Titel Schuld und Sühne
Er war weit weg, irgendwo auf einer Yacht in der Karibik erholte er sich von den Strapazen des vergangenen Jahres, als die Banken fast kollabierten und seine Welt zusammenbrach - die Welt des Investmentbankers Stefan Jentzsch.
Zu Hause holt ihn inzwischen die Vergangenheit ein, fast täglich steht sein Name in den Zeitungen. Jentzsch, 48, ist plötzlich eine Berühmtheit geworden - als der Mann, der noch Millionen kassiert, nachdem seine Bank Milliarden verlor, der verantwortlich ist für Bonuszahlungen in Höhe von 400 Millionen Euro, die nun vom Steuerzahler zu tragen sind.
Stefan Jentzsch war Chef der Investmentbank Dresdner Kleinwort, die nie sonderlich erfolgreich und im vergangenen Jahr besonders erfolglos war. In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres erwirtschaftete sie einen Verlust von 2,2 Milliarden Euro, und für das Gesamtjahr liegt er noch erheblich höher, weil sich der Niedergang im vierten Quartal beschleunigte. Die ganze Dresdner Bank geriet in Not, sie wurde von der Commerzbank geschluckt, die selbst wiederum in Schwierigkeiten geriet und gleich zweimal vom Staat gestützt werden musste.
Jentzsch hatte da schon Abschied und eine Abfindung in Höhe von rund acht Millionen Euro mitgenommen, sie stand ihm zu, rechtlich war alles einwandfrei. Auch auf einen Bonus in unbekannter Höhe hat er einen Anspruch, aber er will ihn gar nicht haben, lässt er verbreiten, jetzt, da er eine Berühmtheit ist.
Bonuszahlungen in Höhe von 400 Millionen Euro hat der damalige Eigentümer von Dresdner Kleinwort, der Versicherungskonzern Allianz, seinen Investmentbankern für 2008 garantiert, dafür sorgte Jentzsch, als er noch Chef dieser Truppe war.
Die Prämien sind nun fällig, obwohl die Commerzbank inzwischen zu 25 Prozent dem Staat gehört und obwohl der Staat 18,2 Milliarden in die Bank pumpen musste. Und wer weiß, ob das auf Dauer reicht.
Und so gibt Jentzsch der öffentlichen Empörung ein Gesicht: der Wut über die Banker, die Billionen vernichteten, die Weltwirtschaft ruinierten, aber selbst ausgesorgt haben. Die den Schaden der Allgemeinheit vor die Tür kippen, aber selbst keinen Beitrag leisten - und am Ende auch noch dem Staat in die Kasse greifen.
Es gibt viele solche Gesichter in diesen Tagen, überall auf der Welt, jedes Land hat seine eigenen, überall macht sich Wut breit und ohnmächtiger Zorn. Vor allem die Bonuszahlungen erregen die Bürger, sie sind zwar klein, gemessen am Gesamtschaden, den die Investmentbanker verursachten und der in die Billionen geht. Sie sind aber auch typisch für die Gier und die Schamlosigkeit einer Zunft, die einmal zur Elite zählte.
»Das Gemeinwohl lebt von einer gewissen Mäßigung des Einzelnen«, mahnt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, »solche Exzesse sind Ausdruck einer verlorenen Bodenhaftung und gefährden den Grundkonsens dieser Gesellschaft.«
SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier sieht das genauso: »Der Realitätsverlust und der Zynismus mancher Führungskräfte in der Wirtschaft erschüttern mich immer wieder. Führungskräfte sind Vorbilder - im Guten wie im Schlechten.«
Selten war die öffentliche Empörung so einhellig, sie reicht vom Bürger auf der Straße bis ins Kabinett, von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zu US-Präsident Barack Obama.
»Es ist unverständlich, dass Banken, denen der Staat unter die Arme greift, in vielen Fällen gleichzeitig riesige Bonussummen auszahlen«, sagt Kanzlerin Merkel. Das werde auch Thema in London Anfang April beim G-20-Treffen sein. »Insgesamt muss das Bonussystem international klarer an den wirklich nachhaltigen Erfolg der Arbeit der Banken gekoppelt werden.«
Das Thema Boni beflügelt die Diskussion über Managergehälter und Abfindungen, das die Politiker der Großen Koalition seit langem umtreibt. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die netto rund 8000 Euro verdient und als Tochter eines Drogeriebesitzers eher dem unternehmerfreundlichen Flügel der SPD zuneigt, vermisst bei den wirtschaftlichen Eliten »soziale Verantwortung« und das »Bewusstsein eines ehrbaren Kaufmanns«.
Die Ministerin wundert sich, »wie es sein kann, dass die Boni quasi als Bestandteil des Festgehalts vergütet und selbst dann verdient werden, wenn das Unternehmen am Abgrund steht«.
Seit Wochen reist ihr Kabinettskollege Olaf Scholz durch die Republik und wirbt bei den Unternehmen dafür, trotz Krise und Auftragseinbrüchen die Belegschaften zu halten. Dem Arbeitsminister fehlt jedes Verständnis für die Gier: »Wo Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit verkürzen und auf Lohn verzichten, können nicht freigiebig Boni gezahlt werden.«
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sieht in den Bonuszahlungen einen der Auslöser der Finanzkrise. »Wenn Bankkunden Verluste hinnehmen müssen, dürfen die dafür Verantwortlichen nicht belohnt werden«, sagt die CSU-Frau.
So einig war sich die Große Koalition selten: Die Banker haben inzwischen jeden Kredit verspielt. Bankster - so wird der Berufsstand inzwischen verballhornt, als eine Art Gangster in Nadelstreifen. Früher nannte man sie Bankiers, sie waren die Vornehmsten unter den Größen der Wirtschaft, dann wurden sie Banker, das klang moderner, und mit der Berufsbezeichnung wandelte sich auch das Selbstverständnis, es orientierte sich an angloamerikanischen Vorbildern, an den Größen der Wall Street.
