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Artikel 47 / 61

Briefe

SCHULDFRAGE
aus DER SPIEGEL 14/1964

SCHULDFRAGE

Ihre Serie über die Ursachen des Ersten Weltkrieges dürfte der älteren Generation zur Aufhellung des Geschichtsbildes dienen und der Jugend jene Aufklärung über Deutschlands Vergangenheit gewähren, die ihr in der Schule vorenthalten wird.

Baden-Baden HORST KLIER

Ihr tapferster Artikel seit Jahren, Er wird ein wütendes Gekläff entfachen.

Regensburg WERNER LODY

Die Saiten, die Hitler im deutschen Herzen zum Schwingen brachte, sind vermutlich schon Generationen zuvor aufgezogen worden, ohne daß unsere Väter merkten, weiches Unheil sich da anbahnte. Studieren Sie nur die Schulgeschichtsbücher des vorigen Jahrhunderts, dann wissen Sie, welche Träume von »deutscher Sendung«, von der »Überlegenheit der germanischen Heldenrasse«, vom »Recht auf die großdeutsche Heimat« (vom Atlantik bis zum

Schwarzen Meer) und welche Haßgefühle gegenüber Franzosen, Briten, Slawen, Juden und allem, was anders war als wir da gezüchtet wurden!

Alzey (Rhl.-Pf.) HEINRICH TREBLIN

... möchten wir mit den Worten des Blattes »Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung« sagen, »Gott ist reich«, daß er uns den Aufsatz 'von Herrn Augstein gesandt und uns die Augen geöffnet hat.

Wien EMIL E. AMERSIN

Ich mache mit Gedanken, auf welche Weise ein Vater heutzutage seine Kinder vor den verhängnisvollen Einflüssen der patriotischen deutsch-nationalen Geschichtsverfälschung im Sinne des Herrenmenschentums bewahren kann. Kann ich meine Kinder vom Geschichtsunterricht fernhalten, wenn ein Lehrer chauvinistische Lehrbücher verwendet?

Kassel GERHARD THIELE

Berufsantifaschisten, die durch Professor Schwamms Artikelserie am SPIEGEL irre wurden, können jetzt wieder guten Gewissens sich der wöchentlichen SPIEGEL-Lektüre hingeben. Ist doch jetzt die Gefahr wenigstens vorläufig gebannt, daß der SPIEGEL sich differenzierterer Betrachtungsweise geschichtlicher Ereignisse befleißigt.

Mannheim HELMUT STELLING

Haben wir nicht genug an der vielzitierten unbewältigten Vergangenheit des Hitlerregimes zu tragen?

Kaisersesch (Rhl.-Pf.) TONI BUFF

Ich will Ihnen keine Schimpfworte geben' kein einziges könnte die bodenlose Verachtung ausdrücken.

Wien OTTO SCHMÖGER

Ihrem Rudolf Augstein der Vers von

C. F. Meyer ins Stammbuch »Nichtswürdig ist die falsche Libertät, die prahlerisch im Feindeslager steht.«

Lüdenscheid (Westf.) RUDOLF WELLER

Nur keine Hemmungen beim »Nestbeschmutzen« - Sir Augstein. Vielleicht wird eines Tages doch noch der eine oder andere Leser zu der Erkenntnis gelangen, daß F.-J. Strauß mit seinem Versuch, den SPIEGEL ins Land seiner Väter (England) emigrieren zu lassen, sich durchaus innerhalb der Legalität befunden hat.

Offenbach CHRISTIAN JOHANNSEN

Mir ist unverständlich, wie Sie aus dem Streben der Reichsregierung nach Hegemonie vor dem Krieg und den sicherlich überspannten Kriegszielen einiger Wirtschaftler und Politiker während des Krieges eine deutsche Schuld am Ausbruch des Krieges manipulieren können. Symptomatisch für Ihre gegenwärtigen politischen Ziele dürfte die Tatsache sein, daß Sie in der Kommentierung der Fakten die gleichen Töne anschlagen wie die Broschüre »Liebknecht contra Krupp«, erschienen im Ostberliner Dietz-Verlag, die sich lange vor Fritz Fischer über die Kriegsziele damaliger deutscher Wirtschaftler verbreitet.

