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HAUSARBEITSTAG Schule der Männer

aus DER SPIEGEL 17/1960

Eine Schlappe, die sich Bonns christdemokratische Bundestagsfraktion

im sozialpolitischen Grabenkampf mit der SPD zugezogen hatte, hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in Kassel unverhofft behoben. Das Kasseler Gericht urteilte, daß Westdeutschlands Arbeitnehmerinnen künftig nur dann ein Anrecht auf den sogenannten dienstfreien Hausarbeitstag haben, wenn sie eine eigene Wohnung besitzen und überdies eine Familie zu versorgen haben.

Erst vor wenigen Monaten hatte die CDU-Fraktion einen gleichlautenden Gesetzentwurf stillschweigend zu den Akten gelegt, nachdem Nordrhein-Westfalens Arbeitnehmerinnen den CDU -Abgeordneten angedroht hatten, ihnen bei den nächsten Wahlen ihre Stimme zu versagen.

Nach dem Kasseler Urteil müssen von den 800 000 Arbeitnehmerinnen, denen bisher aufgrund des nordrhein westfälischen Hausarbeitstag-Gesetzes jeden Monat ein Putztag zustand, fortan 200 000 auf diesen Anspruch verzichten. Das Gericht machte sich damit das Argument der Arbeitgeber zu eigen, daß ledige Arbeitnehmerinnen ihrer Hausarbeit am freien Wochenende nachgehen sollen.

Eigentlich hatten es die Arbeitgeber dem Bonner Parlament zugedacht, das nordrhein-westfälische Gesetz mittels Bundesrechts zu ändern. 65 Arbeitgeber -Abgeordnete der CDU hatten denn auch zu Beginn des vergangenen Jahres einen Änderungsentwurf konzipiert und ihren

Freunden in der Industrie versprochen, die Novelle störungsfrei über die Runden zu bringen.

Nicht allein aus wirtschaftlichen Gründen erachteten die Unternehmer den freien Hausarbeitstag als dubios. Das »Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand« geht nämlich auf die Initiative der damals noch salonfähigen Kommunistischen Partei zurück, die das Gesetz am 27. Juli 1948 im Nordrhein-Westfälischen Landtag durchgedrückt hatte.

Nachdem jedoch im Laufe der Jahre die Masse der Industrie-Unternehmen zur Fünf-Tage-Woche übergegangen ist, strichen die Arbeitgeber häufig stillschweigend den freien Tag.

Drei Arbeiterinnen klagten mit finanzieller Unterstützung des DGB durch alle Instanzen der Arbeitsgerichte gegen ihre Arbeitgeber. Am 17. Januar 1958 schließlich entschied der Präsident des Bundesarbeitsgerichts in Kassel, Professor Hans Carl Nipperdey, daß trotz des freien Samstags alle Frauen mit eigenem »Hausstand« ein Anrecht auf den Hausarbeitstag haben, auch wenn sie keine Familie versorgen.

Während die Gewerkschaften in ungezählten Prozessen die Arbeitgeber zu Nachzahlungen für den verweigerten Hausarbeitstag zwangen, bereiteten die Unternehmer eine Gegenaktion vor: Einige gingen zur 39-Stunden-Woche über und sparten so den Hausarbeitstag ein, der laut Gesetz nur Arbeitnehmerinnen zusteht, die mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Andere Unternehmer versuchten es mit Fragebogen und Hauskontrollen, um festzustellen, ob ihre Arbeitnehmerinnen auch tatsächlich einen eigenen Hausstand besaßen oder ob sie nur »Spiritus -Mädchen« waren, die in Einzelzimmern zur Untermiete wohnten. Mit lauten Klagen, daß sie der Hausarbeitstag jährlich 96 Millionen Mark koste, wandten sich die Arbeitgeber schließlich an ihre Gewährsleute im Bundestag, mit der Bitte, das kostspielige Sondergesetz durch ein Bundesgesetz außer Kraft zu setzen.

Bevor der Entwurf im Bundestag zur Beratung anstand, brachte der 36jährige Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Landesbezirks des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Wilhelm Haferkamp, eine großangelegte Kampagne weiblicher Arbeitnehmer in Gang. DGB-Haferkamp - er gehört seit 1958 der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Düsseldorf an - weiß, wie man insbesondere CDU-Abgeordnete am wirksamsten von politisch unerwünschten Projekten abbringen kann: Die Wähler müssen drohen, künftig einen SPD-Kandidaten zu wählen.

Flugs entwarf Jungfunktionär Haferkamp einen Aktionsplan und forderte die Frauen in 300 000 Flugblättern und unzähligen Reden zum Protest auf: »Schreibt an Euere Bundestagsabgeordneten. Sucht sie auf und sagt ihnen, wie schwer es die berufstätigen Frauen und Mütter haben. Seht zu, wo ihr sie erwischt. Geht in ihre Wohnungen und macht ihnen den Teppich dreckig.«

Zugleich mit diesem klaren Bescheid teilte er allen Arbeitnehmerinnen die Namen und Adressen der Bonner Abgeordneten mit, die den Änderungsentwurf unterschrieben hatten. Schriftlich klärte Haferkamp die Frauen auch

über die beruflichen Funktionen der Bonner Revisionisten auf und stellte befriedigt fest, daß sie meist Arbeitgeber oder zumindest Arbeitgebervertreter seien. Hinter dem Namen der Bielefelder Ärztin Dr. Viktoria Steinbiß stand der Vermerk: »Oetker-Verwandte«.