Die Rendite stand nun im Mittelpunkt der Überlegungen, nicht die Kreditversorgung der Wirtschaft, und mit den Renditen stiegen auch die Risiken, deren Vermeidung im Zeitalter der Bankiers die vornehmste Aufgabe der Zunft war.
Im Zeitalter der Investmentbanker konnten die Risiken nicht groß genug sein, sie schienen beherrschbar dank ausgefeilter Produkte und mathematischer Modelle, deren Komplexität Sicherheit jedoch nur vorgaukelte.
Aber hat wirklich nie einer innegehalten und sich gefragt, ob diese schöne neue Welt ohne Risiken wahr sein kann? Oder wurden solche Fragen nur verdrängt, weil eine ehrliche Antwort den eigenen Lebensstil gefährdet hätte?
Denn von dem System haben lange Zeit alle profitiert; die kleinen Anleger und die großen Investoren, vor allem aber die Investmentbanker selbst, die sich dank der immer absurderen Gehalts- und Bonisysteme 50 Prozent aller Gewinne in die eigene Tasche wirtschafteten, viele Milliarden insgesamt.
Was als durchaus sinnvolle Erfolgsbeteiligung begonnen hatte, entwickelte sich immer mehr zu einem System hemmungsloser Selbstbedienung.
Als Henry Paulson, der Chef der Investmentbank Goldman Sachs, im Juni 2006 zurücktrat, um als Finanzminister in den Dienst der US-Regierung zu treten, bekam er nicht nur einen dicken Bonus, 18,7 Millionen Dollar, er durfte auch noch seine angesammelten Goldman-Aktien im Wert von 480 Millionen Dollar vorzeitig verkaufen.
Eine halbe Milliarde Dollar, für einen Menschen, verdient in ein paar Jahren: Welche Arbeit kann so viel wert sein?
Keine, nicht einmal eine ehrliche. Das Treiben der Investmentbanker aber hatte mit ehrlicher Arbeit nichts zu tun, denn die Werte, die sie schufen, waren nur vorgegaukelt, sie waren erkauft mit Risiken, die, als sie fällig wurden, das ganze System zum Einsturz brachten.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass es Henry »Hank« Paulson war, der als Finanzminister der USA ausbaden musste, was sein eigener Berufsstand angerichtet hatte. Mit der Pleite von Lehman Brothers kam eine Investmentbank nach der anderen ins Wanken, sie mussten sich in Fusionen flüchten oder ihr Geschäftsmodell ändern und Staatsgeld akzeptieren.
700 Milliarden Dollar mobilisierte Paulson, um das Schlimmste zu verhindern, aber das reicht noch immer nicht. Zwei Billionen Dollar will sein Nachfolger Timothy Geithner noch einmal in das marode Finanzsystem investieren, Geld, das der Staat nicht hat (siehe Seite 102). Ob das hilft, um den ökonomischen Zusammenbruch des Landes und der Weltwirtschaft zu verhindern, weiß niemand. Und keiner kann sagen, wie der Staat die Schulden, die er jetzt aufnehmen muss, je wieder abtragen kann.
In Großbritannien und in Deutschland ist es nicht viel anders, die Regierungen verabschieden Rettungspakete in unvorstellbarem Ausmaß, sie beteiligen sich an Banken, sie verstaatlichen sie mehr oder weniger.
Die Koalition in Berlin denkt sogar über ein Enteignungsgesetz nach. Es geht um die Hypo Real Estate, die immer neue Staatsgarantien und -hilfen braucht, 102 Milliarden Euro hat sie davon bereits erhalten (siehe Kasten Seite 64).
Selbst wenn die Regierungen das Schlimmste verhindern und die Banken stabilisieren können: Die Weltwirtschaft steckt in ihrer größten Krise seit der Depression in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Und das alles ist die Folge eines Systems, das Investmentbanker erfunden haben und von dem sie selbst am meisten profitierten.
Doch von eigener Schuld wollen sie nichts wissen und von Sühne schon gar nicht. Dass sie ihre Boni eigentlich zurückzahlen müssten, weil sie auf Scheinerfolgen basieren, kommt nur den wenigsten in den Sinn - obwohl viele Banken ohne staatliche Hilfe pleitegegangen wären.
Bereits im November vergangenen Jahres hatte sich Bundespräsident Horst Köhler die Finanzmanager vorgeknöpft. In einer Rede auf dem European Banking Congress in Frankfurt am Main forderte er die versammelte Bankenprominenz auf, sie möge doch auf ihre Boni verzichten und diese stattdessen dazu nutzen, um Härtefälle der Krise aufzufangen.
»Diejenigen aus Ihrer Branche, die durch die Entwicklung der vergangenen Jahre viel Geld gemacht haben, könnten durch einen eigenen Beitrag in einen Fonds ein besonderes Zeichen der Solidarität setzen«, sagte Köhler damals. Vergangene Woche erinnerte er nochmals an seinen Vorschlag und wies enttäuscht darauf hin, dass kein einziger Bankenmanager auf die Idee eingegangen sei.
Dafür gibt es etliche, die sich mit allen Mitteln gegen einen solchen Beitrag sperren.
Die Mittelstandsbank IKB war im Sommer 2007 als erste deutsche Bank im Finanzsturm umgekippt. Die Provinzbanker hatten sich am US-Hypothekenmarkt verzockt und konnten nur mit Hilfe eines Rettungspakets von Banken und dem Staat am Leben erhalten werden. Danach musste beinahe der gesamte Vorstand gehen.