Bad Godesberg DR. PHIL. HANS HEUMANN

Realschuldirektor

Den SPIEGEL lese ich unter anderem deshalb, weil er es meiner Ansicht nach als eine seiner Hauptaufgaben ansieht, aus Vergötterten und Verteufelten wieder Menschen zu machen - sie zu reduzieren auf jenes menschliche Maß, dem man

nicht hilflos gegenübersteht, das man bewältigen kann.

Haan (Rhld.) HERMANN KRAUN

Die Programme nationaler Ultras, die es auch in anderen Ländern gibt, können nicht als Zeichen kriegerischer Eroberungslust angesehen werden, ebensowenig das, was siegesstolzen Militärs nach gewonnener Schlacht vorschwebte.

Jugenheim (Hessen) EDUARD SCHNEIDER

Kaltblütig und zynisch geben Sie Ihren Ausführungen Raum, die Sie das Ergebnis neuester Forschungen nennen und mit denen Sie unserem Volke der letzten 50 Jahre den tödlichen Fangschuß geben wollen.

Gießen WILHELM WYSOCKI

Und Sie wollen Deutscher sein?

Bornhöved CURT DIEDLER-HEINERSDORF

(Schl.-Holst.)

Der solchermaßen erwiesene Mangel an politischem Verantwortungsgefühl rechtfertigt überzeugend die Forderung nach gesetzlichen Handhaben, die geeignet sind, den Mißbrauch der Pressefreiheit zu ahnden und Staat und Volk vor den Folgen zu schützen, die derart penetrante Entleerungen in das deutsche Nest anrichten müssen.

Stuttgart G. BUTH

... in unserer Demokratie ist ja alles erlaubt.

Frankfurt INGFIED VOGEL

Einen klassischen Beitrag zur Kriegszielpolitik 1914/18 leistete in zwei Vorträgen am 10. und 11. Januar 1918 Finanzrat Ernst Haux, damals Mitglied des Krupp-Direktoriums in Essen. Er sprach im Städtischen Saalbau zu Essen über das Thema: »Was lehrt uns der Krieg?« Einige wenige Zitate aus der 68seitigen Broschüre geben einen Eindruck davon, welcher Traum noch kurz vor der Niederlage vom November 1918 begeistern konnte:

»Die Vorsehung hat uns ein herrliches Vaterland gegeben ... Heute stehen wir noch mittendrin in dem ungeheuersten der Kriege ... des Kampfes ... der deutschen Rasse um ihr Dasein ... In Polen darf künftig kein Feind mehr an unserer Ostgrenze aufmarschieren ... Wie eine Festung eines weiten Glacis bedarf, so müssen wir unseren Machtbereich vorschieben ... Unser Machtbereich, unser Einflußgebiet, das muß erweitert werden in der Weise, daß sich angrenzende fremde Stämme unseren Lebensnotwendigkeiten einfügen ... Man stelle sich doch nur vor, daß Belgien wieder der alte neutrale Staat würde ...

Wir Deutschen sind ein Volk von hundert Millionen, inmitten Europas in schwierigster Lage angesiedelt. Da können wir mit Fug und Recht verlangen, daß die kleinen Fremdstämme an unseren Grenzen unserer Lage Rechnung tragen. Das ist eine Forderung von höchster sittlicher Berechtigung. Hier findet das Recht des Kleinen eine Schranke am Recht des Großen aus Gründen der höchsten Moral. Sonst würde das höchste Recht zum höchsten Unrecht an unserer Volksgemeinschaft ... Der deutsche Ansiedler im fremden feindlichen Land ist, wie der Deutsche überhaupt, in dieser Kriegszeit so schamlos behandelt worden, daß wir alles daransetzen müssen, um diese versprengten Glieder unseres Volkes an uns zu ziehen ... Wir müssen beim Friedensschluß danach trachten, ein Gebiet in Afrika wieder zu erhalten von einer Größe und einer Geschlossenheit, daß es sich im Kriegsfalle mit Aussicht auf Erfolg verteidigen und halten kann ...

Es wird jetzt so viel bei uns geredet von Demokratie und Parlamentarismus ... Das, was uns von da drüben durch Feindesmund jetzt vorgesungen wird, ist in

Wirklichkeit nichts anderes als grober Schwindel und Bauernfang ...