Danach konnten jene 65 Bundestagsabgeordneten über mangelnden Briefeingang nicht mehr klagen. »Unsozial« und »rückschrittlich« waren dabei die am meisten verwendeten Vokabeln. In die Bonner Dienstzimmer und die Privatwohnungen von Bundestagsabgeordneten ergoß sich unablässig ein Strom von Besucherinnen, die, mit Reisegeld aus Haferkamps DGB-Schatulle wohlversehen, aus dem Ruhrgebiet anreisten.

Den Oberhausener CDU-Abgeordneten Martin Heix stellte eine streitlustige Frauendelegation seines Wahlkreises in seiner Wohnung zu einer zweieinhalbstündigen Diskussion. Heix versuchte die Gemüter mit mehreren Kannen Kaffee und der Versicherung zu besänftigen, er stamme selbst aus einer kinderreichen Arbeiterfamilie und wisse um die Nöte der Hausfrauen. Die Besucherinnen ließen erst von ihm ab, als er versicherte, daß er einer Änderung des nordrhein-westfälischen Gesetzes nicht zustimmen werde.

Einer der wenigen Abgeordneten, die sich den energischen Attacken der weiblichen Arbeitnehmer widersetzten, war der Wittener CDU-Mann und Kreishandwerksmeister Richard Oetzel. Kühl rechnend erklärte er vor 180 Frauen, die Beibehaltung des alten Hausarbeitstags sei für die Wirtschaft zu teuer. Aber auch mit solchen Bekundungen ist Wilhelm Haferkamp zufrieden: »Die Frauen«, so erklärte er, »werden den Kerl nicht wiederwählen.«

Besonders eindrucksvoll für den Freizeitagitator Haferkampverlief eine Versammlung stramm organisierter Betriebsrätinnen und Vertrauensfrauen in Köln, die zwei christdemokratische Abgeordnete, Valentin Brück und Hans Katzer, vorgeladen hatten. Brück sprach sich unter dem Beifall des Saals energisch gegen »die Absicht einer kleinen Anzahl von CDU-Abgeordneten aus, das in Nordrhein-Westfalen gültige Gesetz zu Fall zu bringen«. Er werde dem Gesetz seine Zustimmung versagen.

CDU-Katzer war verhindert, ließ aber durch den Mund einer Parteifreundin verkünden, auch er sei gegen jede Änderung. Abschließend machte der Christdemokrat Brück die Mitteilung, viele seiner Fraktionskollegen dächten wie er; einige, die den Entwurf unterschrieben hätten, seien inzwischen schon »anderen Sinnes« geworden.

Ein Dutzend CDU-Abgeordnete ließ sich erst gar nicht vor ein Frauentribunal laden, sondern erklärte in Briefen an die DGB-Kreisleitung, daß die Frauen auf sie rechnen könnten, wenn es zur Abstimmung komme. Haferkamp verwahrt außerdem einige vertrauliche Schreiben aus der Mitte des Bundestags, in denen sich Christdemokraten heimlich von den Absichten ihrer 65 Kollegen distanzierten.

Wie nicht anders zu erwarten, verschob die CDU-Fraktion die Termine

für die Beratung des Gesetzentwurfs immer wieder, bis der Abgeordnete -Katzer erklärte, »aus politischen Erwägungen« sei an die Gesetzesänderung überhaupt nicht mehr zu denken.

Die Arbeitgeber allerdings blieben hartnäckig, obgleich sie ihrer besten Stütze im Bundestag beraubt waren und obwohl das Bundesarbeitsgericht unter seinem Präsidenten. Professor Nipperdey, das Anrecht der Arbeitnehmerinnen auf den Hausarbeitstag schon einmal generell bestätigt hatte. Ungeachtet des Grundsatzurteils klagte die Berzelius Metallhütten-Gesellschaft mbH in Duisburg gegen eine unverheiratete Werksfürsorgerin, die Anspruch auf den Hausarbeitstag erhoben hatte.

Die Hartnäckigkeit der Arbeitgeber trug ihre Früchte: Wie zuvor die CDU -Fraktion änderte nunmehr auch Nipperdeys Erster Senat seine Ansicht und entschied entgegen Nipperdeys, früherem Spruch, daß der Putztag nur Arbeitnehmerinnen mit Familie zustehe.

Nordrhein-Westfalens Gewerkschaftler erklären den Umfall des Gerichts mit der Abwesenheit des Präsidenten Nipperdey. Der arbeitnehmerfreundliche Professor weilte während der Urteilsverkündung in Sao Paulo, um einen Doktorhut entgegenzunehmen.

Arbeitsrichter Nipperdey

Der Erste Senst ...

Arbeiterfunktionär Haferkamp

... strich den Putztag

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