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LANDWIRTSCHAFT Schwarz-Preis

aus DER SPIEGEL 48/1961

Eilends mußte sich der Landwirt Werner Schwarz in Hamburg von US-Agrarminister Freeman verabschieden. Auf den Ernährungsminister des vergangenen Bundeskabinetts, der in der Hansestadt gerade eine amerikanische Lebensmittelschau und seinen Washingtoner Kollegen besucht hatte, wartete ein von Konrad Adenauer entsandtes Bundeswehrflugzeug, das ihn nach Bonn bringen sollte.

Bis zu jenem Sonnabend vorletzter Woche, es war vier Tage nach der Wiederwahl Adenauers zum Regierungschef und drei Tage vor der Vereidigung des neuen Kabinetts hatte der amtierende Minister Werner Schwarz vergeblich auf das Angebot des Kanzlers gewartet, wieder das Bauernressort zu übernehmen.

So war er auf dem Flug zu Adenauer in aufsässiger Stimmung und gesonnen, sich das Verbleiben in der Bonn-Duisdorfer Landwirtschaftskaserne so teuer wie möglich bezahlen zu lassen.

Für Werner Schwarz hieß das: Den westdeutschen Bauern müssen auch weiterhin die stark überhöhten Preise für ihre Produkte garantiert werden, ganz gleich, welche Verpflichtungen zum Abbau der Zölle und der nationalen Agrarprotektion die Bundesrepublik im EWG-Vertrag übernommen hat.

In der Zwangslage zwischen Schwarzens Bauern, die auf ihre hohen Agrarpreise (die höchsten in der Sechser -Gemeinschaft) nicht verzichten wollen, und den EWG-Partnern, die mit ihren billigeren Produkten auf den bundesdeutschen Markt drängen, hatte sich Adenauer vor der Wahl auf die Seite der Bauern geschlagen. Mit der Aufforderung »Bleibense hart, Herr Schwarz« hatte er seinen landwirtschaftlichen Gehilfen im Juli zum EWG-Ministerrat nach Brüssel geschickt, wo über eine beschleunigte Zollsenkung zum 1. Januar 1962 (um 20 statt nur um zehn Prozent) verhandelt wurde.

Damals gelang es Schwarz, den Europa-Eilzug vorerst auf ein Nebengleis zu schieben. Jetzt aber drängen die europäischen Partner, vor allem die von landwirtschaftlicher Überproduktion geplagten Franzosen, auf Bonner Vertragstreue. Bei der Tagung des EWG-Ministerrats am 29. November, spätestens aber auf der Ratssitzung am 22. Dezember, soll die Bundesrepublik den Zollsenkungen zum 1. Januar 1962 zustimmen.

Überdies soll Bonn noch bis zum Jahresende auf die Leitsätze eingeschworen werden, die der holländische Vizepräsident der EWG-Kommission, Mansholt, für Kleineuropas Agrarmarkt aufgestellt hat:

- Abbau aller mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen und

- Angleichung der Agrarpreise in den sechs EWG-Ländern an das arithmetische Mittel.

In Westdeutschland würde dann zum Beispiel der Doppelzentner Weizen statt bisher 43 Mark nur noch 36 Mark erbringen.

Hilfe gegen solche Anschläge auf das Preisparadies seiner bäuerlichen Klienten forderte Werner Schwarz am Sonnabend vorletzter Woche als Voraussetzung für sein Verbleiben im Amt. An feste Zusagen dieser Art konnte Schwarz den Kanzler freilich nicht erinnern. Konrad Adenauer hatte es vermieden, den bäuerlichen Wählern einklagbare Zusicherungen zu geben.

So brauchte denn der Bundeskanzler an jenem Sonnabend, acht Wochen nach der Wahl, seinem Ministerkandidaten Schwarz zuliebe nicht die EWG-Treue zu opfern. Er tat es auch nicht - und dennoch fand sich der Bauer aus Frauenholz in Schleswig-Holstein zum Bleiben bereit.

Adenauer hatte sich wieder einmal an die Bonner Grundregel gehalten, nach der klare politische Entscheidungen solange vermieden werden müssen, wie sie sich mittels Geschenken aus der Staatskasse umgehen lassen. Die Bundesregierung wird

- einerseits die Agrareinfuhr aus der EWG gemäß den Wünschen der europäischen Partner von Zöllen und Kontingentierungenbefreien und sich gegen die Preisangleichung nicht länger sträuben,

- andererseits aber den westdeutschen Bauern die so entstehenden Erlösschmälerungen aus öffentlichen Mitteln ersetzen.

Während also bisher den Verbrauchern die Agrarkollekte direkt aus dem Portemonnaie geholt wurde, soll sie ihnen künftig auf dem Umweg über die Steuern abgenommen werden. Den Mehraufwand an staatlichen Subventionen, der die Bauern vor dem frischen Europa-Wind schützen soll, veranschlagen die Bonner Finanzplaner allein für Getreide auf insgesamt rund 1,5 Milliarden Mark jährlich.

Mit dieser Milliarden-Garantie für das bäuerliche Einkommen konnte Werner Schwarz auf EWG-Kurs gehen und seinen Ministersessel wieder einnehmen.

Alt-Minister Schwarz

Geschenke für die Bauern

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