Die neue Führung ließ die Bilanz für die kritische Zeit 2006/07 frischrechnen. Unterm Strich stand nun plötzlich ein viel schlechteres Ergebnis. Eine Rückforderung der bereits gezahlten Boni war die logische Folge. Doch der damalige Vorstandschef Stefan Ortseifen klagt gegen seine Entlassung und weigert sich, Erfolgstantiemen von 805 000 Euro zurückzuerstatten. Auch sein ehemaliger Vorstandskollege Joachim Neupel will auf eine Prämie von 451 000 Euro, die von seiner Pension abgezogen werden soll, nicht verzichten. Das Landgericht Düsseldorf gab Neupel in erster Instanz recht.
Während sich Neupel und Ortseifen wehren, zeigen sich andere Ex-Kollegen einsichtiger. Volker Doberanzke und Markus Guthoff zahlten Ende vergangenen Jahres je rund 500 000 Euro - natürlich ohne Anerkennung irgendeiner Schuld.
In der Schweiz gab der frühere UBS-Chef Peter Wuffli immerhin acht Millionen Euro zurück, Ende November verzichteten Ex-UBS-Präsident Marcel Ospel und zwei weitere Top-Leute auf Zahlungen von 22 Millionen Euro.
Aber was ist das im Vergleich zu den Summen, die diese Banker im Lauf ihrer Karriere verdienten? Und zu dem gigantischen Verlust von über zwölf Milliarden Euro, den die Bank im vergangenen Jahr erzielte? Auch in der Schweiz musste der Staat einspringen. Und doch zahlt die Bank zum Entsetzen der Bürger und Politiker für 2008 Boni in Höhe von 1,4 Milliarden Euro.
»Man kann nur verteilen, was man verdient hat«, sagt dagegen Martin Blessing, der Chef der teilstaatlichen Commerzbank. »Unternehmen, die Verluste machen, haben keinen Bonus zu verteilen.«
Ein Bonus, so Blessing in der vergangenen Woche vor Mittelständlern, sei »eine Zusatzzahlung, die zuerst vom wirtschaftlichen Gesamterfolg des Unternehmens und dann von der persönlichen Leistung abhängt. Und zwar in genau dieser Reihenfolge.«
Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht. Vor allem nicht in Blessings Fall: Die 5500 Investmentbanker der Dresdner Kleinwort haben eine Zusage ihres alten Arbeitgebers, sie warten jetzt auf ihren letzten großen Zahltag.
Dass die Commerzbank, auch auf Druck der Bundesregierung, noch einmal jeden Vertrag prüft, finden die Investmentbanker der Dresdner Bank gar nicht lustig. »Die Allianz hat uns einen Bonuspool versprochen. Das wurde beim Verkaufspreis der Dresdner Bank einkalkuliert«, sagt einer ihrer hochrangigen Manager.
Er rechnet persönlich mit einem Bonus in Millionenhöhe, weil es in seinem Geschäftsbereich gar nicht so schlecht lief. Andernfalls will der Investmentbanker klagen. Auch seine Kollegen sind bereits auf den Barrikaden. Er erwartet »Hunderte von Prozessen« vor den Arbeitsgerichten.
Die meisten Investmentbanker haben nicht mehr viel zu verlieren. 88 der 90 Aktienanalysten in London, so ein Personalberater, erhielten vergangene Woche die Kündigung. Insgesamt 1300 Stellen will die Commerzbank beim Investmentbanking der Dresdner streichen. Die Brutalität des Geschäfts nehmen die Banker achselzuckend zur Kenntnis. Doch der Sold muss stimmen. Selbst die bereits Entlassenen warten noch auf den Bonusbrief. In dem stehen meist nur ein Satz und eine nackte Zahl.
Bei der Deutschen Bank sind die Briefe großteils schon verteilt. Es ist jedes Jahr das gleiche Ritual. Der Abteilungsleiter ruft jeden Händler einzeln in seinen kleinen Glaskasten neben dem Handelsraum und überreicht einen Umschlag. Wer keinen Bonus bekommt, weiß im Grunde, dass er sich einen anderen Arbeitsplatz suchen muss.
Statt 400 Millionen Euro wie bei Dresdner Kleinwort hat die Deutsche Bank 3,5 Milliarden Euro unter ihren Investmentbankern verteilt. Von der Sekretärin bis zum Derivate-Spezialisten bekam jeder im Durchschnitt 234 085 Euro. In dieser Summe sind zwar auch die normalen Gehälter versteckt. Doch die garantierten Gehälter liegen in den oberen Führungsetagen oft nur bei 10 bis 20 Prozent des Gesamtbetrags.
Sind 234 085 Euro viel oder wenig Geld? Es kommt auf die Perspektive an. Im Jahr davor gab es bei der Deutschen Bank durchschnittlich 413 204 Euro. Ein Einbruch von über 40 Prozent lässt die Investmentbanker nicht kalt.
Andererseits verursachten die Investmentbanker der Deutschen Bank einen Verlust von 7,4 Milliarden Euro vor Steuern. Nur stabilen Geschäftszweigen wie dem Privatkundengeschäft hat Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zu verdanken, dass der Verlust auf 3,9 Milliarden Euro begrenzt blieb.
Top-Banker wie Anshu Jain oder Michael Cohrs, die in guten Jahren eher 20 Millionen als 10 Millionen Euro verdienen, verzichteten in diesem Jahr auf ihren Bonus. »Auch viele andere haben keinen Bonus bekommen«, sagt Ackermann. Händler, die mit dem Kapital der Bank in Aktienmärkten oder mit strukturierten Krediten spekulierten, gingen diesmal leer aus. Nachdem ihre Stars in den vergangenen Jahren oft mehr als Ackermann verdienten, verlassen sie nun die Bank.
Andere Investmentbanker kassierten weiterhin ab. Wer mit deutschen Staatsanleihen handelte, konnte viel verdienen. Solche liquiden Papiere waren gefragt, fixe Händler mit Kontakten gesucht. Dass der von Jain verantwortete Wertpapierhandel insgesamt hohe Verluste erwirtschaftete, fiel kaum ins Gewicht.
