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Schwarzarbeit: »Unglaublich, was da läuft«

Über drei Millionen Deutsche fangen nach Feierabend erst richtig an: Sie mauern und frisieren, reparieren Autos, Waschmaschinen und Fernsehgeräte - für rund 40 Milliarden Mark im Jahr. Während die Konjunktur matter wird, nimmt die Schwarzarbeit zu: Sie hat sich zu einer krisenfesten Untergrund-Wirtschaft entwickelt.
aus DER SPIEGEL 46/1981

Er ist so fleißig, wie sich Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff den deutschen Arbeitnehmer wünscht, schafft 50 bis 60 Stunden die Woche, und alles im Akkord.

Nur »weil die Arbeit arg auf die Knochen geht« und er sich »nicht kaputtmachen will«, verbringt Manfred manche Abende mit Ausdauer vor dem Tresen, statt Badezimmer und Küchen in den Kölner Stadtteilen Sülz und Lindenthal zu kacheln.

Doch auch beim Biertrinken bleibt er im Geschäft. Über seine Stammkneipe in der Dürener Straße kommen seine Feierabend-Aufträge herein - mehr, als er annehmen kann. Der Wirt empfiehlt ihn, aus eigener Erfahrung; bis zum nächsten Frühjahr ist Manfred ausgebucht.

Bei solchem Andrang macht der Fliesenleger natürlich wie die Kollegen in seiner Firma keine Überstunden, sondern da und dort »ein Lappöhrchen«, wie er sagt. Aus dem Rheinischen übertragen: Er verdient sich ein paar Mark nebenbei.

Sein Lappöhrchen beziffert er auf rund 3000 Mark im Monat, bar auf die Hand, versteht sich. Schließlich gehört er als Fliesenleger auch in der Zunft der Schwarzarbeiter zu den Spitzenkräften.

Auf bescheidenere Neben-Einnahmen kommt der freundliche Herr, der im Hertie-Kaufhaus am Kölner Neumarkt Teppichböden verkauft und seinen Kunden verrät, wer ihnen den Teppich billig verlegt: Er macht es selbst, ab sieben Uhr abends, ordentlich und durchaus preiswert.

Nur ein Taschengeld hingegen verdient ein Saaldiener im Bonner Bundestag, der als gelernter Schneider hin und wieder einem Volksvertreter mit Zwirn und Nadel an die Hose geht.

Mit den gelegentlichen Änderungs-Schneidereien, beruhigte ihn der CDU-Abgeordnete und Schwarzarbeitsexperte Heinz Landre, übe er nur kleine Gefälligkeitsarbeiten und damit keine illegale Nebentätigkeit aus. Gleichwohl zählt auch der schneidernde Parlamentsdiener zu dem Millionenheer der Werktätigen, die sich nach Feierabend oder am Wochenende ein Zubrot verdienen.

Während die amtlich erfaßte Wirtschaft lahmt, während die offizielle Arbeitslosenstatistik S.63 auf zwei Millionen Erwerbslose zusteuert und Politiker die Bundesbürger auf einen Rückgang ihres Verdienstes einstimmen - währenddessen wird die Heerschar jener, die abseits des staatlichen Steuer- und Versicherungssystems einer Arbeit nachgehen, eher noch größer: Schwarzarbeit hat Hochkonjunktur.

3,3 Millionen Deutsche, so haben die forschenden Allensbacher Demoskopen hochgerechnet, üben regelmäßig einen bezahlten Freizeit-Job aus, arbeiten - von der Putzfrau bis zum Oberbaurat - im Schnitt drei Stunden täglich nebenher.

Von keiner Statistik erfaßt, mehren sie, abseits vom offiziellen Wirtschaftsgeschehen, heimlich das Bruttosozialprodukt. Sie reparieren Autos, renovieren Wohnungen und mauern Garagen - so eifrig, daß sie für Firmenchefs inzwischen »zu einer schlimmen Landplage geworden« sind, wie der Offenburger Unternehmer Franz Burda lamentiert.

Schwarzarbeit, klagt Schlossermeister Landre, der im heimatlichen Herford eine Handwerksfirma betreibt und das Freizeitgewerbe verfolgt, habe sich »zu einer Subökonomie entwickelt, die wächst, blüht und gedeiht«.

Diese Untergrundwirtschaft ärgert den unternehmerischen Mittelstand genauso wie die Bonner Regierenden: die einen, weil sie damit Aufträge und Umsätze verlieren; die anderen, weil ihnen Milliarden an Steuern und Sozialabgaben entgehen.

