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»Schwarz von Erdöl und Zorn«

aus DER SPIEGEL 17/1991

Am sechsten Tag griff das Monster an. Es warf seine formlosen, zähen Massen auf die Strände der ligurischen Westküste zwischen Genua und Savona, es lackierte die malerischen Felsbuchten mit stinkendem Teer und verschlang an den Stränden mit jedem neuen Wellenschub immer mehr von den schönen, flachpolierten Kieselsteinen, die den Badegast im Sommer sanft ins Wasser geleiten. Schließlich spuckte es seine klebrigen Ölbrocken in hohem Schwung sogar bis auf die Uferpromenaden.

Das war Mitte vergangener Woche, als die Behörden noch hoffnungsvoll verkündeten, die Katastrophe sei wohl jetzt abgewendet.

»Haben diese sogenannten Experten in Genua, die sich so viel Zeit genommen haben, noch nie davon gehört, daß sich bei uns im April häufig das Wetter ändert?« fragt erbittert ein Fischer im Hafen von Arenzano.

Eben. In Ligurien klingt jetzt jede Nachricht vom Wetter gut und schlecht zugleich. Bläst nämlich der Schirokko - vom Meer aufs Land -, wird der Ölschlamm auf die kostbaren, schmalen Strände Liguriens getrieben. Der Wind aus der umgekehrten Richtung, Tramontana, schiebt die Ölflecken aufs offene Meer und bedroht weitere Küstenstriche - so geschehen gegen Ende vergangener Woche.

Aber immer noch liegt anderthalb Kilometer vor Arenzano der zyprische Tanker »Haven« auf Grund, das »schlafende Monster«, wie ihn Zeitungen nannten.

Um den gesunkenen Giganten, dessen 334 Meter langen Rumpf jetzt zwei ölverschmierte Bojen markieren, hatten sich in den Tagen nach der letzten Explosion am vorvergangenen Sonntag etwa 40 Schlepper versammelt, die Schlingen aus Plastikschwimmern um einige der größten Ölflecken zogen. Andere, nicht minder große schillernde Laken drifteten derweil ungehindert nach Westen ab.

Aus den umzingelten Zonen schlürften gigantische Saugmaschinen auf Spezialschiffen ein paar tausend Tonnen Schweröl von der Oberfläche. »In ein, zwei Wochen haben wir das Zeug weg«, frohlockte am Dienstag vergangener Woche der Kapitän der »Aquila« und blickte zufrieden auf die glatte, smaragdgrüne See. Am Strand von Alassio hielten - im Auftrag der Kurverwaltung - lachende Mädchen im Bikini den Fotografen Zeitungen mit der Schlagzeile »Alassio belagert von der schwarzen Flut« entgegen, als sei die Lage zum Kullern komisch.

Zwischen Genua und Savona, 50 Kilometer voneinander entfernt, waren derweil 80 Zentimeter hohe Plastikbarrieren gespannt worden, zum Preis von umgerechnet 13 Millionen Mark für die gesamte Strecke. Dabei war ein Teil der Sperrgürtel günstig gebraucht gekauft worden: Sie wurden in aufwendigen Landtransporten von der Adria herangeschafft, wo sie im Vorjahr gegen die Algenpest nichts genutzt hatten. Als sei vor der Ligurischen Küste eine unendlich lange Nichtschwimmerzone abgesteckt, dümpelten die gelbroten Plastikvorhänge zwei Tage lang in der ruhigen See.

Aber dann schlug das Wetter um. Schon als sich das ankündigte, mit Windstärken nicht höher als drei, schwappte das Schweröl ungehindert über die Barriere. Etliche der Sperren trieben später an Land, eingerollt in Teer wie panierte Würste - ein Hohn auf die gescheiterten Bemühungen, die »schwarze Flut« aufzuhalten.

Am Strand von Arenzano versucht ein verlorener Trupp von 25 Soldaten, die riesigen Teerfladen zu bändigen, die das aufgewühlte Meer inzwischen ans Ufer wirft. Mit ihren grünen, teerbedeckten Schürzen über der Uniform und ihren pechverschmierten Gesichtern wirken sie wie Kinder, die sich mit Eimer und Schaufel einem Rohrbruch entgegenstellen wollen.

