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SCHEIDUNGSRECHT Schon immer puh

Bundesjustizminister Engelhard will den Versorgungsausgleich ändern - zu Lasten der Frauen. *
aus DER SPIEGEL 4/1984

Seinen Ruf als verbaler Kraftmeier der Union hat sich Familienminister Heiner Geißler mit vollmundigen Sprüchen gegen Sozialdemokraten und Friedensfreunde erworben. Diesmal will es der Christdemokrat sogar auf einen Konflikt mit dem Koalitionspartner ankommen lassen. »Wenn jemand auf die Idee kommen sollte«, droht er, »den Versorgungsausgleich im Scheidungsfolgerecht zu Lasten der Frauen zu ändern, werde ich Widerstand leisten. Das geht nicht mit mir.«

Widerstand hat Geißler angesagt, nachdem er den Gesetzentwurf des liberalen Justizministers Hans A. Engelhard zur »Neuregelung des Versorgungsausgleichs« studiert hat. Der Freidemokrat, fand Geißler da, will die seit 1977 gültige Regelung abschaffen, wonach bei einer Scheidung die Rentenansprüche der beiden Partner für die Zeit ihrer Ehe aufgeteilt werden.

Damit wäre der seinerzeit auch von den Christdemokraten für gut befundene Ansatz zu einer eigenständigen sozialen Sicherung der Hausfrau kaputt. Denn durch das Splitting der Altersversorgung wird die Arbeit der Frau für Mann und Kinder zumindest auf ihrem Rentenkonto belohnt. Berufslose Ehefrauen erwerben zu Lasten ihres Ex-Gatten einen eigenen Versorgungsanspruch, auf dem sie nach ihrer Scheidung weiter aufbauen können.

Nach Engelhards Entwurf sollen künftig die Renten nicht sofort bei der Scheidung aufgeteilt werden, sondern erst, wenn das Rentenalter erreicht ist, also meist Jahrzehnte später. Angeblich führe dieser Versorgungsausgleich, so heißt es in einer Bewertung des Justizministeriums, zu »gerechteren Ergebnissen« und sei auch »leichter handhabbar«.

Dabei ist das bisherige System des Versorgungsausgleichs bei den zuständigen Familienrichtern und Rechtsanwälten weithin unumstritten. Die Düsseldorfer Anwältin Hergund Ungewitter beispielsweise hält »das Verfahren für gut und praktikabel«.

Selbst der Bundesgerichtshof hat am Prinzip des sofortigen Renten-Splittings nichts auszusetzen. Ganz im Gegenteil. In einem Grundsatzurteil aus dem März 1979 heißt es: »Indem der Versorgungsausgleich dem sozial schwächeren Teil der zerbrochenen Ehegemeinschaft zu einer sozialen Grundsicherung und zum Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung verhelfen soll«, habe der Gesetzgeber »das Sozialstaatsgebot verwirklichen wollen«.

Auch Versicherungsträger, die bei einer Scheidung die Rentenkonten vergleichen und die Anwartschaften für die Partner berechnen, haben sich noch nicht über das System beschwert. Gregor Sander von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die jährlich rund 80 000 Rentenansprüche für den Versorgungsausgleich berechnet: »Das läuft seit 1977 ohne Komplikationen.«

Bei soviel Zustimmung vermutet der sozialdemokratische Ex-Justizminister Jürgen Schmude, daß für seinen Nachfolger Engelhard »wieder einmal die firepower der Männer in der politischen Meinungsbildung den Ausschlag gegeben hat«. Schließlich kenne er aus seinen Wahlversammlungen die Klagen der Ex-Gatten zur Genüge, »die uns verfluchen, weil sie einen Teil ihrer Rente an die geschiedene Frau abtreten müssen«.