Härtere Strafen sollen die Unbotmäßigen daher zukünftig von ihrer Dunkelarbeit abhalten. Unter dem Beifall der Opposition verkündete Arbeitsminister Herbert Ehrenberg, er wolle das »Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit« verschärfen.

Der Entwurf, den er im Sommer vorlegte, soll illegale Mietarbeiter und deren kriminelle Hintermänner treffen, ebenso aber auch den biederen Handwerker, der sich nebenbei ein paar Hunderter dazuverdient.

Bislang durften Schwarzarbeiter mit dem geltenden Recht zufrieden sein. Praktiker wie Rainer Schurr, bei der Stuttgarter Handwerkskammer Leiter der Abteilung Handwerks- und Gewerberecht, urteilen über das derzeitige Schwarzarbeitergesetz: »Damit ist fast niemand zu fassen.«

Bezahlte Nebentätigkeit läßt sich bisher als Schwarzarbeit bestrafen, wenn sie »aus Gewinnsucht in erheblichem Umfange« ausgeübt wird.

Aus Gewinnsucht aber, so stellte der Bundesgerichtshof 1962 fest, handelt einer nur dann, »wenn er seinen Erwerbssinn in einem ungewöhnlich ungesunden und sittlich anstößigen Maße betätigt«.

Was darunter zu verstehen ist, präzisierten 16 Jahre später Juristen des Bundesrats: Ein Schwarzarbeiter verhalte sich gewinnsüchtig, »wenn er von dem Verlangen nach Gewinnerzielung so beherrscht wird, daß er ihm hemmungslos unterliegt, wenn er die Schranken von Gesetz und Recht, von geschäftlichem S.66 Anstand und mitmenschlicher Rücksicht nicht mehr sieht«.

Solch pathologische Habgier ist einem Schwarzarbeiter kaum nachzuweisen. Wenn er schon einmal zu einer Geldbuße verurteilt wird, dann fast immer, weil er gegen die Handwerksordnung verstoßen hat: Bis zu 10 000 Mark Strafe riskiert jeder, der »ein Handwerk als stehendes Gewerbe selbständig betreibt«, soll heißen: ohne in die Handwerksrolle eingetragen zu sein.

Künftig soll es zur Bestrafung schon ausreichen, wenn die Schwarzarbeit einen »erheblichen wirtschaftlichen Vorteil« bringt. Was darunter zu verstehen ist, haben Ehrenberg-Ministeriale angedeutet: etwa die komplette Renovierung einer größeren Wohnung.

Ertappten Schwarzarbeitern und ihren Auftraggebern droht der Entwurf eine Geldstrafe bis zu 50 000 Mark an. Das geltende Gesetz sieht als Höchststrafe 30 000 Mark vor.

Ob mit schärferen Strafen die diskrete Mehrarbeit einzudämmen ist, scheint jedoch zweifelhaft: Ohne einen gewaltigen Überwachungsapparat dürfte es auch zukünftig nicht gelingen, Schwarzarbeiter massenweise aufzuspüren.

Schließlich hat sich längst ein Millionenheer von Werktätigen daran gewöhnt, nach Feierabend oder am Wochenende ein Zubrot zu verdienen.

Experten vermuten, daß rund 40 Milliarden Mark jährlich im ökonomischen Untergrund umgesetzt werden. Die Schätzungen schwanken zwischen 30 und 60 Milliarden - das sind immerhin zwischen zwei und vier Prozent des amtlich erfaßten Bruttosozialprodukts.

Das Phänomen sucht alle Industriestaaten heim: Amerikaner verdienen sich beim sogenannten moonlighting - Schaffen, wenn der Mond scheint - mindestens 200 Milliarden Dollar nebenher. Mit ihrem »Fiddling« - Gemauschel - mehren die Briten ihre nationale Wertschöpfung um etwa sieben Prozent. Die »travail noir« - schwarze Arbeit - hebt den Wohlstand der Franzosen um schätzungsweise zehn Prozent.

»Jedenfalls hat die Schwarzarbeit«, konstatiert der Würzburger Volkswirtschaftsprofessor Bruno Molitor, »einen Umfang angenommen, daß das offiziell ermittelte Bruttosozialprodukt sich nicht mehr mit der tatsächlichen gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung decken läßt; ein Teil wird eben alla maniera italiana produziert.«

Wenn auch noch weit entfernt von italienischen Zuständen, so hat sich doch inzwischen auch in der Bundesrepublik eine Ökonomie installiert, die in Italien »economia sommersa« - untergetauchte Wirtschaft - heißt: Neben der von Gewerbeaufsicht und Fiskus, von Sozialversicherungen und statistischen Ämtern registrierten »sichtbaren« Wirtschaft eine unsichtbare, in der keine Rechnungen ausgestellt werden, eine Wirtschaft im Untergrund.