Ein Bundesgenosse ist uns erstanden, mit dem unsere Feinde nicht gerechnet haben: der alte Alliierte von der Katzbach, er ist auch diesmal wieder auf unsere Seite getreten. Deshalb wollen wir in Demut und dankbaren Herzens die Vorsehung preisen, die es so gut mit uns gemeint, unseren Herrgott loben, der uns so sichtbar gesegnet hat ... Wurde uns nicht in unserer größten Not der Feldherr geschenkt, der größte aller Zeiten? ... Ist's Hindenburg? Ist's Ludendorff? ... den größten Feldherrn aller Zeiten nenne ich dieses Doppelgestirn ... »

In diesen Vorträgen ist alles enthalten, womit Hitler die gleichen Träume propagierte, die zur zweiten und noch größeren Katastrophe geführt haben. Hitler fehlte es nicht an Beifall; der Vortrag von Haux endete mit dreifachem »Heil«-Ruf.

Bonn DR. DR. G. W. HEINEMANN

Ein »Recht auf Heimat« und Respekt vor dem Lebensrecht anderer Völker kannten weder der Kaiser noch sein Gefolge. Man befaßte sich eingehend mit den Industriegebieten anderer Nationen, und der Übermut der deutschen Großindustriellen schlug sich in der Tonart ihrer Denkschriften nieder. In einer dieser Denkschriften an den Kaiser und die Oberste Heeresleitung erklärten der »Verein Deutscher Eisen - und Stahl-Industrieller« und der »Verein deutscher Eisenhüttenleute«, die Abhängigkeit unserer Eisenerzversorgung vom Ausland berge »für unser Dasein die größten Gefahren in sich«; daher sei die Eingliederung des französisch-lothringischen Eisenerzbeckens in das deutsche Reichsgebiet dringend zu empfehlen, »denn mit jener Verlegung der lothringischen Grenzen gewinnen wir altdeutsches Reichsgebiet wieder«.

»Mit den wenigen Quadratkilometern neuen Landes«, so heißt es weiter, »brauchen wir keine zahlreiche französische Bevölkerung zu übernehmen. Frankreich ist arm an Arbeitskräften und kann die in den lothringischen Minetterevieren freiwerdenden Landeskinder sonstwo ansiedeln.«

Erzlieferungsverträge erschienen den Konzernherren als nicht sicher genug, denn »mit Frankreich geschlossene 'Verträge' haben einen fragwürdigen Wert, mögen sie sich auf die Lieferungen von Erzen oder auf den Erwerb und die Beteiligung von Grubeneigentum oder auf die Ausbeutung von Gruben oder auf sonstige Anrechte beziehen. Frankreich hat uns schon früher viele Schwierigkeiten in den Weg gelegt, und französische Schikanen sind auch für die Zukunft nicht auszuschließen«.

Hamburg HELMUT ERNST

Es wäre ein leichtes, derartige Pläne und Denkschriften bei den anderen Nationen in eben demselben Umfang festzustellen und aufzuzählen, nur mit dem Unterschied, daß die anderen Nationen das, was wir angeblich wollten, längst getan hatten: Weltreiche aufgebaut, Völker ausgebeutet, Vormachtstellungen mit Diplomatie oder Gewalt erzwungen.

Bremen EMMY MERKS

Wenn Fischer und Sie das die damalige Reichsleitung belastende Material veröffentlichen, so liegt darin sicherlich keine Beschmutzung des eigenen Nestes, sondern allenfalls des Nestes unserer Großväter, deren Fehler und Verdienste Sie und ich sich nicht zurechnen lassen können, wollen wir nicht auch noch zeitlich in klischeehaften Kollektivismen denken. Mit Recht spricht Fischer nicht von »uns«.

