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FLUGZEUGBAU Schuß nach hinten

aus DER SPIEGEL 47/1964

Was jahrelanges Drängen der Bundesregierung nicht zuwege gebracht hatte, schaffte ein handfester Krach: In Westdeutschlands zersplitterter Luftfahrtindustrie bilden sich zwei, allerdings einander feindliche Firmenblöcke.

Zuerst platzte die ohnehin nur lockere Zusammenarbeit der Flugzeugfirmen

- Ernst Heinkel Flugzeugbau GmbH,

Speyer,

- Bölkow-Entwicklungen KG, München,

- Messerschmitt AG, Augsburg, und

- Siebelwerke-ATG GmbH, Donauwörth.

Die vier süddeutschen Werke hatten unter Bonner Druck seit Jahren widerstrebend über einen Zusammenschluß verhandelt. Er lag nahe, weil die Firmen im Entwicklungsring Süd für Bonner Rechnung gemeinsam den senkrechtstartenden Düsenjäger VJ 101 konstruierten, aber die selbstbewußten Flugzeugbauer konnten -sich über die Verteilung der Direktorenposten nicht einig werden (SPIEGEL 3/1964).

Darüber kam es jedoch nicht zum Bruch. Anlaß war vielmehr der Heinkel-Ingenieur Siegfried Günter, 64, einer der letzten Ideenproduzenten aus der Glanzzeit des deutschen Flugzeugbaus.

Günter ist seit 1931, nur unterbrochen von einem siebeneinhalbjährigen Zwangsaufenthalt in Rußland, für Heinkel tätig. Er konzipierte in dieser Zeit über 200 Flugzeuge, darunter

- 1932 die He 70 ("Blitz"), das erste aerodynamisch voll durchgebildete Verkehrsflugzeug,

- 1935 die He 111, die später Standardbomber von Görings Luftwaffe wurde,

- 1939 das Jagdflugzeug He 100, das erstmals den Geschwindigkeitsweltrekord (746 Stundenkilometer) nach Deutschland holte, und

- 1944 den »Volksjäger« He 162.

Günter fühlte sich im Entwicklungsring Süd kaltgestellt. Aus Proporzgründen - Heinkel-Direktor Schwärzler leitete die Abteilung Konstruktion - war die Projekt-Abteilung dem Messerschmitt-Direktor Madelung anvertraut worden. Günter wirkte nur beratend mit.

Seine reichliche Freizeit nutzte er dazu, die He 212 zu entwerfen, ein viermotoriges Turbinen-Propeller-Flugzeug, das eine Geschwindigkeit von 870 Stundenkilometern erreichen und senkrecht starten kann. Dazu werden die Tragflächen samt Motoren um 90 Grad gekippt.

Günter fand im Entwicklungsring Süd keine Gegenliebe für seinen Kippflügler. Projektleiter Madelung lehnte ihn als zu kompliziert ab. Dagegen interessierten sich das Bonner Verteidigungsministerium und die Vereinigten Flugtechnischen Werke (VFW) in Bremen für das Vorhaben. Die Bremer Konstrukteure tiftelten seit langem im Auftrag Bonns an einem ähnlichen Modell, der VFW 23, und erkannten, daß Günters Entwurf besser war.

Der Alt-Aerodynamiker ("Ich war vergrämt") eröffnete daraufhin dem Heinkel-Chef, Professor Karl Thalau, er werde nach Bremen gehen, wenn Heinkel ihm keine Möglichkeit zur Verwirklichung seines Projekts schaffen könne.

Da Thalau nicht seinen Star und dessen aussichtsreiches Modell verlieren wollte, riskierte er ein Zerwürfnis mit den Partnern im Entwicklungsring Süd. Mit Thalaus Zustimmung zog Siegfried Günter im Juli dieses Jahres nebst vier Heinkel-Konstrukteuren, dem gesamten Mobiliar und den Unterlagen der He 212 aus seinem Münchner Büro aus. Seither bearbeitet Heinkel das Projekt unter der Bezeichnung VC 400 gemeinsam mit der Bremer Firma VFW.

Thalaus Partner reagierten vier Wochen später. Bölkow und Messerschmitt luden die Speyerer Firma »mit verbindlichen Grüßen« zu einem Treffen für den 3. August ein.

Am Konferenztisch wurde den verdutzten Heinkel-Leuten eröffnet, daß ihre Firma kraft Mehrheitsentscheidung aus dem Entwicklungsring Süd ausgeschlossen sei. Der Grund: »untreues Verhalten«.

Die Ausgestoßenen suchten wenigstens ihre Ehre zu retten. Sie erreichten, daß ein unabhängiges Schiedsgericht den Vorwurf der Untreue prüfen wird. Schiedsrichter sind Dr. Karl Nastelski, Senatspräsident am Bundesgerichtshof, der Münchner Rechtswissenschaftler Professor Eugen Ulmer und der Aufsichtsratsvorsitzende der Phoenix-Rheinrohr AG, Professor Dr. Robert Eilscheid.

Aber selbst ein für Heinkel günstiger Schiedsspruch wird die Einigkeit der süddeutschen Flugzeugfirmen nicht wiederherstellen können. Bölkow, Siebel und Messerschmitt entdeckten nach dem Rausschmiß eine »spontane Harmonie« (Messerschmitt-Aufsichtsrat Stromeyer) und gründeten ebenso spontan eine »Interessengemeinschaft Luft- und Raumfahrt«. Ihr entsprang vor kurzem die »BMS Flugtechnik GmbH«, München.

Die gemeinsame Firma mit einem Kapital von 1,5 Millionen Mark (50 Prozent Messerschmitt, 50 Prozent Bölkow und Siebel) soll künftig die Produktions- und Entwicklungskapazität der drei Gründer vereinigen. Sie wird' dann 7700 Beschäftigte zählen, davon fast 3000 Ingenieure.

Für Heinkel war der Ausschluß zunächst bedrohlich. Es bestand die Gefahr, daß ein großer Teil der 400 Heinkel-Ingenieure zur Konkurrenz überlief. Aber der Kontakt zur Bremer VFW zahlte sich aus.

Heute stehen die beiden Firmen kurz vor einem Zusammenschluß, bei dem Heinkel voraussichtlich unter eigenem Namen weiterarbeitet, aber eine VFW -Tochter wird. Eine Fusion würde ein Potential von 8000 Beschäftigten herstellen, darunter 2000 Ingenieure. Blockfrei blieben dann nur die Hamburger Flugzeugbau GmbH und die Dornier-Werke GmbH in Friedrichshafen mit je 3900 Beschäftigten.

Bei Heinkel herrscht Genugtuung über die neue Ehe. Immerhin hat der Bremer Partner so potente Teilhaber wie Krupp (40 Prozent) und den amerikanischen Luftfahrtkonzern United Aircraft Corporation (30 Prozent). Heinkel-Syndikus Dr. Bauder frohlockt: »Es scheint so, als ob der Schuß der Gegenseite nach hinten losgegangen wäre.« Flugzeugbauer Günter Nach Krach im Süden...

... ein neues Heinkel-Projekt im Norden: Günter-Modelle He 111, He 70, He 100

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