Der Staat selbst, der nun die Schwarzarbeiter härter strafen will, hat die Feierabend-Werker ins Dunkel getrieben. Je härter die Steuer zupackt, je kräftiger gesetzliche Alters-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zulangen, desto größer wird die Versuchung, zumindest einen Teil des Arbeitslohns netto für brutto zu kassieren. S.67

Kein Maurer oder Maler, klagen die Firmenchefs, sei zu (versteuerter) Mehr-Arbeit bereit. Was Wunder, denn Steuer und Sozialabgaben fressen vom Überstundenlohn im Schnitt gut die Hälfte weg.

»Schwarzes« Geld verdienen nicht nur Handwerker. Ein Arzt etwa, wie viele Selbstzahler wissen, läßt über die Höhe seiner Liquidation mit sich reden, wenn kein Beleg an die Versicherung geht. Mit diesen Einnahmen finanziert der Medicus vielleicht den Nachhilfe-Unterricht für seine Kinder. Der Studienrat wiederum wird seinen Zusatzverdienst, oft 40 Mark und mehr pro Stunde, nicht mit dem Finanzamt teilen, sondern damit sein Haus etwas prächtiger bauen. Er findet dafür gewiß Handwerker, die 30 bis 50 Prozent billiger arbeiten.

So rotiert in der Untergrundwirtschaft das Geld in ähnlichen Kreisläufen wie in der gutbürgerlichen Ökonomie, entstehen in der unsichtbaren Wirtschaft Einkommen und Vermögen von beachtlichen Ausmaßen.

Schwarzarbeit floriert nicht zuletzt durch den Kostenauftrieb bei allen Versionen von Dienstleistungen. Die hohen Stundensätze für Handwerker zeitigen nachgerade groteske Folgen.

So muß ein Klempner mit einem Stundenlohn von zehn Mark netto, der seinen Wagen in einer großstädtischen Werkstatt reparieren läßt, die Mechanikerstunde mit rund 60 Mark bezahlen. Braucht der Automechaniker, der etwa zehn Mark netto pro Stunde verdient, einen Klempner in seiner Wohnung, muß er für dessen Arbeitsleistung an die Installationsfirma mindestens 40 Mark die Stunde bezahlen. Jeweils ein Facharbeiter muß also für die Dienste eines S.70 anderen das Vier- bis Sechsfache dessen hinlegen, was er selbst in der gleichen Zeit verdient.

Das führt zwangsläufig dazu, daß jede Form von Nachbarschaftshilfe immer beliebter wird. Und Nachbarschaftshilfe, strafrechtlich kaum zu packen, ist für den Kieler Ökonomen Herbert Giersch nichts anderes als »Schwarzarbeit auf Gegenseitigkeit«.

Ob Metzger heimlich bei Bauern schlachten, ob Friseusen zu Hause ihren Bekannten die Haare schneiden oder Maler am Wochenende halb so teuer wie ihr Chef Wohnungen tapezieren - alles in allem gehen nach einer Schätzung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks den Zünften in diesem Jahr durch die schwarze Konkurrenz Aufträge für rund 40 Milliarden Mark verloren.

Diesem Treiben gilt es nach Meinung der Handwerks-Lobby endlich ein Ende zu bereiten.

In Bonn kämpft Landre zusammen mit seinen Freunden von der CDU-Mittelstandsvereinigung seit vier Jahren für ein schärferes Gesetz gegen die heimliche Nebenarbeit. Als Präsident der Bielefelder Handwerkskammer hat Landre in Selbsthilfe einen pensionierten Polizisten engagiert, der Schwarzarbeiter aufspüren soll.

In Düsseldorf fordert Kammerpräsident Georg Schulhoff, ehemals Bonner CDU-Abgeordneter, keine Steuern auf Überstunden zu erheben. Dann, so die Überlegung, wäre wohl mancher Geselle bereit, länger für die Firma zu arbeiten, statt sich ein schwarzes Zubrot zu verdienen.

In München statuiert der Autohändler Fritz Haberl, bis Herbst 1980 CSU-MdB, in seinen VW-Werkstätten ("Mahag") gelegentlich ein Exempel: Wenn einer seiner Mechaniker allzu fleißig nebenher anschafft, wird er gefeuert. In den letzten sechs Jahren waren es insgesamt fünf Mann. Haberl beschäftigt rund 400 Mechaniker.