Was mich aber an Ihrem Artikel stört, ist die vereinfachende Schwarz-Weiß -Malerei in den Schlußfolgerungen. Wie Sie selbst schreiben, sind die deutschen Kriegsziele erst im Laufe des Krieges artikuliert worden, wobei die Alldeutschen »Vorarbeiten« geleistet hatten. Wir kennen jetzt diese Kriegsziele. Nicht kennen wir die der Gegner unserer Großväter. Es wäre nützlich zu erfahren, ob Randbemerkungen an diplomatischen Urkunden und Äußerungen im vertrauten Kreis von Clemenceau und anderen leitenden Staatsmännern - die Panslawisten nicht zu vergessen - ebenso maßlos waren.

Erst wenn wir alle Äußerungen beider Seiten kennen, können wir uns ein unvoreingenommenes Urteil bilden. Vielleicht wird man überrascht sein, wie imperialistisch das ganze Zeitalter dachte.

Tübingen DR. JUR. WALTER RUDOLF

Völkerrechtliches Seminar der Universität

Nun bitte ich Sie, einige Kuckuckseier zu legen und dabei die Nester anderer zu beschmutzen. Zum Beispiel das Nest der Briten: Usurpatoren und Ausbeuter von fünf Kontinenten.

Bremen DR.-ING. FRITZ PETER

Da wird aus historischen Akten und Memoiren alles bis auf das Kleinlichste herausgepellt, was dem Zweck der Alleinschuld dient, unter sorgfältiger Fortlassung alles dessen, was unsere Gegner belasten könnte.

Bad Schwartau (Holst.) E. RUTHENBERG

Es gilt, daß die Deutschen das Feuer zum Ersten Weltkrieg angezündet haben. Wir brauchen aber nicht von uns zu behaupten, daß wir den Brennstoff dazu allein geliefert haben. Dazu müßten Augstein und Fischer erst noch nachweisen, daß auch die bisherige englische und französische Geschichtsschreibung in der Beurteilung ihrer eigenen Lieferantentätigkeit geirrt haben.

Mailand K. H. OETZMANN

Bringen Sie auch einmal eine Blütenlese vor und nach 1914 aus Frankreich, England und Rußland, da finden Sie denselben Übermut!

Speyer DR. v. JAN

Ich möchte vorschlagen, einmal die Kriegsziele der Gegner aus der Zeit 1914 bis 1918 zusammenzustellen. Danach waren die Russen 1914 noch bescheiden und begnügten sich mit einer Grenze Kolberg - Landsberg/Warthe -Breslau. Die Franzosen machten Süddeutschland selbständig, verlangten eine Rheinische Republik, recht groß natürlich, ließen Dänemark und Holland bei Hamburg aneinander grenzen, vereinnahmten die damals bayrische Rheinpfalz und die südliche Rheinprovinz und nahmen etwa die spätere Oder-Neiße-Linie vorweg. Das war um 1916.

Hannover R. v. KEHLER

Herr Augstein ist bescheiden, wenn er sein Elaborat lediglich als Nestbeschmutzung bezeichnet. Offensichtlich ist diese Zusammenfassung »neuerer Forschungsergebnisse« das Werk jüngerer und superkluger Intellektueller, die die kritischen Jahre von 1914 und die Kriegsjahre nicht miterlebt haben. Wer Schuldige sucht, sollte erst einmal seine Forschungsarbeit auf die verhängnisvolle Rolle der Presse und kriegstreibenden Journalisten ausdehnen. Diese Kriegsberichterstatter ohne Krieg waren mehr als die wenigen überheblichen Alldeutschen und leichtfertigen Diplomaten für die Spannungen, die Verhetzung und das schließliche Hineinschlittern in den Krieg verantwortlich. Nicht zufällig haben Presselords und Journalisten in Kriegskabinetten ihre für sie persönlich lukrative, jedoch sonst unheilvolle Rolle gespielt.

Schenefeld (Schl.-Holst.) W. MÜLLER

Dank der Intellektuellen Augstein und Fischer wissen wir es nun ganz genau: Deutschland allein war sowohl am Ersten wie auch am Zweiten Weltkrieg schuld. Grey, Poincaré, die zaristischen Minister und Großfürsten, Churchill, Halifax, Roosevelt, Beck, Bullit, Kennard und Co. waren lauter Engel, und das britische Empire wurde nur durch Gebete errichtet.

Bayreuth KARL HOFFMANN

Selbst Barbara Tuchman schreibt von dem »teuflischen Ziel Eduards VII., seine Einkreisungspolitik zu fördern«.

