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NORDIRLAND Schreckliche Familie

Nach der irischen Kirche gerät auch Belfasts mächtigster katholischer Politiker in Verdacht, mit seinem Schweigen jahrelang Kindesmissbrauch gedeckt zu haben.
Von Hans Hoyng
aus DER SPIEGEL 53/2009

Gerry Adams, 61, Abgeordneter für den Wahlkreis Belfast-West im Parlament von Westminster und Präsident der Katholiken-Partei Sinn Fein, ist ein mächtiger Mann. Ohne ihn hätte es 1998 kein Karfreitagsabkommen gegeben, keinen Friedensprozess in der einstigen Bürgerkriegsprovinz Nordirland, keine Entwaffnung der Terrororganisation IRA.

Ein Mann des Friedens also und ein guter Katholik dazu. Demnächst will er in einer britischen TV-Doku sein Verhältnis zu Jesus ausbreiten.

Das ist aber nicht der Grund, warum der wichtigste katholische Politiker Nordirlands plötzlich »Erzbischof Adams« genannt wird.

So nennen ihn Gegner und Rivalen vielmehr, weil er, wie viele Kleriker jenseits der Grenze in der Republik Irland, jahrelang von schwerem Kindesmissbrauch wusste - und schwieg.

Die Geschichte des Gerry Adams ist eben auch eine irische Familiengeschichte. Die Adams Family, das ist in Belfast republikanischer Uradel, sprich IRA-Prominenz, und damit unangreifbar. Eigentlich.

Zwar hat Adams stets bestritten, auch nur ein Fußsoldat dieser Terrortruppe gewesen zu sein, aber das Dementi hat niemanden überzeugt. London hielt ihn lange Jahre für den wichtigsten Kopf der IRA. Deren alte Kämpfer haben in Nordirland geherrscht wie die Mafia: Sie führten nicht nur ihren eigenen Krieg, sie betrieben eine eigene Schattenwirtschaft und richteten nach einem eigenen brachialen Justizsystem. Kleinkriminelle, etwa unbotmäßige Hooligans, bestraften sie mit Schüssen ins Knie. Ansonsten brüstete sich die IRA sogar damit, Schwerverbrecher, etwa Kinderschänder, mit Kopfschüssen hingerichtet zu haben.

Nur eben nicht gerade den Bruder des Sinn-Fein-Chefs.

Liam Adams, ein jüngerer Bruder von Gerry, hatte früh die Chance, ein IRA-Held zu werden, und wurde dann doch einer dieser vielen nordirischen Verlierer. Im berüchtigten Maze-Gefängnis, in dem die wichtigsten IRA-Kämpfer einsaßen, war Liam für seine Mitgefangenen ein laut Bruder Gerry »hochgeachteter« Kommandeur. In der Freiheit war er weniger erfolgreich.

Seine Tochter Aine erzählt jetzt, ihr Vater habe gegen Ende der siebziger Jahre ihre Mutter Sally regelmäßig so schwer geschlagen, dass diese aus dem Haus flüchtete und Liam die Zeit nutzte, sich jahrelang an seiner Tochter zu vergehen. Erst 1983 habe Sally den Kerl aus dem Haus geworfen, seine Sachen verbrannt und ihm jeden Umgang mit den Kindern verboten.

Aber es dauerte noch vier Jahre, bis Sally ihre Tochter Aine zur Polizei und zu ihrem mächtigen Schwager Gerry brachte, um das Verbrechen anzuzeigen. Und dann passierte - nichts. Aine ließ sich überreden, den peinlichen Skandal nicht weiterzuverfolgen. Dabei blieb es, über zwei Jahrzehnte lang, bis zum 18. Dezember. Da gab Aine Tyrell, mittlerweile 36 und in Schottland verheiratet, die ganze miese Familiengeschichte im Fernsehen preis.

Und wie reagiert ein prominenter Politiker, der plötzlich mit Vorwürfen von allen Seiten rechnen muss? Etwa, dass er mit dem Thema Kindesmissbrauch genauso fahrlässig umgegangen sei wie die katholische Kirche in Irland, die ihre sündigen Hirten jahrzehntelang vor der Justiz bewahrt hat?

Er geht selber an die Öffentlichkeit. Zwei Tage später gab nun Gerry Adams ein Fernsehinterview und reklamierte - starkes Stück für den einstmals starken Mann der IRA - Opfer-Status gleich für die halbe Familie: Der eigene Vater habe mehrere seiner Kinder jahrelang »seelisch, physisch und sexuell« missbraucht, eine Tatsache, die noch heute seinen »Glauben an die Menschheit« erschüttere.

Natürlich: Er selbst habe diese Tatsache eigentlich schon lange an die Öffentlichkeit bringen wollen, aber leider »können wir das nur tun, wenn auch jeder Einzelne stark genug ist«, das sei eben erst jetzt der Fall gewesen. Und an seinen Bruder, der vor einem Jahr im Untergrund verschwand, appellierte er, sich der Polizei zu stellen, was der, sicherheitshalber in der Republik Irland, wo kein Haftbefehl gegen ihn vorliegt, inzwischen getan hat.

Das war, wenn es denn möglich ist, eine noch stärkere Enthüllung als die seiner Nichte. Gerry Adams senior, der vor sechs Jahren laut seinem Sohn als »sehr einsamer Mann« starb, galt in Belfast als ausgewiesener IRA-Held, schon als 16-Jähriger war er bei Schüssen auf britische Polizeibeamte verwundet worden. Allerhöchstens im engsten Umkreis wagten es einige, von ihm verächtlich als dem »Babysitter« zu sprechen.

Der Senior hat dann doch noch ein Heldenbegräbnis bekommen mit der irischen Trikolore auf seinem Sarg, etwas, was sein Sohn, wie er heute sagt, gern verhindert hätte. Schließlich habe der Alte die Fahne Irlands »besudelt«.

Die Sünden der Väter also, die sich an den Kindern rächen - das ist der Stoff aus dem irische Tragödien schon öfter gestrickt wurden. Der Sinn-Fein-Politiker Adams kann also möglicherweise mit der Nachsicht seiner Landsleute beiderseits der Grenze rechnen.

Dann allerdings könnte die ganze triste Geschichte noch etwas Gutes haben: Sie zeigt, dass sich die Zeiten in Nordirland wirklich gewandelt haben. Als Gerry Adams Vater noch ein angesehener Mann war, da wäre ein Katholik, der seinen Bruder öffentlich aufgefordert hätte, sich der verhassten britischen Polizei zu stellen, vermutlich von der IRA als Verräter erschossen worden. HANS HOYNG

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