»Wenn der jeden rausschmeißen würde, der schwarzarbeitet«, spottet ein Konkurrent, »könnte er seinen Laden dichtmachen.«

Weder die Drohung mit einer Entlassung noch das Risiko eines Bußgeldverfahrens haben die lukrative Feierabendbeschäftigung einzudämmen vermocht. Sie hat vielmehr, gleichsam synchron mit der Preisentwicklung im Dienstleistungsgewerbe, ständig zugenommen. Und was die Innungsmeister schier verzweifeln läßt: Schwarzarbeit läßt sich nur höchst selten nachweisen.

Wenn sich etwa samstags im Großraum Bremerhaven Heinz Lilkendey von der Kreishandwerkerschaft einer Baustelle nähert, dann verschwinden von dort ganz flink die Arbeiter; bei der Inspektion des Baus ist meistens »kein Mensch zu sehen, aber der Betonmischer läuft noch« (Lilkendey).

Wer auf dem Bau zurückbleibt, beteuert, er sei mit dem Bauherrn verwandt S.71 oder befreundet und würde nur aus Gefälligkeit helfen - eben Nachbarschaftshilfe, die im »Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit« erlaubt ist und auch zukünftig erlaubt bleibt.

Gelingt es höchst selten, einem Gesellen nachzuweisen, daß er seinen Freizeit-Job zu einem regelrechten Gewerbe ausgebaut hat, so sind noch seltener die Vertreter des Beamtenstandes zu fassen. Und was immer man über die Staatsdiener denken mag: Beamte entwickeln erstaunliche Fähigkeiten, wenn es darum geht, das Einkommen durch Nebentätigkeiten aufzubessern.

Nach einer Stichprobe des Landesrechnungshofes Schleswig-Holstein ging unter 4150 überprüften Landesbediensteten jeder vierte einer regelmäßigen Nebenbeschäftigung nach - innerhalb oder etwas außerhalb der Legalität.

Beamte, so scheint es, haben wenig zu befürchten, wenn sie ihre Höchstform nach Dienstschluß erreichen. Nur wenn einer allzu ungeniert anschafft und sich dabei erwischen läßt, ergeht es ihm wie Gerhard Romberg aus dem Bauordnungsamt der Stadt Hagen, über dessen ausgedehnte Nebenjobs sich freiberufliche Architekten lange Zeit beschwerten.

Der fleißige Staatsdiener, so vermuteten Hagener Architekten, strich jährlich bis zu 180 000 Mark für die nebenberufliche Planung von Mehrfamilienhäusern ein. Als im vergangenen Jahr den Freiberuflern, die ihr durchschnittliches Jahreseinkommen mit 70 000 bis 80 000 S.74 Mark angeben, eine Romberg-Rechnung über rund 100 000 Mark in die Hände fiel, ließen sie ein Dienststrafverfahren einleiten. Daraufhin quittierte ihr schwarzer Konkurrent den Dienst.

Einen derart einträglichen Zweitjob, so die Architekten, kann selbst ein Staatsdiener nicht allein in seiner Freizeit schaffen. Und noch ist es nicht so weit, daß Beamte während der Dienstzeit einem Nebenerwerb nachgehen dürfen.

In zahlreichen Rundschreiben und Erlassen haben die Innenminister von Bund und Ländern bestimmt, daß ein Beamter in seinen Dienststunden nicht einmal für die sogenannten Selbsthilfeeinrichtungen des Standes tätig sein darf. Daran halten sich freilich die wenigsten.

Vielmehr hängt in zahllosen Dienststellen am Schwarzen Brett, welcher Kollege in welchem Zimmer welche Firma vertritt - etwa das Beamtenheimstättenwerk BHW ("die Bausparkasse für Deutschlands öffentlichen Dienst"), die Kfz-Versicherung HUK-Coburg oder die Lebensversicherung DBV (siehe Abbildung Seite 71).

Nach einer Schätzung des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute wenden die Staatsdiener etwa fünf Millionen Arbeitsstunden im Jahr auf, um sich ihre Provisionen in der Amtsstube zu verdienen.

Die geübtesten Schwarzarbeiter im öffentlichen Dienst sind allerdings nicht die verkappten Versicherungsvertreter, sondern die heimlichen Architekten und Bauleiter. »Die bekommen ihre Aufträge qua Stellung«, beschwert sich Wolfgang Kromick, Justitiar des Bundes Deutscher Architekten (BDA), über die Konkurrenz aus den Bauämtern.