Schiffweiler (Saar) DIETRICH JEH

Das Buch von Mrs. Tuchman ist schon wieder veraltet. Ich empfehle schnellstens die russischen Historiker abzudrucken, die laut »Tass« inzwischen entdeckt haben, daß wir in den letzten 75 Jahren, also seit 1889, nicht weniger als fünf Kriege entfacht haben. Wer bietet mehr?

München A. v. SCHIRP

Wie schwer muß es Herrn Augstein gefallen sein, wieder mal das eigene Nest zu beschmutzen. Wir sind aber alle von Herzen dankbar, daß gerade jetzt, da angesehene amerikanische und englische Historiker uns von der Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg freisprechen, festgestellt wird, daß wenigstens der erfolgte Freispruch der Schuld am Ersten Weltkrieg ein glattes Fehlurteil war.

Bad Segeberg (Schl.-Holst.) L. FUCHS

Die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg kann wohl nicht bestritten werden. Die Alleinschuld am Ersten Weltkrieg nach neuesten Forschungen, ebenfalls nicht. Das hätten wir also! Die deutsche Alleinschuld an einem eventuellen Dritten Weltkrieg wird schon jetzt von Chruschtschow unter verhaltenem Beifall aus uns verbündeten Landen vorbereitet, um dann von der allerneuesten Forschung der Zukunft im Bedarfsfall festgestellt zu werden. Entschuldigen wir uns lieber gleich, daß wir geboren sind. Ohne uns wäre niemand schuld.

Hirschegg (Österreich) HARALD LOLEIT

Aber bitte! Uns Deutsche ins Angesicht zu spucken und zu besudeln, ist doch schon lange große Mode. Weshalb also diese quasi-Entschuldigung am Anfang Ihres Haß-Gesanges?

Düsseldorf GERTRUD SANDFELS

Sind Sie des Teufels, uns mit Ihrem Kriegsschuld-Artikel auch noch aus dem letzten Paradies nationaler Selbstbefriedigung zu vertreiben? Wir Deutschen wollen doch nicht erwachsen werden.

Stadthagen (Nieders.) DR. H. SCHLÜTER

Studienrat

Wie viele junge Leute (und nicht nur sie) hören bei den Historikern Ritter, Herzfeld und Hubatsch über Kriegsschuldlüge eins und zwei, um dann, selbst Lehrer, ihr Geschichtsbild mit Rute und Note zu postulieren. Oder sie sitzen im Außenministerium und suchen die deutsche Vergangenheit administrativ zu verfälschen, in dem sie einem Gelehrten die längst fällige Korrektur solch verhängnisvoller Lehren und Auffassungen verwehren. Daß sich das angesehene Goethe-Institut zum Werkzeug machen läßt, ist erschreckend und gravierend: Auch ein dritter Weltkrieg kann stattfinden, denn die Voraussetzungen werden unter solchen Vorzeichen erfüllt.

Dagersheim (Württ.) G. ROTHACKER

Es mangelt Ihren Ausführungen zur deutschen Kriegsschuld von 1914/18 an den völkerrechtlichen Rechtsbegriffen, die zur Klärung des hier gegebenen, überaus verwickelten Fragenkomplexes erforderlich sind.

Bei dem Kriegsschuldstreit von 1914/18 geht es zunächst um das Recht oder die Moral der internationalen Notwehr, mitsamt der Notwehrhilfe (Defensivbündnis, »kollektive Selbstverteidigung"). Der Krieg war für das Deutschland von 1914, konfrontiert mit Rußlands allgemeiner Mobilmachung, ein Verteidigungskrieg im Sinne der Staaten-Notwehr. Hingegen ist, was neuerlich der Reichsregierung als Praxis und Planung einer Vorherrschaft in Europa im weiteren Verlauf des Krieges vorgeworfen wird, rechtstheoretisch als Notwehrüberschreitung zu qualifizieren.

Das deutsche Volk erlebte den Krieg bei seinem Ausbruch im echten Notwehrglauben gegenüber Rußland, den anderen Kriegsgegnern gegenüber im Status der Putativnotwehr; in den folgenden Monaten in Notwehr-Exaltationen ("Notwehrrausch") verfallend, die sich weitgehend auf Intelligenzschichten ausdehnten.