Zudem hat der liberale Großbürger Engelhard noch nie einen Hehl aus seiner Abneigung gegen die gesetzliche Rentenversicherung gemacht. Der sozialdemokratische Rechtsexperte Alfred Emmerlich: »Das fand er schon immer puh und für arme Leute.« Bei den gesetzlichen Versicherungen aber wird nach den derzeitigen Vorschriften auch für die geschiedenen Gattinnen von Chefärzten, Mittelständlern und Rechtsanwälten das Rentenkonto eröffnet.

Vor allem die privaten und berufsständischen Versicherungsunternehmen dürften sich über Engelhards Versorgungsausgleichs-Pläne freuen: Ihr Kapital wird wieder wachsen. Sie könnten nämlich die vom besser verdienenden Ehemann eingezahlten Beträge jahrzehntelang in voller Höhe behalten und müßten nicht schon bei der Scheidung die Anwartschaften für die Frau auf ein gesetzliches Rentenkonto überweisen.

Statt der vom Justizminister versprochenen »Vereinfachung« wird es, fürchten Versicherungsexperten und auch Minister Geißler, mehr Bürokratie geben. Bei der Scheidung soll künftig vom Familiengericht ein Versorgungsträger bestimmt werden, der die Entwicklung sämtlicher Lebens- und Rentenversicherungen der Ex-Partner sammelt und später der Frau ihren Anteil auszahlt. Was aber passiert, wenn neu abgeschlossene Versicherungen nicht gemeldet werden?

Für die geschiedene Frau wird die Rentenlage völlig unübersichtlich, wenn ihr Ehemaliger noch einmal heiratet oder krank wird. »Soll eine 27jährige«, fragt sich Emmerlich, »bis ins hohe Alter an die Lebensgeschichte ihres geschiedenen Mannes gebunden bleiben?«

Schlimmer noch: Erreicht sie früher als der Mann das Rentenalter, dann muß sie - womöglich vor Gericht - ihren Versorgungsanteil von ihrem Ex-Mann einfordern. Denn die Kasse zahlt erst, wenn der Kontoinhaber in Rente geht.

Familienminister Geißler sieht in Engelhards Entwurf denn auch ganz deutlich eine »familienfeindliche Komponente«. Die Frauen, prophezeit er, würden dann noch seltener heiraten und »alles tun, um über die Berufstätigkeit selbst einen Anspruch zu erwerben«.

Von den Beamten des Justizministeriums werden ausgerechnet die sicher nicht schlecht versorgten Frühpensionäre der Bundeswehr bemüht, um die angebliche Ungerechtigkeit des derzeitigen Versorgungsausgleichs zu begründen. Immer wieder aufgetischtes Beispiel: der mit 41 Jahren pensionierte Starfighter-Pilot, der von einer um die Ansprüche seiner Geschiedenen geschmälerten Versorgung leben muß. Die Sozialexpertin Dorothea Brück: »Da kommen einem doch die Tränen.«

Das neue Gesetz erscheint seinen Autoren erforderlich, weil, so Referatsleiter Bernhard Lohr vom Justizministerium, ihr Gerechtigkeitsempfinden durch die alten Regeln »empfindlich gestört« war. Vor allem negative Entwicklungen in der Altersversorgung hätten beim bisherigen Scheidungs-Splitting nicht berücksichtigt werden können. So erhalten die Frauen schon heute bei einer Scheidung ihre feste Anwartschaft - in den meisten Fällen eine Monatsrente von 150 bis 200 Mark -, während die Männer oft durch spätere Spargesetze Einbußen hinnehmen müßten.

Doch eine Lösung, »die allen gerecht wird«, hält Ex-Justizminister Schmude, der zu seiner Amtszeit ähnliche Vorschläge aus seinem Haus zurückgewiesen hat, in »diesem komplizierten Bereich«

schlicht für unmöglich. Der Gesetzgeber könne nur verschiedene Ungerechtigkeiten gegeneinander abwägen.

Schmude: »Ein Minister muß sich doch fragen, bei welcher Lösung die Zahl der ungerechten Fälle größer und schwerwiegender ist.«

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