Die Deutsche Bank kann machen, was sie will. Sie hat schließlich keine Staatshilfe beantragt. Indirekt aber lebt auch sie davon, dass die Regierungen in aller Welt mit Billionen an öffentlichen Mitteln das Finanzsystem vor dem endgültigen Kollaps bewahrten, sonst gäbe es auch die Deutsche Bank nicht mehr. Und schließlich gehörte sie zu den ganz Großen in den hochspekulativen Geschäften, die schließlich die Finanzkrise auslösten.
Leute wie Boaz Weinstein, 35, prägen das Bild der Bank. Der New Yorker ist ein begabter Schach- und ein begnadeter Glücksspieler. Wenn die Bildschirme im Händlerraum nur noch vor sich hin glimmten, pokerte er mit seinen Jungs. Wer eine 100-Dollar-Note auf den Tisch warf, durfte mitspielen.
Mit 24 Jahren fing Weinstein als Spezialist für Kreditversicherungen bei der Deutschen Bank an und wurde mit 27 einer der jüngsten Direktoren, die die Deutsche Bank jemals hatte. Es war ein junger aufregender Markt mit Kreditderivaten, sogenannten CDS, die im fernen Frankfurt damals noch kaum jemand verstand. Es klang nach Versicherung. Weinstein nutzte mathematische Formeln, um das Risiko abzubilden. Alles bestens.
Weil das Geschäft so gut lief, steckte die Bank ihrem Superhändler immer mehr Kapital zu. Sie ging selbst ins Risiko. Einfach nur Kundenaufträge auszuführen kann ja schließlich auch die Sparkasse um die Ecke. Die sogenannten Eigenhändler der Deutschen Bank durften mit einem zweistelligen Milliardenbetrag an den Börsen dieser Welt zocken gehen. Ihre Aufträge machten bis zu 20 Prozent des Wertpapiergeschäfts der Bank aus.
Weinstein war einer der Besten. Er erzielte gigantische Gewinne für die Bank und natürlich für sich selbst. Investmentbanker erwarten, dass die Hälfte des von ihnen erzielten Gewinns auf ihrem eigenen Konto landet. Zuletzt soll sein Salär bei 40 Millionen Dollar gelegen haben, ermittelte das »Wall Street Journal«.
Vergangenes Jahr stieg Weinstein zu einem der beiden Leiter des globalen Kredithandels auf. Als Mitte September das Weltfinanzsystem zusammenbrach, erwiesen sich seine Wetten als nicht ganz so sicher wie gedacht. Der Verlust seiner Abteilung wird auf 1,8 Milliarden Dollar geschätzt. Noch immer sind die Risikomanager der Bank dabei, seine teilweise sehr lang laufenden Handelspositionen aufzulösen.
Dieses Jahr musste Weinsteins Bonus leider ausfallen - für ihn selbst keine wirkliche Katastrophe: Vor wenigen Tagen verließ er die Deutsche Bank und gründet nun mit 15 Kollegen einen Hedgefonds. Das Kreditinstitut denkt noch darüber nach, ob es dem Neuunternehmer mit Startkapital auf die Beine hilft.
Für begabte Händler repräsentierte die Deutsche Bank die beste aller Welten. Die Besten unter ihnen konnten mit dem Kapital der Bank spekulieren und ihr Einkommen maximieren. Je mehr Risiko sie eingehen konnten, desto höher der potentielle Gewinn. Bis das System kollabierte.
Frei von Schuld ist keine der großen Banken. Aber wer bekennt sich dazu? Wie soll die Branche ihr verspieltes Vertrauen wiedergewinnen, wenn sie nicht zu ihrer Verantwortung steht?
In Großbritannien mussten sich führende Banker vergangene Woche dem Finanzausschuss des Parlaments stellen, das Wörtchen »Sorry« kam ihnen oft über die Lippen, ihre PR-Berater hatten gute Arbeit geleistet. Aber mit der Bonuskultur und den überhöhten Gehältern habe die Krise nichts zu tun, beteuerten sie.
Im Gegenteil: Er habe selbst eine Menge Geld verloren, klagte Andy Hornby, der ehemalige Chef der Hypothekenbank HBOS. Er hat seine Boni in Form von Aktienoptionen bekommen, und deren Wert ist abgestürzt, als die Bank in Schwierigkeiten geriet. Inzwischen wurde sie mit der Bank LloydsTSB fusioniert, an dem neuen Institut ist der Staat mit 43 Prozent beteiligt.
John Prescott, der ehemalige stellvertretende britische Premierminister, führt den Kreuzzug gegen Bonuszahlungen in jenen Banken an, die mit Hilfe von Steuermilliarden gerettet werden mussten. »Sich auf bestehende Verträge zu berufen ist absoluter Blödsinn. Die Verträge wären wertlos ohne die Regierung«, sagt er. »Wir erleben die Umkehrung von Robin Hood - beraube die Armen, bezahle die Reichen.« In der vergangenen Woche präsentierte Prescott dem Unterhaus fast 30 000 Unterschriften seiner Initiative gegen die hohen Zahlungen.
3,6 Milliarden Pfund sollen im Londoner Finanzdistrikt an Boni demnächst für das Katastrophenjahr 2008 ausgezahlt werden - immerhin noch 40 Prozent jener Summe, die im Jahr davor ausgeschüttet wurde. Gleichzeitig warnt Edward Balls, früher engster Berater Browns im Schatzkanzleramt, jetzt Familienminister: »In Wahrheit ist dies die schlimmste Rezession der letzten 100 Jahre - ein seismografisches Ereignis, das die Politik der nächsten 15 Jahre bestimmen wird.«
Kein Wunder, dass die meisten Briten wütend sind. Die Empörung gilt vor allem der Royal Bank of Scotland (RBS), die von ihrem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Sir Fred »der Reißwolf« Goodwin so in Grund und Boden gewirtschaftet wurde, dass sie für 2008 einen Verlust von fast 28 Milliarden Pfund anmelden musste.
