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BORGWARD Schulden und Sühne

aus DER SPIEGEL 43/1961

Leicht verdattert, das sonst rosige

Gesicht dunkel verfärbt, verließ der Leitende Regierungsdirektor Walther Fenske den großen Saal der Bremer »Glocke«. Draußen vor der Tür blieb er sinnend immer wieder stehen. Erst das drohende Auge eines Teleobjektivs rief ihn in die Gegenwart zurück. Eilends strebte der rundliche Mann dem Bremer Marktplatz zu.

Der Oberbeamte Fenske war von 450 Konkursgläubigern, die sich am Dienstag vergangener Woche zur ersten Konkurs-Versammlung der Carl F. W. Borgward GmbH und der Goliath-Werke GmbH in Bremen eingefunden hatten, in ein arges Kreuzverhör genommen worden. Auf alle Fragen der Gläubiger nach bestimmten Geschäftsvorgängen bei den staatseigenen Borgward-Werken wußte Fenske indes nur stotternd zu antworten.

Als die Ausführungen des Bremer Staatsbeamten in immer neuen Zwischenrufen ("Das ist keine Antwort") untergingen, schaltete sich schließlich der Konkursrichter und Amtsgerichtspräsident Dr. Waldemar Peters ein: »Wir wollen Herrn Fenske hier nicht überstrapazieren.« Unter dem Gelächter der Versammlung retirierte der Regierungsdirektor daraufhin rasch vom Podium.

Bremens Wirtschaftssenator Eggers hatte den in seinem Ressort beschäftigten Regierungsdirektor Fenske im vergangenen Frühjahr an die Spitze der Carl F. W. Borgward GmbH delegiert, nachdem der Bremer Senat den Firmengründer, Konsul Carl Borgward, unter Hinweis auf die soziale Not der Belegschaft gezwungen hatte, dem Duodez-Staat an der -Unterweser sein Firmen-Vermögen entschädigungslog zu übereignen.

Konkursrichter und Gläubiger bescheinigten jetzt dem staatlichen Alleingesellschafter, daß seine Dispositionen bei Borgward mangelhaft, die von ihm gebildeten Aufsichtsgremien fehlbesetzt waren und sein Verhalten gegenüber Lieferanten, Händlern und Kunden irreführend gewesen sei.

»Ich habe mir dazu auch eine eigene Meinung gebildet«, erklärte der Konkursrichter Dr. Peters, »die ich jedoch als unabhängiger Richter nicht äußern möchte.« Der Lübecker Borgward -Händler Dr. Ahrens erklärte sich deutlicher: »Hier ist der Tatbestand der Untreue erfüllt.«

Die etwa 2000 Gläubiger der Borgward-Werke werden, soweit sie sich bei Lieferung von Einzelteilen keine Sicherheiten hatten einräumen lassen, aus der Konkursmasse keinen Pfennig erhalten. Lediglich die Goliath-Gläubiger können mit einer Quote von 3,3 Prozent rechnen.

Noch vor einem Jahr hatten die Werke einen Überschuß von mehr als 150 Millionen Mark ausgewiesen; heute übersteigen die Schulden den Wert des Anlage- und Umlaufvermögens erheblich.

Schuld an diesem Wertverlust, so erklärte der Autohändler Ahrens, seien allein der Bremer Senat und der vom Senat beauftragte Sanierer Dr. Johannes

(Hühnerfutter-) Semler: »Hier ist etwas passiert, was in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmalig ist. Der Senat hat bei Borgward das Geld zum Fenster hinausgeworfen, angefangen bei dem Gehalt, das der Sanierungsbeauftragte Dr. Semler erhalten hat (250 000 Mark). Die Arbeiter haben sich auf den Füßen rumgestanden, es ist zu keiner Zeit so unsparsam gewirtschaftet worden wie in den letzten Monaten. Die Leute, die uns das eingebrockt haben, sollte man für den Schaden haftbar machen.«

Feststeht schon heute, daß über den Bremer Staat eine Prozeßlawine niedergehen wird, wie sie keine deutsche Gebietskörperschaft jemals erlebt hat.

In ihrem Bemühen, die Borgward -Arbeitsplätze zu erhalten, hatten die

Senatoren Eggers (Wirtschaft) und Nolting-Hauff (Finanzen) auf schmerzhafte Eingriffe bei Borgward verzichtet. Sie behielten nahezu die volle Belegschaft, obwohl im Juli die Produktion nur noch ein Siebentel der Januar-Produktion ausmachte. Allein durch diese sozialpolitische Augenwischerei wurden mindestens 30 bis 60 Millionen Mark vertan, die das Land Bremen über eine eigens gegründete Borgward-Werke AG den Fertigungsunternehmen geliehen hatte.

