SÜDTIROL / POLIZEI-METHODEN Schreie in der Nacht
Pünktlich um 11.30 Uhr rumpelte ein
Lastwagen der italienischen Gendarmerie in das Südtiroler Bergdorf Tramin und stoppte vor dem Gemeindeamt. Von seinem Führersitz sprang Oberleutnant der Karabinieri Villardi, Funktionär der Polizeikaserne im benachbarten Eppan, auf die Straße, sah flüchtig nach den mitgebrachten Gefangenen und beorderte den Gemeindebeamten Otto Thaler herbei.
Als der Südtiroler erschien, belehrte ihn der Italiener: »Es gibt hier im Lande so ein Gerede von Mißhandlungen durch die Polizei. Ich will Ihnen beweisen, daß das alles nicht stimmt.«
Kaum hatte Villardi das letzte Wort gesprochen, sprangen vom Lastwagen sechs Südtiroler mit fröhlichem Lachen herab und bauten sich vor dem Oberleutnant auf. Villardi: »Seid ihr bei uns geschlagen worden?«
»Nein, Herr Oberleutnant«, antworteten die Gefangenen im Chor und schlugen die Hacken zusammen.
»Aber dir, Lois«, wandte sich der Karabiniere an den Gefangenen Alois Gutmann, »habe ich doch zwei Ohrfeigen gegeben?«
»Jawohl!«
»Hast du sie verdient, Lois?«
»Jawohl, Herr Oberleutnant.«
Da wurde Signore Villardi ganz jovial: »Wollen wir jetzt wieder gute Freunde sein? Ich lade dich auf ein Glas Wein ein!« Sprach's und zog den gehorsam folgenden Gutmann in die nächste Trattoria.
Indes, den mißtrauischen Gemeindebeamten Otto Thaler vermochte die Schau Villardis nicht zu überzeugen. »Der Gutmann hatte ein blauunterlaufenes linkes Auge, er war ganz merkwürdig fröhlich«, erzählte Thaler später einem österreichischen Reporter. »Ich sage Ihnen, das war mein alter Freund Alois nicht mehr, und die Leute rundherum haben auch alle gesagt, wie Kasperln kommen uns die vor.«
Das Kasper-Theater Villardis am 22. Juli war das bisher bestorganisierte unter jenen Manövern, mit denen Italiens Öffentlichkeit und Regierung eine Kampagne der österreichischen Presse einzudämmen suchen, die das demokratische Renommee Italiens lädieren könnte. Hauptvorwurf der Österreicher: Die Karabinieri wende beim Verhör verhafteter Südtiroler von Faustschlägen bis zu Wahrheitsdrogen Polizeistaat -Methoden an.
»Daß in den Polizeigefängnissen Südtirols der Geist und die Methoden der GPU und der Gestapo eingezogen sind, steht für mich fest«, polterte der österreichische Südtirol-Politiker Heinrich Klier, nachdem er anhand glaubwürdiger Zeugenaussagen erfahren hatte, wie sehr in Italien »die Stiefel der Staatspolizei jede Forderung nach Freiheit und Menschenwürde zerstampfen«.
Diese-Vorwürfe kamen allerdings aus einem Lande, dessen Politiker noch vor kurzer Zeit die Partisanenspielerei Südtiroler Bombenwerfer ermunterten, und klangen daher zunächst nicht gerade glaubwürdig.
Immerhin hätte die Schnelligkeit schon Argwohn erregen müssen, mit der es der italienischen Polizei wenige Tage nach den ersten Bombenanschlägen gelungen war, das Gros der geheimen Waffenlager Südtiroler Extremisten ausfindig zu machen. Die naheliegende Erklärung: Nur durch ungewöhnliche Methoden konnte es der Karabinieri gelungen sein, die wortkargen Südtiroler zur Preisgabe ihrer Geheimnisse zu bewegen
Tatsächlich steht die italienische Polizei seit langem in dem Ruf, bei der Sicherung von Geständnissen »Mittel der Einschüchterung und Gewalt« zu verwenden - so Mailands liberaler »Corriere della Sera«.
Im Sommer 1957 wurden zwei Italiener in einem römischen Revisionsprozeß freigesprochen, die Jahre zuvor aufgrund eines angeblichen Geständnisses gegenüber der Polizei wegen Raubmordes verurteilt worden waren. Zürnte der »Corriere della Sera": »Wie konnten die Angeklagten gestehen, wo sie doch unschuldig waren? Was den beiden widerfahren ist muß zum Nachdenken Anlaß geben, denn ... der Fall ist weder neu noch vereinzelt.«
Getreu so gearteten Verhör-Traditionen setzten die italienischen Gendarmen jene 200 Südtiroler unter Druck, die nach den ersten Sprengstoffanschlägen in der Heimat Andreas Hofers verhaftet worden waren. Die nächtlichen Schreie aus den Polizeigefängnissen vermittelten auch deutschen Touristen, so etwa
den Gästen in Eppans »Pension Etschland«, akustische Eindrücke von den Verhörsitten Italiens.