Verwirrend hinzu kommt, daß der Verteidigungskrieg Deutschlands gegen Rußland nicht mit klarer Notwehrbeteuerung begonnen wurde, sondern als Kriegserklärung mit der duellkriegsrechtlichen Rechtsformel »relever le défi«. Man glaubte damit der Rechtspflicht zur Kriegserklärung nach III. Haager Abk. 1907 zu entsprechen, die damals im Sinne des geltenden »Freien Kriegsführungsrechts« paktiert worden war.

Nun aber begann eine Wandlung des Kriegsrechts. Angesichts der erschrekkenden Gewalten dieses Großkrieges erschien den Völkern der Krieg nur noch ertragbar als Verteidigungskrieg oder als Notwehrhilfe. Die Kriegserklärung wurde aus Rechtspflicht zum Kriterium des verbrecherischen Angriffskrieges. Die weitere Entwicklung dieser Antinomie zwischen Notwehr- und

Duellkriegsrecht, die Überspannung der Notwehrformel zu Strafkriegs- und Straffriedensideologien, ist ein nicht einfaches Kapitel der Völkerrechtslehre für sich.

Lloyd Georges Formel vom Hineinschlittern der Mächte in diesen Krieg ist rechtstheoretisch als eine Amnestie -Formel zu kennzeichnen; als verhüllten Widerruf der im Kriege behaupteten sogenannten Alleinschuld Deutschlands. Doch sind »Alleinschuld« und »geteilte Schuld« dilettantische Völkerrechtsbegriffe, als Projektion innerstaatlicher Rechtsbegriffe vom Raufhandel auf internationale Beziehungen und Völkerrecht übertragen und konzipiert von einer Geschichtsforschung, der sogenannten »Kriegsschuldforschung«, die statt einer methodenkritischen Beschränkung auf Tatsachenfeststellung und faktische Zusammenhänge (Entstehung oder Ursachen des Krieges) zugleich rechtsprechensartig zu werten begann. Sie haben Ihr rechtsbegriffliches Rüstzeug von dieser methodenkritisch und sachlich anfechtbaren, »wertenden Kriegsschuldforschung« übernommen. Diese war entstanden zu einer Zeit, als in der noch vorwiegend »positivistisch« orientierten Völkerrechtslehre die Auffassung herrschte, daß Kriegsschuld nur eine Frage politischer Moral, nicht des positiven Völkerrechts sei, also die Völkerrechtswissenschaft nichts anginge.

München PROF. DR. JUR. H. ROGGE

Die neue Betrachtung vom Beginn des Ersten Weltkrieges steht im krassen Widerspruch zu dem, was ich als Abiturient in der Schule gelernt habe. In unserem Geschichtsbuch (Grundzüge der Geschichte VII, Zweiter Halbband; Verlag Moritz Diesterweg) kann man wörtlich lesen: »Die deutsche Regierung trifft der Vorwurf, daß sie Österreich unmittelbar nach dem Attentat zunächst zum Vorgehen gegen Serbien ermunterte und erst dann zurückzuhalten suchte, als die Entwicklung bereits die gefährlichsten Formen angenommen hatte. Bülows Politik der unbedingten Bündnistreue rächte sich jetzt ... zweifellos suchte die deutsche Regierung den Krieg mit Frankreich und Rußland nicht, am allerwenigsten den mit England.«

Berlin BERND RANDOW

In einem Schaufenster in Husum lag vor kurzem »Der erzwungene Krieg« von Prof. Dr. David L. Hoggan. Ladeninhabers handgeschriebene Buchbesprechung hing daneben: »Dieses Buch bringt für Deutschland die völlige Ehrenrettung.« Ich glaube, die neue SPIEGEL-Serie war nötig.

Köln JAN TEEUWSEN

Weltkriegs-Titel

Industriellen-Denkschrift

Roggen

* Emeritierter Professor des öffentlichen Rechts, insbesondere des Völkerrechts und der Rechtsphilosophie, und Verfasser einer 1935 veröffentlichten programmatischen Abhandlung »Die Kriegsschuldfrage vor dem Forum der Jurisprudenz«.

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