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LINKSPARTEI Schub für den Westen

Die Eiszeit zwischen Linkspartei und DGB ist beendet. Nun hoffen die Genossen auf Gewerkschaftshilfe bei der Eroberung des Westens.
aus DER SPIEGEL 3/2006

Der Gewerkschaftsführer beliebte zu scherzen. »Früher«, entfuhr es Michael Sommer, dem Chef von sieben Millionen Gewerkschaftern, »sind bei solchen Gelegenheiten ja noch Schecks überreicht worden.« Die beiden Fraktionschefs der Linkspartei amüsierten sich prächtig über die Anspielung auf einstige Wahlkampfhilfen des DGB für ihm genehme Parteien. Gregor Gysi und Oskar Lafontaine verstanden den Joke als Adelung, sie genossen das Tête-à-Tête mit Sommer sichtlich.

Dann öffnete sich die Tür des Otto-von-Guericke-Saals des Hotels bei Magdeburg, das mit dem Slogan »Anlaufpunkt für Stop Over« wirbt. Der Parteivorsitzende Lothar Bisky schleuste ein paar Fotografen ein, um jenen Moment zu verewigen, der zumindest aus Sicht der dunkelroten Genossen in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingehen soll. Denn mit dem ersten offiziellen Besuch des Gewerkschaftsbosses bei einer Klausur der Bundestagsfraktion endet die Eiszeit zwischen DGB und Linkspartei. Und auch wenn keine Schecks überreicht wurden, könnte sich das einstündige Treffen für beide Seiten auszahlen.

Die Linkspartei erwartet von dem »Zeichen für eine Normalisierung« (Gysi) einen neuen Schub für den Westaufbau der Partei; den Gewerkschaftern wiederum kommt die neue linke Truppe als Drohpotential gegenüber der SPD ganz gelegen. Allen Treuebekundungen der Gewerkschaftsoberen Richtung SPD zum Trotz planen DGB und Linke bereits gemeinsame Aktionen. Schon im Februar wollen sie Seit' an Seit' gegen Lohndumping auf die Straße gehen - die Linkspartei hat zugesagt, die eigene Anhängerschaft für die DGB-Großdemonstration zu mobilisieren.

Der Kurswechsel Sommers, der im Willy-Brandt-Haus alarmiert registriert wurde, ist reichlich abrupt: Noch vor den Bundestagswahlen hatte er deutliche Distanz zum Links-Zwitter aus PDS und WASG gehalten, vor einer »Spaltung der Linken« durch die Neugründung und den angeblichen »linken und rechten Rattenfängern« gleichermaßen gewarnt. Allenfalls ostdeutsche DGB-Funktionäre trafen sich mit PDS-Politikern aus den neuen Ländern. Die Bundesspitzen der Gewerkschaften aber, fest eingebunden in den SPD-Gewerkschaftsrat, boykottierten die Sozialisten.

Sommers Abgrenzungskurs war nun offensichtlich nicht mehr zu halten. Gleich scharenweise liefen in den vergangenen Monaten Funktionäre der IG Metall von der SPD zur WASG und später zur Linkspartei über, deren halbe Bundestagsfraktion aus Gewerkschaftern besteht.

IG-Metall-Chef Jürgen Peters triumphiert bereits ob der »linken Mehrheit« im Land, Ver.di-Chef Frank Bsirske suchte sogar offiziellen Kontakt zur neuen Linken. Im Dezember erschien er erstmals auf deren Bundesparteitag und setzte sich demonstrativ in Reihe eins. Nun will auch Sommer die Linkspartei nicht mehr »kreuzigen«.

Die Funktionäre vollziehen damit, was viele Wähler längst getan haben. 12 Prozent holte die Linkspartei bei der Bundestagswahl unter Gewerkschaftsmitgliedern, 25 Prozent sogar bei Arbeitslosen. Zahlen, die auch dem Gewerkschaftschef nicht egal sein können. Auf dem Gewerkschaftstag im Mai stellen IG Metall und Ver.di zudem die Mehrheit der Delegierten - und Sommer möchte gern mit einem guten Wahlergebnis glänzen.

Für die Linkspartei kommt der Schulterschluss gerade recht, um die Vereinigung von WASG und früherer PDS voranzutreiben, die vor allem im Westen stockt. Die WASG-West hat zwar einen starken Gewerkschaftsflügel, doch er fremdelt noch heftig mit den alten Genossen aus dem Osten. Sommers Besuch, so das Kalkül des Fusionsbeauftragten der Linkspartei, Bodo Ramelow, »baut an der Gewerkschaftsbasis Berührungsängste ab«. Gezielte Einzelgespräche mit regionalen Gewerkschaftsfunktionären und Betriebsräten sollen folgen.

Auf diese aktionserprobte Basis nun schielen Gysi und Lafontaine bei ihrem Aufbau West. Langfristig, da sind sie sich einig, werde ihre »neue gesamtdeutsche Kraft« (Gysi) nur überleben, wenn die Parteiarbeit im Westen vorankommt. »Aber da haben wir noch organisatorische Schwächen«, räumt Lafontaine ein.

Für ihn sind die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März der erste Testfall. In diesen Ländern holte die Linke bei der Bundestagswahl 3,8 und 5,6 Prozent der Zweitstimmen. Wenigstens im Rheinland, so der linke Wunschtraum, könne der Sprung in den Landtag gelingen - selbstverständlich mit mehreren Gewerkschaftern auf der Liste. Spitzenkandidat ist Norbert Kepp von der IG Metall.

Die Feinde der Linkspartei unter den Gewerkschaftern sind derweil erstaunlich still geworden. Hubertus Schmoldt etwa, Chef der Chemiegewerkschaft, der früher die Einheit der Gewerkschaft in Gefahr sah, falls sie sich mit der PDS einlasse, will sich zum Treffen Sommers mit den Spitzen der Linken nicht äußern. Er zeigt den dunkelroten Genossen einfach weiter die kalte Schulter, was laut Bisky wohl vor allem daran liege, dass »die Person Lafontaine einem normalen Arbeitsverhältnis im Wege« stehe.

Der selbst sieht das gelassen. Als Ex-SPD-Vorsitzender ist er mit den Empfindlichkeiten von Gewerkschaftsbossen seit Jahrzehnten bestens vertraut. Seinem Mitstreiter Gysi erklärte Lafontaine nach der Sommer-Runde: »Das war fast schon wie früher.«

MARKUS DEGGERICH

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