Zuerst muß ein angehender Bauherr nun mal zur Baubehörde. Wenn er ein Ein- oder Mehrfamilienhaus plant, erfährt er dort, wie Kromick weiß, daß im Amt tüchtige Fachleute sitzen, die von der Planung bis zur Bauleitung alles etwas billiger machen. Vor allem aber können die freischaffenden Amtspersonen alles auch ein wenig schneller, denn der Kollege im Nebenzimmer stempelt ab. In manchen Gegenden haben die fleißigen Bauräte neun von zehn Eigenheim-Bauten an sich gezogen.

Wenn Staatsdiener auch noch für die Entwürfe und die Bauleitung sorgen, kann es schon mal passieren, daß ein Häuschen komplett - von der Statik bis zur Rauhfasertapete - in Schwarzarbeit erstellt wird. Das merken auch die Bau- und Heimwerker-Märkte, denen neben der Do-it-yourself-Bewegung vor allem die Schwarzarbeit einen anhaltenden Boom beschert: Dort kaufen Handwerker Gerät für ihre Nebenjobs ein.

In einer Gemeinde bei Aachen sei sogar eine ganze Muster-Siedlung mit 30 Häusern »komplett schwarz hochgezogen worden«, schwört der Handwerksfunktionär Alfred Thiele aus dem niederrheinischen Heinsberg; nur beweisen könne er es eben nicht.

Thieles Kollegen in Wetzlar ließen 1500 Neubauten auf dem Land überprüfen. 90 Prozent aller Maler- und fast 75 Prozent aller Maurerarbeiten, so stellte sich heraus, waren schwarz gemacht worden.

Solche nachträglichen Erkenntnisse haben jedoch nur statistischen Wert, die Aufträge sind nun mal fürs etablierte S.75 Handwerk verloren. Wenig erfolgreich waren bislang die Bemühungen, mit privaten Kontrolleuren die schwarze Konkurrenz in flagranti zu ertappen.

Die Handwerkskammer Aachen etwa schickt drei Angestellte als »Prüfer« durch ihren Bezirk - »um nur die schlimmsten Fälle aufzudecken«, klagt Thiele, »bräuchten wir ein ganzes Polizei-Bataillon«.

Ob die Kammer-Herren nun, wie in Verden an der Aller, einen ehemaligen Kriminalbeamten oder, wie in Wetzlar, zwei Privatdetektive ausschwärmen ließen - die Aufklärung blieb »ein ziemlich frustrierendes Geschäft«, so Dieter Goebels, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt.

Für die Kontrolleure gestaltet sich die Ermittlung vor Ort oft recht unangenehm. Einem Abgesandten der Kammer Hamburg-Harburg wurde auf einer Baustelle nahegelegt, sich nicht mehr blicken zu lassen, sonst werde ihm »die Fresse poliert«. In Bremerhaven mußte der Kammer-Jäger Heinz Lilkendey vor aufgebrachten Bauarbeitern Reißaus nehmen; die schlitzten ihm daraufhin alle vier Reifen seines Autos auf. Andernorts wurden die Schnüffler durch herabfallende Ziegelsteine vertrieben oder auch schon mal mit dem Vorschlaghammer verscheucht.

Weil dieser Job »ein nicht ganz ungefährliches Handwerk« ist, brach Rainer Schurr in Stuttgart bald den Einsatz seiner sieben »Späher«, allesamt Handwerksmeister im Ruhestand, ab.

Wie viele andere Kammern konzentrieren sich die Stuttgarter inzwischen darauf, jenen Werktätigen nachzujagen, die Schwarzarbeit als Fulltime-Job ausüben: Kolonnen, die häufig Ausländer illegal beschäftigen, von Baustelle zu Baustelle ziehen und, weil sie Steuern und Sozialabgaben hinterziehen, billiger schaffen, nicht selten auch pfuschen, da sie nach ein paar Tagen wieder verschwunden sind.

»Wenn da nicht bald etwas geschieht«, sorgt sich etwa Bielefelds Handwerker-Präsident Landre, »kommt der schwarz hochgezogene Bau als Regelfall.«

So machen im Bayerischen illegale jugoslawische Verputzer-Trupps den einheimischen Firmen so heftige Konkurrenz, daß manches gestandene Handwerksunternehmen an den Rand des Ruins gedrückt wurde.

Im Niederrheinischen kümmern sich die Innungsmeister schon gar nicht mehr darum, »wenn da mal einer schwarz eine Garage mauert«, erläutert Thiele: »Wir wollen vor allem die Ganoven packen, die nur schnell absahnen.«

An der Grenze zu Holland scheinen die Handwerksbetriebe am ärgsten unter der illegalen Konkurrenz aus dem Nachbarland zu leiden. Nach einer Schätzung der Aachener Kammer haben die Niederländer über 20 Prozent des gesamten Handwerks-Umsatzes an sich gezogen.