Erinnert sich ein Ehepaar in Neumarkt, das unweit der dortigen Polizeikaserne wohnt: »Am Dienstag, dem 18. Juli, sind wir gegen 2.30 Uhr aufgewacht und konnten bis vier Uhr wegen des Gebrülls nicht mehr einschlafen. Man konnte allerdings nicht erkennen, was sie brüllten.«
Obwohl sich ohne jeden Zweifel einige Verhaftete als Komplicen der Bombenwerfer erwiesen, traktierten übereifrige Gendarmen - von ihren Offizieren kaum oder zu spät zurückgehalten - mit Fußtritten, Gewehrkolben, glühenden Zigaretten und Säuren auch die Gefangenen, die offensichtlich nichts zu gestehen hatten.
Ein Südtiroler, der noch heute aus Furcht vor den Karabinieri seinen Namen nicht zu nennen wagt, wurde bei seiner Einlieferung in Eppans Polizeikaserne sofort mit Schlägen empfangen. Prahlte ein Gendarm: »Jetzt schlage ich dich, bis dir auf der einen Seite das Blut rot herauskommt, in der Mitte weiß und rechts grün« - Italiens Nationalfarben.
Das Opfer schrieb dem italienischen Polizeikommissar Palmieri in einer Beschwerde: »Ich mußte ungefähr zwei bis drei Stunden mit zusammengeschlagenen Hacken stehen, die Hände über dem Kopf. Wenn sie vor Erschöpfung herunterfielen, riß man mir sie wieder hoch. Ein Karabiniere gab mir laufend Ohrfeigen, der andere saß am Tisch, um das Protokoll zu schreiben.« Die Polizei war freilich umsichtig genug, sich gegen lästige Zeugen ihrer Verhörmethoden zu schützen. Wer aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, mußte schriftlich bestätigen, daß er gut behandelt worden sei. Kaum ein Entlassener zeigte denn auch Lust, über seine Erfahrungen zu plappern.
Vergebens appellierte das Organ der Südtiroler Volkspartei, »Dolomiten«, an die Bergbauern, Fälle von Folterungen anzuzeigen. Vergebens reisten österreichische Journalisten durch das Land, um Belastungsmaterial gegen Italien zu finden. Kein Südtiroler schien bereit, seinen Namen herzugeben - schwieg doch auch nahezu die gesamte Presse des Westens, freilich aus Rücksicht auf den Nato-Partner Italien.
Die entlassenen Südtiroler, so schrieb der britische Professor Friedrich von Hayek, einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler des Westens, In dem einzigen Folter-Bericht, der in der angelsächsischen Presse (Londoner »Times") erschien, seien »durch ihr Erlebnis so verängstigt, daß sie nur aufgrund meines Versprechens, ihre Namen nicht preiszugeben, bereit waren, mir eine genaue Schilderung zu geben«. Dies sind konkrete Fälle von italienischen Polizei-Quälereien:
- Der Südtiroler Alois Steinegger erhielt bei seinem Verhör in Eppan Schläge ins Gesicht und in die Nieren, außerdem wurde ihm eine ätzende Flüssigkeit, die Steinegger für Salzsäure hielt, in die Nase geflößt.
- Albin Zwerger wurde von Polizisten nackt auf einen Tisch gebunden, mit Gummiknüppeln geschlagen, mit brennenden Zigaretten und Nadeln gestochen.
- Josef Kerschbaumer, bei den Polizisten als Haupt-»Dinamitardo« (Bombenwerfer) verdächtig, mußte sich ebenfalls 18 Stunden lang an einen Tisch fesseln lassen.
- Den Gemeindearzt von Auer, Dr. Max Roeggla, verhörten die Polizisten bei grellem Scheinwerferlicht 27 Stunden hindurch, verweigerten ihm trotz seiner 60 Jahre Sitz und Nahrung, bis der Arzt zusammenbrach und zwei Tage lang bewußtlos blieb.
Die italienischen Behörden weigerten sich, derartigen Vorfällen nachzugehen. Erst als der österreichische Außenminister Kreisky drohte, er werde anhand der ihm zugegangenen »haarsträubenden und unfaßbaren« Berichte das Internationale Rote Kreuz um eine Untersuchung bitten, versicherte Innenminister Scelba, er werde sich persönlich um die Angelegenheit kümmern.
Dennoch konnten die italienischen Strafverfolgungsbehörden bis vor kurzem jede Forderung auf Untersuchung der Polizei-Methoden mit dem Hinweis abbiegen, kein Südtiroler habe sich jemals offiziell beklagt.
Seit Mittwoch vergangener Woche ist dieses Argument nicht mehr stichhaltig: Die Südtiroler Volkspartei erstattete bei der italienischen Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Mißhandlung von drei Bürgern.
Kriminalbeamte, verhafteter Südtiroler: Kasper-Theater ...
... zum Nutzen der Nato: Italiens Polizeiminister Scelba