AFRIKA / ANGOLA-KRISE Schwarze Hoffnung
Der portugiesische Delegierte Dr. Vasco Vieira Garin federte von seinem Sitz am Hufeisentisch des Weltsicherheitsrates hoch. »Auf alle diese Anschuldigungen«, schrie er verärgert, »hat das portugiesische Volk nur eine Antwort: Schert euch um eure eigenen Angelegenheiten, wie wir uns um die unsrigen kümmern!«
Der Wortschwall des Portugiesen galt nicht so sehr den afrikanischen Sprechern, die Portugals Politik in der von Unruhen heimgesuchten Kolonie Angola kritisiert hatten, sondern richtete sich vor allem gegen Amerikas Chefdelegierten Adlai E. Stevenson. Der Amerikaner hatte gewagt, wozu sich keiner seiner Vorgänger erkühnen mochte: Er hatte die Einheitsfront der Westmächte in der Uno durchbrochen.
Zum erstenmal hatte Amerika einem Nato-Staat zu Verstehen gegeben, daß Washington eher die Verärgerung eines europäischen Verbündeten auf sich nehmen will, als die ohnehin spärlichen Sympathien afrikanischer Nationalisten zu verlieren.
Damit versuchen Amerikas Polit-Strategen sich aus einem im Grunde unlösbaren Dilemma zu befreien, das die Vereinigten Staaten seit ihrem Eintritt in die Weltpolitik irritiert: einerseits durch Geschichte und Tradition zum Förderer farbiger Unabhängigkeitsbewegungen berufen, andererseits europäischen Staaten mit kolonialen Interessen verbündet zu sein.
Diesem Dilemma wußte sich die amerikanische Diplomatie von Truman bis Eisenhower nur durch gängige Tricks zu entziehen. Da in Washington die Interessen der europäischen Verbündeten absoluten Vorrang hatten, verstummten die US-Diplomaten, wann immer in der Uno Kolonialthemen zur Sprache kamen, von denen Nato-Staaten betroffen waren.
Als der afro-asiatische Block im Dezember 1960 dem Weltsicherheitsrat eine Resolution vorlegte, die »sofortige Maßnahmen« zum Abbau des Kolonialismus forderte, da genügte ein Telephonanruf des britischen Premierministers Macmillan bei seinem Kriegskameraden Eisenhower, um die amerikanische Delegation zur Stimmenthaltung zu bewegen.
Eisenhower-Nachfolger Kennedy aber war nicht länger bereit, den Einflüsterungen der europäischen Kolonialmächte nachzugeben.
Der steigende Einfluß Sowjetrußlands in Afrika zwang ihn zu jener Erkenntnis, die schon der demokratische Kongreßabgeordnete Barratt O'Hara, parlamentarische Schlüsselfigur für alle Afrikapläne Kennedys, von einer Reise mitgebracht hatte: »Wir müssen uns ganz und gar vom Kolonialismus trennen.«
Ein solcher Kurswechsel setzt freilich die Bereitschaft voraus, den afrikanischen Nationalisten zuliebe jede Erschütterung des Nato-Bündnisses in Kauf zu nehmen. Schon haben sich die schwarzen Nationalisten angeschickt, Kennedys Afrika-Doktrin an ihrem verwundbarsten Punkt auf die Probe zu stellen.
Mitte März eröffneten afrikanische Diplomaten in der Uno einen Generalangriff gegen den Nato-Verbündeten Portugal, dessen Kolonialpolitik (der portugiesische Uno-Diplomat Garin: »Unsere Politik hat sich seit dem 17. Jahrhundert nicht geändert") als rückständig gilt. Zugleich aber hatte Washington das
Portugal des Diktators Salazar stets für besonders schutzbedürftig gehalten.
Zwar steuert Portugal nur eine Division zum militärischen Potential des Atlantikpakts bei, doch übt seine geographische Lage auf amerikanische Generalstäbler verführerische Reize aus: Auf den Azoren-Inseln sind amerikanische Luftgeschwader stationiert, mit denen Washington den östlichen Atlantik und das westliche Mittelmeer beherrscht.
Die Furcht, durch unbedachte Kritik an der portugiesischen Kolonialpolitik die Azoren-Basen zu verlieren, schien zunächst auch die Portugal-Politik des Präsidenten Kennedy zu beeinflussen.
Indes: Der Antrag Liberias, die Verwaltungsmethoden in Angola, der südwestafrikanischen Überseeprovinz Portugals, im Weltsicherheitsrat zu behandeln, ließ den Amerikanern keinen Ausweg. Angestachelt von der Nachricht über blutige Unruhen in der Angola -Hauptstadt Luanda, forderte Liberias Uno-Delegierter im Sicherheitsrat, Portugal solle über die Zustände in seinen afrikanischen Besitzungen Rechenschaft geben und eine Untersuchungskommission nach Angola hineinlassen. Amerika mußte Farbe bekennen.
Während alle anderen westlichen Mitglieder des Sicherheitsrats den Antrag Liberias ablehnten, zögerten die amerikanischen Diplomaten ihre Entscheidung hinaus. Bis zum Tage der Abstimmung konnte sich das State Department nicht schlüssig werden, wie sein Vertreter - der Ratsvorsitzende Adlai E. Stevenson - votieren sollte. Als schließlich am 15. März die Entscheidung fiel, fanden die Amerikaner nicht einmal mehr Zeit, die Portugiesen zu informieren.
Erst nachdem sämtliche Mitglieder des Sicherheitsrats ihr Votum abgegeben hatten und klargeworden war, daß der Antrag abgelehnt werden würde, erhob sich Stevenson und schlug sich auf die Seite der antiportugiesischen Fronde.
Dozierte der Amerikaner: »Die Menschen von Angola haben ein Anrecht auf alle jene Menschenrechte, die ihnen die Uno-Charta garantiert. Portugal sollte mit einer friedlichen Evolution
in Angola beginnen, damit sich die kongolesische Tragödie nicht wiederholt.« Die wütende Reaktion Portugals konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem Widerstand der europäischen Kolonialmächte gegen die-neue Afrikapolitik Kennedys enge Grenzen gesetzt sind. Diktator Salazar hielt es denn auch angesichts der bevorstehenden Angola-Debatte in der Uno-Vollversammlung für opportun, den Amerikanern einen Schritt entgegenzukommen: Aus Lissabon verlautete, bereits »in den nächsten Wochen« werde Angola eine gewisse Autonomie erhalten.
US-Sonderbotschafter Stevenson, neuer Freund*: Neger bevorzugt
* Ghana-Präsident Kwame Nkrumah.