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HAUSHALT Schwach in der Nacht

aus DER SPIEGEL 38/1962

Die Glocke der Turmuhr am Palais Schaumburg verkündete die Mitternacht. Hinter den von gelben Portieren verhangenen Fenstern des Kabinettssaal im ersten Stock der Bonner Kanzlerresidenz hatte sich nach vierstündiger Nachtsitzung ein Wunder vollendet: Konrad Adenauer war zum Bundesgenossen Ludwig Erhards geworden.

Als die Minister in der Nacht des beginnenden Donnerstags letzter Woche das Kanzlerpalais verließen, hatten sie einer erbarmungslosen Amputation des Bundeshaushalts für 1963 beigewohnt, und Adenauer hatte mitgesäbelt.

Ergebnis der nächtlichen Sparorgie: Statt 62 Milliarden Mark, wie von den Ministern gefordert, wird der Bund im nächsten Jahr nur 56,8: Milliarden Mark ausgeben. Das sind rund 6,4 Prozent mehr als die 53,4 Milliarden des laufenden Etats.

Bei einem erwarteten Zuwachs des westdeutschen Volkseinkommens um rund 3,5 Prozent würden die Steuereinnahmen erfahrungsgemäß um etwa fünf Prozent steigen. Mit einem eingeplanten Beitrag der Länder von zwei Milliarden und Bundesanleihen von 1,8 Milliarden Mark wäre der Haushalt ausgeglichen.

Den unerwarteten Entschluß, mit Hilfe eines Spar-Budgets dem Preisauftrieb in Westdeutschland entgegenzuwirken, faßte der Kanzler freilich nicht so sehr aus neugewonnener Einsicht in volkswirtschaftliche Notwendigkeiten. Ihn beflügelte vielmehr die bittere Erkenntnis, daß Ludwig Erhard, Finanzminister Starke und Bundesbankpräsident Blessing in ihrem Feldzug gegen des Kanzlers Gefälligkeitsdemokratie diesmal über die stärkeren Bataillone verfügten.

Die wahre Stärke der Gegner war dem hellhörigen Rhöndorfer zum erstenmal bewußt geworden, als Repräsentanten der westdeutschen Wirtschaft am 31. August beim zweiten Währungs-Kolloquium im Palais Schaumburg stramm die Erhard-Linie vertraten. Sie hatten sich am Vorabend auf dem Petersberg von Erhard, Starke und Blessing für deren Sparpläne gewinnen lassen (SPIEGEL 37/1962).

Noch freilich gab sich Konrad Adenauer nicht geschlagen. Er empfing die Wirtschaftsprominenz an jenem 31. August mit einem gezielt-einfältigen Kanzlerscherz: Guten Morgen, meine Herren, hoffentlich sind Sie ausgeruht, nachdem Sie gestern so lange getagt haben.«

Eine Woche später wußte er zu verhindern, daß die Erhard-Troika auf der Sitzung des CDU/CSU-Fraktionsvorstands zu Worte kam: Der Regierungschef untersagte seinen Ministern, sich zum Haushalt zu äußern, ehe das Kabinett einen Beschluß gefaßt habe.

Indes, selbst in diesem Zentrum Adenauerscher Macht regte sich Widerstand. Die Fraktions-Oberen bestanden auch ohne Erhard-Vortrag darauf, mit dem Spar-Budget Ernst zu machen.

Schließlich riet auch Kanzler-Vertrauter und Sonderminister Heinrich Krone - »Ich wurde in den Zeitungen ja nicht erwähnt, aber das bin ich gewohnt« - zur Nachgiebigkeit, und der in Würzburg tagende Mittelstandskongreß der Christdemokraten applaudierte heftig dem Konzept Erhards.

In der entscheidenden Kabinettssitzung am Dienstag letzter Woche bewies Konrad Adenauer, daß er Kräfteverhältnisse noch immer richtig einzuschätzen weiß und sich ungern isolieren läßt: Wenige Tage vorher noch bereit, das Gleichgewicht des Bundeshaushalts den Forderungen der Nato, der CDU-Sozialausschüsse, der Straßenbauer, der Eigenheimer und der Bauern zu opfern, setzte er sich jetzt an die Spitze der Spar-Revolution.

Er nickte beifällig, als Finanzminister Starke vortrug, es seien 1963 bestenfalls Einnahmen von 56,8 Milliarden Mark einschließlich des Länderbeitrages und der Anleihen zu erwarten.

Noch ehe einer der anderen Minister zu Wort kam, ließ Adenauer einstimmig beschließen, die Bundesausgaben dürften 56,8 Milliarden Mark nicht übersteigen - ein Schlenker, den Bundespressechef von Hase später als »eindeutigen politischen Willen, einen entscheidenden Beitrag zur Geldwertstabilität zu liefern« interpretierte.

In der folgenden elfstündigen Kabinettsdebatte um Einzelkürzungen äußerte sich der politische Wille des betagten Taktikers nur noch selten.

Als Paul Lückes Wohnungsbau-Etat zur Rede stand, entschied Adenauer: »Der soziale Wohnungsbau ist eine ganz erfolgreiche Sache. Die muß man nicht nur wirtschaftlich sehen, sondern vor allem ethisch. Es gäbe viele Ehetragödien und Verbrechen weniger, wenn alle schon 'ne gute Wohnung hätten.« Lücke kam ungerupft davon.

Am Dienstagabend waren denn auch erst zwei Milliarden Mark, meist minder wichtige Posten, gestrichen, und der Kanzler regte sich noch einmal, um den Beschluß durchzusetzen: »Die abschließende Festlegung der Ansätze des Haushaltsplanes erfolgt durch das Kabinett.«

Damit war nun für Starke die düstere Aussicht heraufbeschworen, die entscheidenden Kürzungen in Adenauers Abwesenheit durchfechten zu müssen. Des Kanzlers Abreise in den Cadenabbia -Urlaub stand am Donnerstag bevor, und Starke gedachte das einmal gewonnene Terrain nicht wieder herzugeben.

Sogleich nach der Kabinettssitzung diktierte FDP-Starke einen aufgebrachten Brief an seinen CDU-Kabinettschef: Keinesfalls könne er sich mit einer solchen Verschleppung einverstanden erklären. Er bestehe darauf, daß die Kürzungen alsbald und im Beisein Adenauers vorgenommen würden.

Ein weiteres Mal gab Konrad Adenauer klein bei. Er berief für Mittwoch abend wiederum das Kabinett zusammen, und um Mitternacht waren dann die restlichen 3,2 Milliarden aus dem Etat gestrichen. Am schwersten betroffen wurden

- Theo Blank mit 1,5 Milliarden, der sein Sozialpaket nun erst 1964 liefern kann,

- Franz-Josef Strauß mit 1,3 Milliarden,

- Hans Christoph Seebohm mit 378

Millionen und

- Walter Scheel, Entwicklungshelfer, mit 400 Millionen Mark.

Ein Körnchen Genugtuung blieb dem Kanzler in der Niederlage: Er hatte wieder einmal Ludwig Erhard die Schau gestohlen.

Industriekurier

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