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BERLIN / POLIZEI Schwarz oder rot

aus DER SPIEGEL 32/1968

Im Berliner Polizei-Präsidium macht derzeit ein Zivilist alles allein, der nicht in Polizei-Diensten steht: Senatsrat Hans-Joachim Prill, 42, regiert über Schupos und Kriminale, Planungsstäbler und Kammerbullen.

Das 20 000-Mann-Heer Berlins wurde führungslos, als sich seine Oberen der Reihe nach beim Dienstherrn krank meldeten:

* Polizeipräsident Georg Moch, 48, liegt mit Kreislaufkollaps und Asthmabeschwerden in einem Krankenhaus.

* Schupo-Kommandeur Hans-Ulrich Werner, 53, begab sich zur Leber-Kur in die Bundesrepublik.

* Kripo-Direktor Wolfram Sangmeister, 55, kam wegen angegriffener Gesundheit um Pensionierung ein.

Im Personalnotstand mußte denn SPD-Innensenator Kurt Neubauer, 45, auf den umstrittenen Parteifreund Prill zurückgreifen, der, so Prill über Prill, »viel Feind, viel Ehr« hat: Der Senatsrat wird von den einen abgründig gehaßt, von den anderen überschwenglich gelobt.

Den Landesinnenministern, ob schwarz oder rot, gilt der Volljurist als einziger Kenner des internationalen Polizeirechts und als brillanter Manager moderner Bürokratie. Zu Zeiten des Kabinetts Erhard nahm Bundesinnenminister Paul Lücke (CDU) den Fachmann von der Opposition gar als Leiter des Bundeskriminalamtes in Aussicht.

Die eigenen Genossen aber halten den Parteifreund für zu hemdsärmelig. Sie erhoben deshalb Widerspruch, als der 1,66 Meter große Innensenator Neubauer ihnen vor einem halben Jahr den blonden Zwei-Meter-Mann Prill zum Nachfolger des abgehalfterten Polizeipräsidenten Erich Duensing, 62, vorschlug.

Die sozialdemokratischen Abgeordneten, zumeist niederrangige Bezirksbeamte, mögen den ranghöheren Prill nicht, weil er sie, wie Untergebene bekunden, stets sein ausgeprägtes Selbstbewußtsein spüren läßt. Der einstige Fahrensmann der Reichskriegsmarine streicht unterstellten Genossen gern leutselig mit der rechten Hand übers Haar, spricht sie nach Kaiser-Wilhelm-Art mit »mein Sohn« an und spielt dabei mit der linken Hand am Hosenträger. Den Genossen mißfällt auch, daß sich der Senatsrat (Spitzname: Gewitter-Goi) bei Polizeieinsätzen gegen Demonstranten hervortut.

Das Veto der Parteifreunde zwang den sozialdemokratischen Innensenator zu einer Personalanleihe bei der Berliner CDU-Opposition: Er nominierte den Christdemokraten Georg Moch zum Polizeipräsidenten und stellte seinen Duzfreund Prill als Vizepräsident auf den zweiten Platz. Aber zu Stuhle kam der designierte Polizei-Vize dennoch nicht. Nunmehr verweigerten die alliierten Berlin-Schützer ohne Begründung eine Berufung.

Aversion gegen Prill haben vor allem die Briten. Sie halten den Senatsrat, den Berlins Außerparlamentarier einen »Neo-Noske« nennen, für einen übertriebenen Legalisten: Bei der Schöpfung des alliierten Notrechts in Berlin, das aus britischer Sicht reines Militärrecht sein sollte, hatte Prill beharrlich auf Einhaltung deutscher Grundrechte bestanden. Und alle drei Schutzmachtvertreter ärgerten sich über eine Prill-Order, die es West-Berlins Polizei zur Pflicht machte, zunächst den Senatsrat und dann erst die Kommandanten zu kontaktieren. Damit, so fanden sie, werde die Autorität der Alliierten angetastet.

Trotz Genossen-Kritik und Alliierten-Aversion hielt der Innensenator es angesichts des Personalnotstands im Präsidium nun für unumgänglich, den Senatsrat de facto als Polizeichef amtieren zu lassen. »Sonst«, so klagte der mit Ämtern überhäufte Neubauer, »muß Ich auch noch die Polizei führen, wenn Moch nicht wiederkommt.«

Daß Moch so bald nicht wiederkommt, nimmt Neubauer als sicher an. Denn der Polizeipräsident wurde krank, nachdem der Innensenator Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hatte: Sozialdemokrat Neubauer will wissen, wie wohl Christdemokrat Moch im Kaffeekränzchen befreundeter Damen behaupten konnte, seinem Senator käme es bei der Bekämpfung studentischer Umtriebe auf ein paar Tote nicht an.

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