Obwohl der Sanierungsbevollmächtigte Johannes Semler dem Senat bereits im Februar zu verstehen gegeben hatte, daß diese Mittel nicht für die endgültige Sanierung ausreichen würden, versprach der Senat den Händlern und Lieferanten, Borgward werde auch in Zukunft weiterproduzieren.

Diese Versprechungen wurden noch im Monat Mai 1961 wiederholt. Heute behauptet der Bremer Wirtschaftssenator Eggers: »Das Schicksal der Borgward-Werke hat sich bereits im Mai abgezeichnet.«

Dieser eklatante Widerspruch könnte den Bremer Staat noch viel Geld kosten. So hat der Bundesgerichtshof noch vor wenigen Wochen in einem Urteil ausgesprochen, daß der Alleingesellschafter einer GmbH dann unbeschränkt in Anspruch genommen werden kann, wenn »schwerwiegende Gesichtspunkte aus Treu und Glauben« dies erfordern.

Bereits am vergangenen Dienstag formierten sich die Gläubiger zum Frontalangriff auf das Land Bremen. Die Gläubiger-Ausschüsse bei Borgward und Goliath wurden durchweg mit Anwälten besetzt, die mit den Fragen der sogenannten Durchgriffhaftung vertraut sind. Der Anwalt einer Gläubigergruppe, der Quandt-Gruppe, hatte sogar gefordert, man solle einen Unterausschuß bilden, der sich allein mit der Vorbereitung von Prozessen gegen den Bremer Senat befassen müßte.

Die Prozesse dürften für Bremen um so gefährlicher werden, als die ungesicherten Gläubiger demnächst mit der prozessualen Unterstützung jener Großgläubiger rechnen können, die sich Sicherheiten in Form von Grundstücks -Pfandrechten hatten geben lassen und mithin vorab befriedigt werden müssen. Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ist nicht einmal damit zu rechnen, daß diese bevorrechtigten Gläubiger alle ihre Außenstände einbringen werden.

Voraussetzung für die volle Befriedigung der bevorrechtigten Gläubiger ist nämlich, daß sich für das Stammwerk in Sebaldsbrück ein Käufer findet, der bereit ist, für die Anlagen etwa 70 Millionen Mark zu zahlen. Tatsächlich sind zur Zeit lediglich mit der zum Rheinstahl-Konzern gehörenden Hanomag Verkaufsgespräche im Gange. Hanomag will nur 30 Millionen Mark zahlen. Das heißt: Wenn der Konkursverwalter die Offerte annimmt, würden zur vollen Befriedigung dieser bevorrechtigten Gläubiger mithin etwa 40 Millionen Mark fehlen.

Mit den Schadenersatzprozessen dürfte der Fall Borgward für den Bremer Senat jedoch nicht ausgestanden sein. Von den 80 Millionen Mark, die den Borgward-Werken von der Staatlichen Kreditanstalt Oldenburg-Bremen sowie von der Gesellschaft für Wirtschaft und Arbeit kreditiert worden sind, hat das Land Bremen 20 Millionen Mark selbstschuldnerisch verbürgt.

Bei den Konkursverwaltern stehen diese 20 Millionen Mark bislang als gesicherte Forderung der Banken gegenüber dem vorhandenen Borgward -Vermögen zu Buch. Die Gläubiger wollen jetzt durchdrücken, daß die staatseigenen Banken ihre Bürgschaftsforderungen gegenüber dem Bremer Staat geltend machen.

Die Zahlung von weiteren 20 Millionen Mark dürfte den Wächtern des notorisch schlappen Staatssäckels einige Sorgen bereiten. Ohnehin fahndet etwa der Fraktionsvorsitzende der CDU -Opposition in der Bremer Bürgerschaft, Karl Krammig, mißtrauisch danach, warum an dem Neubau des staatlichen Hallenschwimmbades in Bremen-Vegesack neuerdings kaum noch Arbeiter beschäftigt sind.

Krammig argwöhnt, daß der Bau des Hallenschwimmbades ins Stocken geraten ist, weil Bremens Kämmerern wegen des Borgward-Konkurses die liquiden Mittel weggeschwommen sind.

Borgward-Konkursrichter Peters

Den Gläubigern keinen Pfennig?

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