagstock-Manier reagiert wie kapitalistische Obrigkeit.
Verblüfft war der SDS-Chef nur über die Reaktion der chinesischen Genossen in Sofia. Als er Pekings Botschafter einen Besuch abstatten wollte, setzten Maos Diplomaten den westdeutschen Maoisten vor die Tür: »Wir müssen für die Revolution arbeiten, wir haben keine Zeit, mit Revisionisten zu sprechen.«