LAURITZEN Schwarz, weiß, rot
Die Fahrbereitschaft des Bonner ilWohnungsbauministeriums mußte den Abholplan für Oberbeamte ändern. Am Tage nach seiner Vereidigung hatte der neue Minister Lauritz Lauritzen, 56, um halb neun Uhr früh vergebens nach einem leitenden Mitarbeiter gefragt. Seither passieren auch Ministerialdirigenten und -räte um acht Uhr morgens das eiserne Tor zum Innenhof des Schlosses Deichmannsaue.
Der neue Schloßherr, nach vier Frei- und einem Christdemokraten der erste Sozialdemokrat auf dem Posten eines Bundeswohnungsbauministers, setzte auch die Hausbesitzer unter Zeitdruck. Sein Bekenntnis »Die Wohnung kann niemals eine Ware sein wie Kartoffeln oder ein Stück Seife« verstieß gegen die christdemokratische Wohnungs-Ideologie einer freien Zimmerwirtschaft.
Nach dem Plan des ehemaligen Wohnungsbauministers Paul Lücke sind bisher in 532 von 564 deutschen Städten und Landkreisen Stoppmiete, Wohnraumbewirtschaftung und Mieterschutz abgeschafft worden. Die letzten 32 »schwarzen« Kreise, durchweg Großstädte und Ballungsgebiete, sollten laut Lückes sozialem Mietrecht dann weiß gemacht werden, wenn in ihnen das statistische Wohnungsdefizit unter drei Prozent gesunken ist -- spätestens aber bis zum 1. Januar 1968.
Im ersten Jahr nach der Freigabe durften die Hausbesitzer in den geweißten Kreisen ihren Mietern bis zu 25 Prozent mehr Miete abverlangen. Wenn sie sich einen neuen Mieter suchten, waren sie nicht einmal an dieses Limit gebunden. In Duisburg wurden binnen zehneinhalb Monaten sieben Prozent der kündbaren Mietverträge aufgesagt. Die Mieten der vom Lücke-Plan betroffenen Wohnungen stiegen um durchschnittlich 40 Prozent.
Teuerung und Rauswurf-Quote schienen den Sozialdemokraten seit jeher verdächtig. Lauritzen will deshalb
* die pauschale Rechnung mit dem statistischen Wohnungsdefizit abschaffen und acht bis zehn jetzt noch schwarze Großstädte erst später weißen;
* den Kündigungsschutz für die Mieter, die bislang aus sozialen Gründen bestenfalls einen Aufschub bewirken können, verbessern -- etwa dadurch, daß der Vermieter vor Gericht ein zwingendes eigenes Interesse beweisen muß.
Lauritzens Absicht, Lückes soziales Mietrecht aufzuweichen, fand nicht den Beifall des Düsseldorfer Zentralverbandes der Deutschen Haus- und Grundeigentümer. Kurz vor dem Christfest warf der Vermieterbund dem Minister vor, er wolle gegen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verstoßen. Was Hausbesitzern in 532 weißen Kreisen recht war, müsse denen in den übrigen 32 schwarzen billig sein. Es gehe nicht an. für diese Kreise ein »anderes System« zu schaffen.
Auch den Chargen im Wohnungsbauministerium, die ihre sozialpolitischen Vorstellungen zumeist aus Paul Lückes Besitzbürger-Idylle bezogen, ist der neue Mann nicht ganz geheuer. Lauritzen steht nicht allein früh auf, er pflegt auch bis zehn Uhr abends Dienst zu tun, so daß die Beamten sich nicht aus dem Haus trauen.
Der Sohn eines Tischlers aus Plön in Schleswig-Holstein zeigt wenig Sinn für rheinische Lebensart. Er regiert höflich, aber kühl. Nur im Kreise von Genossen, die ihn »Lau-Lau« nennen dürfen, taut der steife Nordländer auf. Nach der zwölften Lage Lütt un Lütt -- Bommerlunder und Bier -- stimmt er bisweilen Seemannslieder an.
Schon mit 19 Jahren -- 1929 -- schrieb sich Lauritz Lauritzen bei den Sozialdemokraten ein. Sieben Jahre später promovierte er in Kiel zum Dr. jur. Bis zum Kriegsende fand er sein Auskommen als Hauptabteilungsleiter in der Berliner Reichsstelle Chemie.
Sein Weg nach Bonn führte durch die politischen Etappen der Provinz. Lauritzen tat Dienst im Landratsamt Rendsburg, landete 1951 als Ministerialdirigent im niedersächsischen Innenministerium, und 1954 gewann ihn Kassel als Oberbürgermeister. Politisch logierte er im Vorstand des gemäßigten SPD-Bezirks Hessen-Nord.
Dort entdeckte ihn der Hessen-Premier Georg-August Zinn, der den straffen Holsteiner 1963 zu seinem Minister für Justiz- und Angelegenheiten des Bundesrates machte. Vier Jahre lang amtierte Lauritzen im Erbprinzen-Palais zu Wiesbaden und galt als Zinns politischer Erbe.
Zinns Absicht, Lauritzen im Amt des Finanzministers aufzubauen, scheiterte indes am Widerstand des radikalen SPD-Bezirks Hessen-Süd und an der Buchführung des Sportvereins Hessen Kassel. Der Justizminister wurde in ein Ermittlungsverfahren der Frankfurter Staatsanwaltschaft einbezogen. Er war in Verdacht geraten, als Kasseler Oberbürgermeister geduldet zu haben, daß der KSV Hessen Kassel aus steuerbegünstigten Spenden Balltreter beim FC Schalke 04 einkaufte.
Das Verfahren wurde eingestellt, aber Finanzminister in Wiesbaden konnte Lauritzen von da an nicht mehr werden. Er blieb Justizminister, bis Herbert Wehner ihn nach Bonn holte.
Befürchtungen der rheinischen Wohnungsbürokraten, der neue Dienstherr werde hessische SPD-Genossen an die Bonner Krippe führen, waren unbegründet. Demonstrativ sprach Lauritzen dem Wohnungsbau- Staatssekretär Johannes Schornstein, der seit 20 Jahren der CDU angehört, sein »volles Vertrauen« aus. Witzelte der FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfram Dorn: »Schornstein heißt innen schwarz und außen rot.«
Um jedoch ganz sicherzugehen, beschafften sich mehrere leitende Herren des Wohnungsbau-Ressorts jenes Grundsatzprogramm »Gesunde Wohnungen in gesunden Gemeinden«, das die Sozialdemokraten im Mai 1965 herausgegeben hatten. Zum Jahresende lieferte die Bonner SPD-Baracke 30 Exemplare des neuen Katechismus ins Schloß Deichmannsaue.