»Es ist unglaublich, was da läuft«, stöhnt Thiele, »da sind regelrechte Kolonnen, S.76 die mehr als 20 Leute beschäftigen. Es gibt illegale Verleiher, die Asylanten beschäftigen. Da gibt es Unternehmen, die auf feudalen Briefbögen als GmbH firmieren und vergessen, das Gewerbe anzumelden, und natürlich weder Steuern noch Sozialabgaben zahlen.«

Die klassische Schwarzarbeit wird freilich nicht von professionell arbeitenden Wirtschaftskriminellen verrichtet, sondern von unzähligen Arbeitnehmern, die sich nebenher ein paar Scheine verdienen.

»Grauarbeit« nennt das der Bonner Rechtsanwalt und Schwarzarbeitsexperte Hans-Jürgen Aberle, der damit die Freizeit-Jobber von den mit Mafia-Methoden vorgehenden Schwarzarbeiter-Gangs abgrenzen möchte.

Doch gerade die »Grauarbeiten« der vielen biederen Handwerker, die zahllosen Bagatellfälle, sind es, die, aufaddiert, die Schwarzarbeit zu einer volkswirtschaftlichen Größe machen und der etablierten Handwerkerschaft so viel Ärger bereiten. S.77

In der Bremerhavener Georgstraße etwa wunderte sich ein Friseur, daß so viele frisch ondulierte Damen aus seinem Haus gingen, ohne seinen Salon beehrt zu haben. Der Friseur-Meister alarmierte seine Kammer, die ihren Kontrolleur nach dem Rechten sehen ließ: In dem Haus des Friseurs waren gleich in zwei Wohnungen ehemalige Friseusen bei der Arbeit.

So etwas läppert sich. Auf knapp 500 Millionen Mark jährlich schätzen die Friseure ihre Umsatzeinbuße durch diskrete Nebengeschäfte. Dem Kfz-Gewerbe nehmen Schwarzarbeiter Aufträge im Wert von 1,5 bis zwei Milliarden Mark weg, und für alle Zünfte zusammen listet der Zentralverband des Deutschen Handwerks einen Umsatzverlust von zehn Prozent auf. In ländlichen Regionen seien es gar zwanzig Prozent und mehr.

Das entspreche, so illustriert die Handwerkslobby gern diese Größenordnung, dem Einsatz von 400 000 Beschäftigten. Jedem Abgeordneten des Deutschen Bundestags ließ der Zentralverband diese Argumentation in den Briefkasten legen, damit der Gesetzgeber endlich schärfer gegen Schwarzarbeiter vorgehe.

Die Untergrund-Werker würden nämlich nicht nur den Fiskus und die Sozialversicherer um rund zehn Milliarden Mark jährlich bringen. Es könnten auch, so geben sich die Handwerks-Lobbyisten dem Gemeinwohl verpflichtet, »wesentlich mehr Arbeiter beschäftigt werden, wenn die Schwarzarbeit nicht in so großem Umfang betrieben würde«.

Der unterstellte Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit ist jedoch absurd. Denn allenthalben fehlen Handwerker, sind mehrwöchige Wartezeiten selbstverständlich.

Auch der CDU-Abgeordnete Landre, einer der eifrigsten Kämpfer gegen die Untergrund-Konkurrenz, weiß nur allzu gut, wie der Arbeitsmarkt aussieht: Er hat mehr Stahlschornsteine zu bauen, als mit dem Stammpersonal zu schaffen ist. Also behilft er sich in seinem 24-Mann-Betrieb mit Überstunden - und, wenn Not am Mann ist, mit Leiharbeitern, gelegentlich auch aus England.

Die Autohändler etwa suchen 10 000 Kfz-Mechaniker, das Frisiergewerbe könnte mindestens 5000 Beschäftigte einstellen, und selbst in der krisengeschüttelten Baubranche, so ergab eine Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes in diesem Sommer, sucht jeder fünfte Betrieb Facharbeiter.

Alles in allem fehlen derzeit rund 200 000 Handwerker. Keinem Arbeitslosen würde mithin zu einem Job verholfen, wenn Pinsel und Rohrzange nach Feierabend beiseite gelegt würden. Vielmehr müßten sich die Kunden länger gedulden. Vor allem für Ausbau und S.78 Altbaumodernisierung gibt es mehr Aufträge als Personal.

»Was von dem Auftragsstau in die schwarzen Kanäle fließt, weiß keiner«, sagt Rainer Schurr von der Handwerkskammer Stuttgart. So mancher Meister will es auch gar nicht wissen.