Ihre Spaten biegen sich, wenn sie die zähe Masse aus dem Wasser heben und in Fässern verstauen wollen; das Zeug ist hart und widerspenstig. Ein einziger Gabelstapler kurvt durch die Gegend. Den Soldaten gehen die Fässer aus. Ein paar Freiwillige attackieren, nicht sehr erfolgreich, die Ölpest mit Mistgabeln.

Beim mittäglichen Flug über die besonders bedrohte Küstenstrecke zwischen Arenzano und Spotorno zählen Greenpeace-Mitarbeiter nicht mehr als 50 Mann bei Reinigungsarbeiten, Armee und Feuerwehr eingeschlossen.

Überall dort, wo die Ölflecken an Land trieben, hängt schwerer, beißender Pechgestank in der Luft und tötet den feinen Duft von Lavendel, Ginster und Jasmin, der in dieser Jahreszeit über der Ligurischen Küste schwebt.

Verflogen ist auch der Zweckoptimismus, mit dem Bewohner und Beamte Liguriens bislang allen Fremden, vor allem Journalisten, nachstellten. »Dagegen kommen wir nicht an«, sagt düster am Kai von Celle Ligure die Lehrerin Alessia, »auch wenn jeder von uns mitmachen würde, um die Steine einzeln zu putzen.«

Sogar Admiral Antonio Alati, Koordinator der Rettungsarbeiten in Genua, bislang als Oberbeschwichtiger in Erscheinung getreten, gibt sich nicht mehr ganz so forsch wie bisher. Wieviel Rohöl denn im schlimmsten Fall noch im Bauch des Tankers sein könne, wurde er bei einer seiner Pressekonferenzen gefragt. »Den schlimmsten Fall haben wir schon«, gab der Admiral da barsch zurück.

Zugleich blieb diese zentrale Frage nach der verbliebenen Ölmenge im Bauch des Tankers bis Ende letzter Woche ohne verläßliche Antwort. Allenfalls 5000 Tonnen könnten sich noch in den Tanks des Wracks befinden, behauptete Admiral Alati. Nach italienischen Ermittlungen seien in den 70 Stunden nach der Explosion des Tankers am Donnerstag bis zu seinem Untergang am Sonntag vormittag über 100 000 Tonnen des »Iranian Heavy« verbrannt.

Doch Greenpeace stellte eine ganz andere Rechnung auf. Während des iranisch-irakischen Kriegs habe ein Tanker im Persischen Golf, der dieselbe Sorte Rohöl geladen hatte, 72 Stunden lang gebrannt, und dabei seien nur 56 000 Tonnen Rohöl in Flammen aufgegangen.

In der »Haven«, die zum Zeitpunkt der ersten Explosion 140 000 Tonnen Öl an Bord hatte, von denen vermutlich 5000 bis 10 000 Tonnen ins Meer strömten, könnten nach dieser Schätzung also noch 80 000 Tonnen Öl lauern.

Auch die Behauptung der italienischen Behörden, das Wrack sei dicht, nur »tröpfchenweise« gelange jetzt das Erdöl ins Meer, bezweifeln die Greenpeace-Leute.

»Mit unseren eigenen Schiffen haben wir die Zone, in der das Wrack liegt, erkundet und dabei ganz frische Ölflecken in der Gegend ausgemacht«, erzählt ein Mitarbeiter der Umweltorganisation im Hafen von Arenzano, während er seinem ölverschmierten Schlauchboot entsteigt.

Die beiden Delphine, die sich vor Cogoleto in einem Abschnitt des Sperrgürtels verfangen hatten, konnten sich glücklicherweise befreien. Aber ein Greenpeace-Mitarbeiter sagt: »Das Schlimme ist doch, daß die Delphine überhaupt da sind. Ganz egal, wo das Öl schwimmt, es wird ihnen die Atemöffnung verstopfen.«

Schulkinder aus Ligurien, die als Erwachsene ein kaputtes Mittelmeer erben werden, schreiben inzwischen eindringlich anklagende Aufsätze. Eine Zwölfjährige läßt das Meer selbst zu Wort kommen: »Ich bin schwarz von Erdöl und vor Zorn.«

Erwachsene retten sich in Verschwörungstheorien. Zwar widerlegen die zähen Fladen von pechschwarzem Kleister an den Stränden sichtbar die These, daß deutsche Reiseunternehmen im Bund mit ihren Söldnern von der Presse die Blumenriviera fälschlich anschwärzen wollen, um die Touristen in andere Länder zu locken.