Mit 20 Milliarden Pfund Steuermitteln musste die RBS im Herbst gerettet werden, 68 Prozent der Bank gehören nun dem Staat, und trotzdem will die Bank in diesen Tagen Bonuszahlungen von einer Milliarde Pfund leisten. »Da gab es vertragliche Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitern«, erklärte Finanzminister Alistair Darling zurückhaltend. Die Opposition, aber auch Labour-Abgeordnete wie Prescott forderten die Regierung auf, die Bonuszahlungen trotz der Verträge zu verbieten.
Gleichzeitig hat Prescott einen offenen Brief an den neuen RBS-Chef Stephen Hester verfasst, in dem er die Bonuszahlungen als »moralisch und ökonomisch abscheulich« kritisiert. Hester teilte zwar einem Komitee von Abgeordneten mit, er verstehe bezüglich der Boni »die öffentliche Stimmung zu 100 Prozent«. Gezahlt werden soll die Milliarde trotzdem.
Eine gespenstische Konsequenz - vor allem, weil sein Vorgänger Goodwin sich vor dem Finanzausschuss »bedingungslos und umfassend für das Elend, das geschehen ist«, entschuldigte. Goodwin, den die Labour-Regierung noch 2004 zum Ritter schlagen ließ, kassierte in zehn Jahren selbst 13 Millionen Pfund an Boni.
Solche Exzesse werden den Bankern nicht einmal mehr in den USA verziehen - selbst im Mutterland des ungezügelten Kapitalismus ist die Stimmung inzwischen umgeschlagen.
Bisher hatten die Amerikaner kein Problem mit Millionengehältern und Riesen-Boni. Die Wall Street war immer Kernstück des American Dream, der Ort, an dem es jeder sehr schnell zu sehr viel Geld bringen konnte.
Doch dieses Mal haben sie es wirklich übertrieben. Männer wie der mittlerweile entlassene Merrill-Lynch-Chef John Thain, der sich mitten in der Krise erst einmal sein Büro für 1,2 Millionen Dollar neu dekorieren ließ, inklusive eines Papierkorbs für 1400 Dollar. Auf seinen Bonus von zehn Millionen Dollar wollte er schon gar nicht verzichten, obwohl seine Bank nur durch einen Notverkauf gerettet werden konnte.
Oder Richard Fuld, Ex-Chef von Lehman Brothers, der klammheimlich seine Strandvilla in Florida für 100 Dollar an seine Frau verkaufte, um einen Teil seines beträchtlichen Vermögens vor drohenden Zivilklagen in Sicherheit zu bringen. Ursprünglicher Kaufpreis des stattlichen Anwesens: 14 Millionen Dollar.
Die Bosse des mit Staatsgeldern vor dem Aus geretteten Versicherungskonzerns AIG hatten ebenfalls keine Probleme, verdienten Mitarbeitern noch einen Jagdausflug nach England zu schenken.
Und natürlich Bernard Madoff. Um 50 Milliarden Dollar soll der ehemalige Chef der Technologie-Börse Nasdaq Investoren mit einem kriminellen Schneeballsystem betrogen haben.
Einen Tag vor seiner Verhaftung brachte Madoffs Ehefrau erst einmal über 15 Millionen Dollar des persönlichen Vermögens in Sicherheit.
Inzwischen scheint es für viele Amerikaner nur noch zwei Kategorien von Wall-Street-Managern zu geben: die einen arrogant und gierig, die anderen Verbrecher und Betrüger.
»Aus den einstigen Star-Finanzgrößen sind Star-Schurken geworden«, urteilte die »New York Times«. »Schockiert« von so viel Dreistigkeit ist sogar der Autor Tom Wolfe, der einst den Wall-Street-Gurus ein Denkmal setzte, indem er sie in seinem Roman »Fegefeuer der Eitelkeiten« zu den »Herren des Universums« erklärte.
Als dann noch vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass die Wall Street im Krisenjahr 2008 Boni über insgesamt 18,1 Milliarden Dollar ausgeschüttet hat, konnte auch der Präsident nicht mehr an sich halten: »Das ist der Gipfel der Verantwortungslosigkeit«, wetterte ein sichtlich zorniger Barack Obama - der zugleich der Bevölkerung ein weiteres riesiges Banken-Rettungspaket verkaufen muss, damit die US-Wirtschaft nicht komplett abstürzt.
Merrill Lynch, so wurde in den vergangenen Tagen bekannt, verteilte noch Ende vergangenen Jahres Boni von jeweils mindestens einer Million Dollar an 696 Manager - obwohl die Investmentbank allein im vierten Quartal einen Verlust von 15 Milliarden Dollar einfuhr und nur mit Staatshilfe gerettet werden konnte.
»Es ist uns völlig klar, dass die breite Öffentlichkeit wütend auf unsere ganze Branche ist«, betonte Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs, in der vergangenen Woche bei der Anhörung vor dem Finanzausschuss des Repräsentantenhauses. »Viele Menschen glauben - und in vielen Fällen sogar berechtigt -, dass Wall Street den Blick für ihre öffentlichen Verpflichtungen verloren hat.«
Sieben Stunden lang mussten sich die Wall-Street-Größen vor dem Ausschuss peinlichen Fragen stellen. Warum sie Firmenflieger besitzen beispielsweise. Oder: »Warum in aller Welt brauchen Sie Boni? Stehen Sie dann morgens früher auf?«
Das heutige Bonussystem geht im Wesentlichen auf die siebziger Jahre zurück. Damals glichen Investmentbanken in etwa Anwaltskanzleien mit Partnern, die Gewinne unter sich verteilten. Nicht an der Firma beteiligte Angestellte bekamen einen überschaubaren Bonus. Insgesamt hielt sich das Risiko in Grenzen, denn die Partner als Haupteigner achteten auf eine eher konservative Politik.