Vielmehr kümmert sich etwa in den Auto-Werkstätten der Chef selten darum, wie viele Ersatzteile mit Personalrabatt gekauft werden; ein freundlicher Unternehmer stellte seinen Leuten auch mal samstags die Lackierhalle zur Verfügung. »Wenn ein Monteur den Wagen von Verwandten oder Freunden repariert«, erläutert VW-Händler Haberl, »ist das ja keine Schwarzarbeit.« Monteure haben viele Freunde.

Im Ausbaugewerbe wiederum sehen es manche Firmen nicht ungern, wenn ihre Beschäftigten ihnen den Kleinkram vom Leib halten.

»Ich mache nur Anthrazit-Arbeit«, meint der Hamburger Dachdecker Dieter Blick,

( Name von der Redaktion geändert. )

»mein Chef weiß das. Der hat an kleinen Reparaturen kein Interesse.«

Blick hat viele Hausbesitzer kennengelernt, die durch abschreckende Kostenvoranschläge zu Schwarzarbeitern getrieben wurden. Bis zu 300 000 Mark verlangten Firmen für das neue Dach einer Altbau-Villa. Der Anthrazit-Arbeiter machte es für 90 000.

Dabei verdient Blick »nie unter 50 Mark die Stunde, manchmal über 100 Mark«. Mit Kollegen aus seiner Firma bildet er eine schwarze Vier-Mann-Kolonne: zwei Dachdecker und ein Zimmermann, dazu ein Klempner, der zuständig ist für Dachrinnen, Kehlen, Schornsteineinfassungen und ähnliches. Die vier besorgen das Baumaterial vom Lieferanten ihrer Firma und verdienen auch daran noch ein paar Prozente.

Das Team arbeitet, wenn es das Wetter erlaubt, regelmäßig von Freitagmittag bis Samstagabend und hat sich auf sogenannte Umdeck-Arbeiten bei Altbauten spezialisiert - alte Dächer runter, neue rauf.

Den guten Stundenlohn erklärt Blick mit dem ungewöhnlichen Arbeitstempo. Die Kolonne schuftet im Akkord: »Das geht durch ohne Bierpause und so. Da wird kein Fünfzehner gemacht.«

»Einen Fünfzehner machen« bedeutet im Bauarbeiter-Jargon, sich für eine Weile auszuruhen. Weil der Job so hart ist, legen die Männer vom Bau gern eine Erholungspause ein.

Die 45-Minuten-Stunde schlägt sich natürlich in der Kalkulation des Unternehmers nieder, der alle Belastungen wie sämtliche Kosten an den Kunden weiterreicht. Folge: Handwerker-Rechnungen fallen so deftig aus, daß sich beispielsweise die Zehn-Minuten-Reparatur eines Warmwasserboilers locker auf 60 Mark Arbeitslohn hochsummen kann - inklusive Rüstzeiten, Wegezeiten und Fahrkosten.

Solche Preise erklären die »offensichtlich steigende Tendenz«, die der Würzburger Ökonom Bruno Molitor bei Schwarzarbeit ausmacht. Die »hohe Preisstellung« für Dienstleistungen, so Molitor in Wissenschaftler-Deutsch, könne oder wolle »mancher private Haushalt trotz vorliegenden Bedarfs nicht akzeptieren«.

Mit anderen Worten: Gäbe es keine Schwarzarbeit, dann würden bei weitem nicht alle Aufträge an Firmen gehen, dann wäre der Staat auch nicht um jene Milliarden reicher, die Handwerksverbände als hinterzogene Abgaben beklagen. Vielmehr würde so manche Wohnung nicht renoviert, manches Eigenheim nicht gebaut.

Die Subökonomie mehrt so auch den Wohlstand, der in keiner Statistik auftaucht - ob das nun, wie die Handwerkslobby schätzt, in der Bundesrepublik 40 Milliarden Mark im Jahr sind oder auch 60 Milliarden, wie der Bielefelder Ökonomie-Professor Eberhard Hamer annimmt.

Moralische Entrüstung ist jedenfalls fehl am Platz. Daß die Schwarzarbeit mehr und mehr um sich greift, ist nur die logische Folge der Abgabenbelastung und des Facharbeitermangels.

Das Wachstum der Untergrund-Wirtschaft erscheint daher zugleich als Indiz für den Umstand, daß die Belastungen von Löhnen und Gehältern mit staatlichen Abgaben schon die Grenze des Erträglichen erreicht haben. Würden die Zwangsabgaben noch höher gesetzt, so hätte das womöglich nur zur Folge, daß noch mehr Arbeit abtaucht. Für die öffentlichen Kassen wäre kein Mehrertrag drin.