Doch regionale Zeitungen, die in eigenen großen Berichten von den »Anklagen, Ängsten« der Küstenbewohner schreiben, von der »Verzweiflung eines Bürgermeisters« oder dem »Zorn eines Badeortes, der sich allein gelassen fühlt«, verraten ihren Lesern zugleich, wer hinter den alarmierenden Berichten in der deutschen Presse stecke: die »Drahtzieher von der deutschen Touristikindustrie« (Il Secolo XIX di Genova).

In ihrer Angst vor einer Zukunft, die in diesen Tagen völlig ungewiß scheint, suchen manche Küstenbewohner freilich auch nach Schuldigen im eigenen Land. »Das haben sie doch mit Absicht gemacht«, sagt Ottavio, ein junger Fischer in Arenzano, und blickt grimmig auf die Hochhäuser in Genua. »Die Herren da drüben, die haben uns den kaputten Tanker direkt vor den Strand gelegt, statt ihn weit raus auf das Meer zu schleppen - weil sie auch hier einen Ölhafen bauen wollen, damit uns das letzte bißchen Tourismus kaputtgeht.«

»Mach dir doch nichts vor«, sagt sein älterer Kollege, »du weißt doch selbst, wie oft wir schon früher Fische körbeweise zurückgeschmissen haben, weil sie nach Öl stanken.«

In der Tat traf die Ölpest der »Haven« auf eine schon geschundene Küste. Viele Berge Liguriens sind schwarz von den verheerenden Waldbränden in den vergangenen Jahren. Eine ungezügelte Bauspekulation, an der sich die Gemeindeväter oft selbst beteiligten, hat die Küstenlinie über weite Strecken verschandelt. Das Meer, das der ligurische Dichter Angelo Barile als »unser geliebtes Wohnviertel« beschrieb, ist zu einer bedrohlichen, verseuchten Wasserwüste geworden. In den Seitentälern um Genua nisten archaisch wirkende Industrieanlagen, unheimliche Dämpfe ausstoßend, rumpelnd und polternd.

Zwar hat ein stark gewachsenes Umweltbewußtsein, das auch in Ligurien die Reihen der Grünen mehrte, dazu beigetragen, manche Auswüchse zu stoppen.

Doch die Bewohner des Genueser Industrie- und Tankerhafens Multedo protestierten bislang vergebens. Sie leben in ständiger Katastrophengefahr zwischen ein- und auslaufenden Supertankern, Industrieanlagen und Rohrleitungen in verpesteter Luft. Bis in die Hügel hinein stapeln sich wie gigantische Hutschachteln die Depots für das gelagerte Erdöl - grün angemalt, als sollte Natur vorgetäuscht werden.

1981 explodierte, von einem Blitz getroffen, im Hafen von Multedo der japanische Tanker »Hakuyo Maru«, sieben Tote. 1987 flog ein Erdöldepot in die Luft, fünf Menschen starben. Damals wie heute, bei der Explosion der »Haven«, hätte es leicht zu einer furchtbaren Kettenreaktion kommen können, die im schlimmsten Fall das ganze Stadtviertel in die Luft gejagt hätte.

30 Millionen Tonnen Rohöl werden jährlich in Genua-Multedo, dem zweitgrößten Tankerhafen Italiens, umgeschlagen. Weder die Stadt noch die Region Ligurien haben sich bisher dazu entschließen können, einen Notstandsplan für Tankerunfälle zu entwerfen.

Später Nachmittag am Strand von Arenzano. Die vom Tramontana aufgewühlte See hat den großen Ölbatzen abgeholt, an dem sich vormittags die Soldaten abmühten. Vier der Fässer, die sie mit dem Ölschlamm füllten, blieben am Strand zurück, vergessen wohl von jenem einzelnen, überlasteten Gabelstaplerfahrer, der sie abtransportieren sollte. Die nächste strudelnde Welle dürfte die Fässer zurück ins Meer tragen und ihren klebrigen Inhalt ans Wasser zurückgeben.

Valeska v. Roques

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