OSTAFRIKA Schwarze Cowboys
Drei Tage wogte das Eunoto-Fest. Dann griff die Polizei ein. Denn die Kriegerweihe der Massai drohte die Kapazitäten der umliegenden Hospitäler zu sprengen.
Als die frisch geweihten Jungkrieger, die »Moran«, schließlich ihre Speere einpackten, waren alle Krankenhausbetten im Umkreis von 50 Kilometern belegt. Und das Fest, so Minister für Bodenschätze Stanley Oloitiptip, hatte »weder dem Fortschritt noch dem guten Ruf Kenias in der Welt gedient«.
Minister Oloitiptip ist selbst Massai. Aber er gehört zu den ganz wenigen der rund 300 000 Stammesmitglieder, die in die moderne Gesellschaft integriert sind. Die meisten der Massai hauen und stechen sich, saufen warmes Rinderblut und stehlen ihren Nachbarn das Vieh. Schlimmer noch: Sie weigern sich entgegen allen Sittenerlassen der Regierungen von Kenia und Tansania, nach Bürgerart ihre Blößen zu bedecken. Die Massai sind die Flegel der Nation.
Drohungen, Lockungen und Ermahnungen haben sie weder seßhaft noch integrationswillig machen können. »Ostafrikas Zigeuner« (so der Londoner »Guardian") ziehen wie seit Hunderten von Jahren ihre Väter den Regenwolken nach -- ohne Rücksicht auf Grenzen und Ministerialverordnungen.
Schwacher Trost für die Regierung in Nairobi: Christliche Missionare versuchen seit hundert Jahren erfolglos, die Massai zu verändern, und im vollkollektivierten Tansania bereitet eine Massai-Minderheit den Behörden die gleiche Sorge.
Anders als zentralafrikanische Pygmäen, die sich mangels Kontakt zur Zivilisation ihre pittoreske Ursprünglichkeit bewahrt haben, drücken sich die Massai in unmittelbarer Nachbarschaft zur Weltstadt Nairobi am Fortschritt vorbei. Mit einem guten Feldstecher kann man vom rotierenden Dachrestaurant des »Kenyatta-Turms« aus die von Dornengestrüpp eingefriedeten »Manyattas« der Massai und ihre mit Dung gedeckten Hütten erkennen.
Über die Stadtgrenze aber kommen sie selten. In Nairobis wuchernden Slums sind die Massai als einziger kenianischer Stamm nicht vertreten. Sie lassen sich für Geld photographieren. Aber sie kaufen weder Schnaps noch Transistorradios, sondern immer nur neue Kühe -- Hauptquelle von Stolz und Elend der Massai.
Selbst in der Regenzeit werden die Rinder auf den schütteren Wiesen der Massai-Steppe kaum satt. Als der Regen im letzten Herbst ganz ausblieb, trieben die Nomaden ihre Herden bis dicht an die Landebahn des Flughafens von Nairobi. Rollkommandos der Polizei mußten das Flugfeld räumen.
Die Regierung gab den Massai vorübergehend das Amboseli-Wildreservat zur Begrasung frei. Landesvater Jomo Kenyatta versprach seinen unartigen Kindern mehr Weidefläche. Aber Landwirtschaftsexperten halten diese Lösung für dubios. Sie würde die unwirtschaftliche Viehhaltung nur weiter begünstigen.
Massai-Rinder bringen ihren Besitzern nicht sehr viel Nutzen. Geschlachtet wird nur zu festlichen Anlässen. Der Nährwert der klapprigen Kühe beschränkt sich in der Regel auf etwas Milch und das Blut, das den Rindern aus der Halsschlagader gezapft wird.
Die Massai halten Viehwirtschaft für ihr ureigenes Privileg und finden deshalb nichts dabei, anderen die Rinder von der Weide zu holen. Im Massai-Kernland zwischen Narok und Kajiado sind zwei von drei Gewaltverbrechen auf Viehdiebstahl zurückzuführen. Am Neujahrstag 1976 starben bei einem von Massai inszenierten Raubzug in Narok acht Menschen.
Um die schlaksigen schwarzen Cowboys seßhaft zu machen, hat die Regierung im Massaigebiet von Narok mit großzügigen
Investitionsspritzen den Anbau von Weizen gefördert. Aber die Farmen werden heute überwiegend vom Staatsvolk der Kikuju bewirtschaftet -- weil die Massai das Nomadisieren nicht lassen können.
Nur zehn Prozent ihrer Kinder gehen zur Schule. Die eigens für die Massai gegründete »Polytechnische Schule« in Narok besuchten in den sechs Jahren seit ihrer Gründung unter insgesamt 240 Schülern nur 27 Massai.
Kenias Abgeordnetenhaus hat sich
über die Frage, ob die Massai Hosen tragen müssen oder nicht, zutiefst zerstritten. Die viel glossierte Hosenfrage hat mehrmals zu stürmischen Debatten geführt. Der Massai-Abgeordnete John Keen etwa hält die ockerfarbene Shuka seiner Stammesgefährten, die beim Gehen auseinanderklafft und den Blick auf die Intimsphäre des Trägers freigibt, für eine »nationale Schande«.
Von einem befreundeten Schneider ließ Keen ein unten geschlossenes Alternativgewand entwerfen, das, wie er meint, sowohl der Putzsucht der Massai wie auch den Erfordernissen der nationalen Würde Rechnung trug. Doch der Markt nahm die Mode nicht an.
Auch der Versuch, der Rauflust der Massai mit kosmetisch-okkultischer List beizukommen, ist gescheitert. Während eines Initiationsrituals in Olololunga kreisten Polizeieinheiten 74 Moran ein und schoren ihnen gewaltsam die Schädel kahl.
Nach alter Überlieferung soll die Kraft der Massai im krausen Haarschopf wohnen. Doch die Jungkrieger prügelten und stachen sich auch kahlköpfig Weiter.