Mit Paragraphen, meint denn auch die »Süddeutsche Zeitung«, läßt sich die Schwarzarbeit kaum eindämmen: »Statt also an den Symptomen herumzukurieren, sollte man sich in den Amtsstuben endlich über die eigentlichen Ursachen dieser Underground-Ökonomie klarwerden. Nur dann ließen sich auch wirkungsvolle Abstellmechanismen in Gang setzen.«

Einer der wichtigsten Gründe für die ausufernden Nebentätigkeiten ist eben die allzu scharf zupackende Steuer. Wenn nur auf die progressive Besteuerung von Überstunden verzichtet würde, glauben auch viele CDU-Mittelstandspolitiker, wäre schon viel geholfen: Die S.81 Handwerksbetriebe könnten etwas preiswerter kalkulieren, die Beschäftigten würden für ihre Mehrleistung auch mehr erhalten - der Anreiz zur Schwarzarbeit wäre geringer.

»Mit schärferen Kontrollen und höheren Strafen«, so die »Süddeutsche«, »ist dagegen wenig zu erreichen.« Es ist ja bezeichnend, daß Schwarzarbeit vor allem in den zentralverwalteten Wirtschaften des Ostblocks in Blüte steht - in jenen Staaten also, in denen Bürokraten die Eigeninitiative auszurotten versuchen.

Vornehmlich die inoffiziell getane Arbeit hält in der DDR, in der CSSR oder Polen das Wirtschaftssystem noch einigermaßen funktionsfähig: Sie ist dort, spottet der Exil-Tscheche und Schriftsteller Gabriel Laub, »die einzige Arbeit, die wirklich getan wird, und der einzige Wirtschaftszweig, der wirklich floriert«.

So weit haben es die gemischtwirtschaftlichen Systeme des Westens (noch) nicht gebracht. Doch unstreitig entzieht sich eben auch hierzulande eine wachsende Zahl von Menschen jener total verwalteten Arbeit, in der aufgeblähte Bürokratien die Arbeitsleistung um ein Vielfaches verteuern und zu einem kaum noch erschwinglichen Gut machen. Mit höheren Strafen wird Herbert Ehrenberg diesen Trend nicht umdrehen können.

Gabriel Laub hat da einige Erfahrungen auch nach seinem Wechsel von der CSSR in die Bundesrepublik machen können.

Damals, 1968, ließ er sich in seiner Hamburger Wohnung eine Waschmaschine anschließen. Der Betrieb schickte drei Mann, die sich gegenseitig auf die Füße traten, und berechnete 24 Arbeitsstunden. Laub mußte »für den Anschluß einer Waschmaschine mehr bezahlen, als die Maschine selbst kostete«.

Seitdem lobt er »Schwarzarbeiter, die uns keine Termine in drei Wochen durch die Sekretärin geben lassen, die schnell arbeiten, weil sie nicht nach Stunden bezahlt werden«.

Die nehmen zwar den Unternehmen Aufträge weg und tragen dazu bei, daß es mit der Konjunktur noch weiter bergab geht, offiziell jedenfalls. Gleichzeitig aber haben sie eine krisenfeste Parallel-Wirtschaft im Untergrund gebildet, die Millionen Arbeitnehmer finanziell abfedert.

Fraglich daher, ob es pauschal zutrifft, was Wirtschaftsminister Lambsdorff letzte Woche prophezeite: daß im nächsten Jahr »der Lebensstandard der Bevölkerung noch hinter den des Jahres 1978 zurückfällt«. Das mag die amtliche Statistik ergeben. Doch die hat von Jahr zu Jahr weniger mit der Realität zu tun.

Wahrscheinlich liegt der amerikanische Nationalökonom Milton Friedman gar nicht so falsch, wenn er meint, die Italiener hätten die gesündeste Wirtschaft Europas: »Ich spreche nicht von der offiziellen Wirtschaft, die auf der Stelle tritt, sondern von der anderen, der parallelen und heimlichen. Diese Untergrund-Wirtschaft, sehr erfindungsreich, ist dabei, sich prächtig zu entwickeln.«

Experten schätzen, daß die Italiener derzeit 30 Prozent ihres Bruttosozialprodukts schwarz erwirtschaften. Da haben die Deutschen noch einiges aufzuholen.

S.62Samstagvormittags in Gangelt-Niederbusch bei Aachen.*S.78Name von der Redaktion geändert.*Detektiv Lilkendey (l.) und Klaus Körner, Geschäftsführer derKreishandwerkerschaft Bremerhaven.*

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