Dann aber drängten große Geschäftsbanken wie Citigroup oder die Deutsche Bank in die exklusive Welt der Investmentbanker und kämpften hart um das Business und die Mitarbeiter der Wall-Street-Häuser.
Morgan Stanley, Merrill Lynch, Lehman Brothers, Bear Stearns, Goldman Sachs, einer nach dem anderen wagte daraufhin den Börsengang, um sich besser finanzieren zu können und das Risiko zu streuen.
Alles hatte sich geändert. Sie waren jetzt große, börsennotierte Finanzkonzerne, sie hatten ein neues Geschäftsmodell, sie verließen sich nicht mehr bloß aufs stark schwankende Fusionsbusiness ("Mergers & Acquisitions"), sondern spekulierten auf eigene Rechnung.
Je höher der Wettgewinn, desto besser der Bonus, so lautete die Faustformel der Investmentbanker. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten stieg die Bonussumme der Wall-Street-Banken von insgesamt 1,9 Milliarden Dollar (1985) auf 34, 1 Milliarden Dollar im Spitzenjahr 2006; ein Plus von 1695 Prozent. Top-Manager verdienten nun mit ihrem Bonus oft das 10- bis 20fache ihres Grundgehalts.
Das Bonussystem wirkte wie ein »Brandbeschleuniger«, sagt Nikolaus von Bomhard, Chef des Versicherungskonzerns Münchner Rück (siehe Seite 73), den Brand gelegt aber haben andere.
Für Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hat der Brandstifter einen berühmten Namen: Alan Greenspan. Die heiße Ära begann, als er 1987 Chef der Zentralbank Federal Reserve (Fed) wurde. Damals wollte Präsident Ronald Reagan Fed-Leiter Paul Volcker loswerden. Der hatte zwar erfolgreich die Inflation bekämpft, wollte aber partout nicht von der Idee lassen, dass Finanzmärkte eng an der Kandare gehalten werden müssen. Ganz anders Greenspan, ein Bewunderer der Freimarkt-Philosophin Ayn Rand.
Der neue Fed-Chef lockerte die Regulierungen und drehte in den kommenden Jahren den Geldhahn immer weiter auf. »Finanzielle Innovation« hieß das Schlagwort damals, niemand wollte, niemand durfte der »Innovation« im Weg stehen.
Begeistert von jedweder Art der Deregulierung, posierte Präsident George W. Bush mitsamt Vertretern der verschiedenen Regulierungsinstitutionen 2003 vor Journalisten als Befreier der Märkte, bewaffnet mit Heckenscheren und Kettensägen. Versuche der Bundesstaaten, die Kreditvergabe an Hauskäufer besser zu kontrollieren, wurden fortan von Washington verhindert.
So folgte der nächste Schritt ins Desaster, die Lockerung der Eigenkapitalvorschriften. 2004 erlaubte die US-Börsenaufsicht SEC großen Investmentbanken, fast dreimal so viel Schulden aufzunehmen wie zuvor. Nun konnten im großen Stil hypothekengestützte Wertpapiere angekauft werden, was die Immobilienblase immer stärker aufpustete.
In den folgenden Jahren veränderte sich die Struktur des US-Finanzsystems fundamental. Das einst dominierende kommerzielle Banking verlor immer mehr Anteile an die verwegen agierenden Finanzmeister in New York. Und die ließen sich immer wildere Produkte einfallen, mit immer undurchsichtigeren Namen und immer riskanteren Strukturen.
Anfang 2007 verwalteten die fünf großen US-Investmentbanken zusammen ein Portfolio im Wert von vier Billionen Dollar. Rund 40 Prozent des gesamten Bankgeschäfts der Vereinigten Staaten fanden nun im riskanten Bereich statt
Doch wer wollte sich schon sorgen? Es gab Anlagegeld in Hülle und Fülle, aus China, Dubai und als Resultat der Tiefzinspolitik von Alan Greenspan. Seit die Banken die Kreditrisiken in nette Pakete bündelten und sofort weiterverkauften, fiel der Anreiz weg, ihre Kreditnehmer unter die Lupe zu nehmen. Das Geld kam beim Weiterverkauf ja sofort zurück.
Die Investmentbanken investierten immer mehr Geld ihrer eigenen Aktionäre in dubiose Anlagen. Sie scheffelten gigantische Gewinne - und machten weiter, immer weiter. Ganz allmählich lösten sie sich von der realen Welt, entschwanden in einem Paralleluniversum des Reichtums, der Maßlosigkeit und des unumstößlichen Glaubens an die eigene Unfehlbarkeit.
Was zählte, war allein die Transaktion, denn nur dafür bekommt der Banker am Jahresende den ersehnten Bonus. Zweifel dagegen waren wertlos: Niemand bekommt etwas extra, weil er eine Krise verhindert hat.
Wer dagegen ein hohes Risiko einging, konnte in ein paar Jahren ausgesorgt haben. Was konnten sie schon verlieren? Wenn ihre Wetten eintrafen, bekamen sie die Prämie. Wenn nicht, war es das Problem der Aktionäre. Dieser Gier-Mechanismus war es, der die Finanzkrise mitverursachte.
Um den Bonus drehte sich alles in der Welt des Investmentbanking. Das eigentliche Gehalt, bei einem Einsteiger schon mal 150 000 Dollar, war für sie kaum mehr als eine Aufwandsentschädigung. Der wahre Lohn für 60-Stunden-Wochen, den Verzicht auf Privatleben und nervenaufreibenden Stress war die Extraprämie, die das Fünf- bis Zehnfache der Festgage ausmachen konnte. Der Bonus sorgte für Luxus, für Ferrari, Villen, Exzesse jeder Art.
Quer durch Manhattan schossen in den vergangenen Jahren luxuriöse Apartmenttürme in den Himmel, futuristische Glastürme mit kleinen Wohnungen zum »Starter«-Preis von zwei bis drei Millionen Dollar für die »Junior Trader«, meist Harvard- oder Princeton-Absolventen Anfang oder Mitte zwanzig, die bei Hedgefonds untergekommen waren.
Ihre Chefs langten in den besten Lagen am Central Park zu. Dort wechselten Penthouse-Wohnungen für bis zu 70 Millionen Dollar den Besitzer. Im wohl teuersten Apartmentgebäude der Welt, einem neoklassizistischen Neubau im Gesamtwert von zwei Milliarden Dollar, leben beispielsweise Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein und Citigroup-Patriarch Sandy Weill unter demselben Dach mit dem Schauspieler Denzel Washington. Der allerdings musste sich mit einer tiefer gelegenen Wohnung begnügen.
Selbst ein Hollywood-Star wirkt manchmal wie ein Bettelmönch gemessen an den Verdiensten einiger Investmentbanker. Gigantische Summen wurden so Jahr für Jahr aus den Unternehmen gezogen.
Derart obszön war die Bonusmanie der Bank und ihrer Angestellten, dass sich der Vorstandschef von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, auf dem vorläufigen Höhepunkt, im Dezember 2006, schon um das Ansehen seines Hauses sorgte und seine Leute nachdrücklich zur Mäßigung anhielt. »Ich bitte jeden Einzelnen von Ihnen zu bedenken, dass unsere Taten in- und außerhalb des Büros auf Goldman zurückfallen«, sagte er seinen Kollegen, »der Eindruck von Arroganz schadet uns allen.«
Zur gleichen Zeit kassierte er einen persönlichen Bonus von sagenhaften 53 Millionen Dollar, zuzüglich zu seinem Jahresgehalt von 220 000 Dollar.
2007 legte Goldman Sachs ein Rekordergebnis hin. Das Unternehmen bedankte sich mit 18 Milliarden Dollar bei seinen Mitarbeitern. Das macht im Durchschnitt
623 000 Dollar. Lloyd Blankfein kassierte knapp 70 Millionen.
Auch Lehman Brothers feierte 2007 noch die fröhliche Geldvermehrung und belohnte sich mit 9,5 Milliarden Dollar, 800 Millionen mehr als im Vorjahr.
Da wollte Morgan Stanley nicht zurückstehen. Bereits angeschlagen von der beginnenden Bankenkrise schüttete sie 16,5 Milliarden Dollar aus, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Chef John Mack, der 2006 noch 40 Millionen abbekam, begnügte sich 2007 bescheiden mit 800 000 Dollar.
Bei Merrill Lynch wurde im gleichen Jahr Stan O'Neal nach Hause geschickt - mit 161 Millionen Dollar als Pensionsbeigabe. Sein Nachfolger John Thain erhielt gleich im ersten Jahr 83 Millionen Dollar.
Wall Street zahlte 2007 mehr als 30 Milliarden Dollar an Boni aus, die Londoner City zwölf Milliarden Euro. Finanzkrise am Horizont? Die Manager blieben cool. Obwohl seine Bank in Schieflage geriet, ließ sich James Cayne, Chef von Bear Stearns, nicht aus der Ruhe bringen. Als sein Geldhaus Milliardenverluste meldete, weilte er auf einem zwölftägigen Bridge-Turnier in Nashville. Und war echt verärgert, dass er abbrechen und nach New York eilen musste. Für gut 60 Millionen Dollar verkaufte er am Ende noch schnell eigene Bear-Stearns-Aktien, bevor sein Lebenswerk in die Brüche ging. Die Hälfte davon reichte gerade mal für zwei Apartments im umgebauten Plaza Hotel an der 5th Avenue für sich und seine Frau.
2008 schließlich kam die Finanzkrise mit voller Wucht. Lehman Brothers und andere große Namen verschwanden. Doch ungerührt zahlten sich die Katastrophenbanker 18,4 Milliarden Dollar an Prämien aus - der sechstgrößte Bonusbetrag, der je ausgeschüttet wurde. Im Dezember 2008 meldete Associated Press, dass 1,6 Milliarden Dollar des Geldes, das US-Steuerzahler zur Rettung ihrer Banken berappten, in die Taschen von Top-Managern flossen.
Die mit Hilfe von rund 230 Milliarden Dollar Staatsgeld verkaufte Merrill Lynch beschenkte nochmals die Top-Verdiener. Sie verlegte die Prämienauszahlung von 3,6 Milliarden kurzentschlossen auf den Dezember vor, direkt bevor die Aktionäre dem Verkauf an die Bank of America zustimmten.
Jetzt ist der Ruf der Branche ruiniert. In New York sind T-Shirts mit der Aufschrift »Ich hasse Investment Banking« derzeit der Verkaufsschlager. Jahrelang zogen die Wall-Street-Banken die Besten eines Uni-Jahrgangs an, künftig werden die sich anders orientieren. Denn dann bestimmt der Staat, was die Banker verdienen - zumindest die, deren Häuser Geld vom Staat nehmen. Und das werden immer mehr.
Der vergangene Woche von Geithner vorgestellte neue Rettungsplan für die Finanzbranche deckelt die Managerbezahlung ausdrücklich: Höchstens 500 000 Dollar Gehalt inklusive Boni dürfen Banken zukünftig ihren Top-Managern zahlen, wenn sie staatliche Gelder erhalten. Aktienoptionen können erst kassiert werden, wenn der Staat sein Geld zurückhat. Und sogar gewohnte Annehmlichkeiten wie die Nutzung von Firmenjets müssen radikal eingeschränkt werden.
Gleichzeitig aber bemühte sich Präsident Obama klarzustellen, er wolle nicht an den kulturellen Wurzeln des Landes rütteln: »Wir haben nichts gegen Reichtum. Und wir glauben, dass Erfolg belohnt werden soll. Aber was die Menschen zu Recht verärgert, ist, Versagen zu belohnen.«
Der eine oder andere führende Berater von Obama wäre aber wohl gern noch einen Schritt weiter gegangen, heißt es in Washington. Finanzminister Geithner konnte sich offenbar erst nach langen Debatten gegen Befürworter einer noch weit stärkeren Limitierung der Banker-Kompensation durchsetzen. Diskutiert wurde etwa, Gehaltsgrenzen nicht nur für die Führungskräfte, sondern für alle Bankangestellten festzulegen.
Der Wall Street gehen auch die abgemilderten Regeln viel zu weit. Noch vergangene Woche hatte das Hausorgan der Finanzbranche vor einer Begrenzung des Bonisystems gewarnt. Leistungsprämien seien »ein wichtiger und nötiger Teil dieser schnellen Hochdruckindustrie«, schrieb das »Wall Street Journal«, sie wegzunehmen, warnte das Blatt dann sogar, »könnte die Rückkehr des wirtschaftlichen Aufschwungs behindern«. Die Überschrift des Artikels: »Gier ist gut«.
Wahrscheinlich ist die Verbundenheit mit den Finanzeliten des Landes auch einer der Gründe, warum sich der britische Premier Brown in der Frage der Boni zurückhaltend gibt. Erst für dieses Jahr will die Regierung diese Zahlungen auf 25 000 Pfund begrenzen. Der Rest soll in Aktien ausbezahlt werden, die aber erst dann verkauft werden dürfen, wenn alle staatlichen Gelder zurückgezahlt sind. Dies soll auch für Privatbanken gelten, die in Zukunft den staatlichen Versicherungsschutz für schlechte Risiken in Anspruch nehmen.
Mit der Verabschiedung des nächsten Haushalts Ende April will Brown die neuen Gesetze beschließen lassen, sie sollen sicherstellen, dass »die auf kurzfristige Gewinne abgerichtete Kultur in den Banken beendet wird«.
Die deutsche Regierung müht sich schon lange, unabhängig von der aktuellen Finanzkrise, um eine Regelung der ausufernden Gehälter, Abfindungen und Boni. Eine gemeinsame großkoalitionäre Arbeitsgruppe hat sich am 29. Januar auf einige neue Regeln geeinigt. Was strittig blieb, soll am 4. März im Koalitionsausschuss erörtert werden.
So sperrte sich die CDU, angeführt von ihrem Finanzexperten Otto Bernhardt, etwa gegen den Vorschlag der SPD, Managerabfindungen nur bis zu der Summe von einer Million Euro steuerlich voll absetzbar zu machen, darüber hinaus nur zur Hälfte.
Auch der SPD-Vorschlag, künftig gesetzlich festzuschreiben, dass Vorstände die Geschäfte auch im Sinne der Beschäftigten und des Standorts Deutschland zu führen haben, lehnte die Union bislang ab.
Justizministerin Zypries wittert dahinter ideologische Motive und drängt auf Klärung von ganz oben: Die Kanzlerin, so Zypries, müsse in der Sache klar Position beziehen. »Wir werden beim Koalitionsausschuss Anfang März klarmachen, dass wir handeln müssen«, sagt auch Merkels Herausforderer Steinmeier. »Noch blockiert die Union viele sinnvolle Vorschläge, aber wir werden sie an ihren Worten und Reden messen.«
Einig sind sich die Großkoalitionäre dagegen, dass vor allem das Aktiengesetz verschärft werden soll. So soll erstmals definiert werden, was unter der »angemessenen« Vergütung von Vorständen konkret zu verstehen ist, wie sie das Aktiengesetz heute schon vorsieht. Diese Angemessenheit soll sich künftig nach den Leistungen der Vorstände, der Lage des Unternehmens und den üblichen Bezügen richten. Wenn es dem Unternehmen schlechtgeht, könnte der Aufsichtsrat danach die Vorstandsbezüge ohne weiteres kürzen.
Zudem soll der Aufsichtsrat den Vorständen über die Vergütungsregelungen möglichst längerfristige Anreize setzen, um künftig die unter Vorständen verbreitete Praxis einzudämmen, Aktienkurse und ergebnisrelevante Entscheidungen an für Bonizahlungen wichtigen Stichtagen zu orientieren. Ihre Aktienoptionen sollen Vorstände künftig erst nach vier statt wie bisher nach zwei Jahren einlösen können, zudem sollen Aufsichtsräte, die eine unangemessen hohe Vergütung beschließen, künftig persönlich schadensersatzpflichtig werden.
Dass es gerade die kurzfristigen Anreize waren, die ins Verderben führen, haben inzwischen auch die Banken erkannt, etliche wollen ihr Bonussystem umstellen und an langfristigen Zielen ausrichten. »Wir sind dabei, uns sehr genau zu überlegen, wie Gehalts- und Anreizsysteme in Zukunft aussehen sollen«, sagt Commerzbank-Chef Blessing.
Viel Spielraum hat er nicht, demnächst sitzen zwei Berliner Staatssekretäre als Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat und passen auf. Da genau sieht Deutsche-Bank-Chef Ackermann seine Chance. »Glücklich sind all die Banken, die es ohne staatliche Hilfen schaffen«, sagt er. Denn die könnten weiter Gehälter und Boni zahlen, die weit über die 500 000 Dollar hinausgehen, die Obama für die amerikanischen Wettbewerber festgeschrieben hat.
»Die Talente werden gern bei uns arbeiten«, lockt der Deutsche-Bank-Vorstandsvorsitzende schon mal voller Vorfreude. Das Geschäft sei schließlich ein »peoples business«.
BEAT BALZLI, MARKUS DETTMER,
FRANK HORNIG, THOMAS HÜETLIN, ARMIN MAHLER, CHRISTOPH PAULY,
WOLFGANG REUTER, MARCEL ROSENBACH, MICHAELA SCHIEßL, THOMAS SCHULZ
* Bei der Bekanntgabe der Staatsgarantie für Spareinlagen am 5. Oktober 2008 in Berlin.