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Schwarze Roben, weiße Halsbinden

Schubladengesetze für eine Militärjustiz der Bundeswehr Siebzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner schauerlichen Militärjustiz entwarf eine Kommission aus Ministerialbeamten, Rechtslehrern und Richtern neue Gesetze gegen zukünftige Verfehlungen von Soldaten im Kriegsfall. Bis heute hat die Bundesregierung dieses Vorschriftenpaket dem Deutschen Bundestag nicht vorgelegt. *
aus DER SPIEGEL 44/1987

Die Planung ist perfekt. Rein rechtlich gesehen, ist die Bundeswehr gerüstet.

Es gibt komplett ausformulierte Referentenentwürfe für ein Wehrjustizgesetz (WJG), eine Wehrstrafgerichtsordnung (WStGO) plus Einführungsgesetz, ein Gesetz zum Schutz der Landesverteidigung, ein Völkerrechtsstrafgesetz (VRSG) und eine Rechtsverordnung über die Errichtung und die Zuständigkeitsbereiche der Wehrstrafgerichte.

Auf dem Papier existieren 31 dieser Wehrgerichte, die - im sogenannten Verteidigungsfall ("V-Fall") - mit einem Volljuristen als Vorsitzendem und zwei soldatischen Schöffen besetzt werden, hinzu kommen acht Oberwehrgerichte .

Obgleich sie noch Phantome sind, haben die Gerichte bereits Kenn-Nummern, die im Schriftverkehr und bei der Aktenführung hilfreich sein sollen. »42« beispielsweise ist das Zahlenkürzel für das Wehrgericht der 6. Panzergrenadierdivision in Neumünster. Auch ein Geschäftsverteilungsplan liegt vor, etwa für die beiden Kammern des Wehrgerichts bei der 1. Panzergrenadierdivision in Hannover.

Details sind, deutsche Gründlichkeit, bestens geregelt. Schon lange besteht die amtliche Anordnung, »alle Wehrstrafrichter und alle Wehranwälte« seien »zum Führen von Ferngesprächen und zur Aufgabe von Sprüchen mit Vorrangstufe« berechtigt.

Paragraph 2 des »Entwurfs einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Amtstracht bei den Wehrstrafgerichten« bestimmt, daß »in der Hauptverhandlung« eine schwarze Robe und eine weiße Halsbinde getragen werden müßten. »Wenn besondere Umstände es erfordern«, heißt es sinnfällig weiter, könne »jedoch auf das Tragen der Amtstracht oder der Halsbinde verzichtet werden« - viel Phantasie braucht es nicht, sich ein solches Szenario vorzustellen,Feldschreibtische sind

vorhanden, Reiseschreibmaschinen, Aktentaschen, Kofferradios, Diktiergeräte, Regale, Roben natürlich und Erkennungsmarken, außerdem jede Menge Literatur.

52 Titel für die Fachbücherei eines Oberwehrgerichts, aber nur 39 für die eines Wehrgerichts. Auch militärische Dienstvorschriften, wie die ZDv 3/12 ("Schießen mit Handwaffen") oder die HDv 132/1 ("Einsatz von Atomsprengköpfen"), fehlen nicht.

Selbst die Zeit ist verplant. Nach Bekanntgabe des V-Falls und »nach Übernahme des bei der Bundeswehr gelagerten Geschäftsbedarfs« könnte, so vermerkt ein Regierungspapier, »innerhalb von knapp drei Tagen ... Wehrstrafgerichtsbarkeit« ausgeübt werden.

Seit 25 Jahren nun schleppt eine Bundesregierung nach der anderen das Problem Wehrstrafgerichtsbarkeit mit sich herum,unschlüssig und zögerlich,vor allem aber,durchaus verständlich,mit schlechtem Gewissen. Kaum eine Andere Sachentscheidung der Nachkriegszeit ist einerseits so geheim und andererseits so spitzfingrig behandelt worden wie die ministeriell sanktionierten Justizvorbereitungen für den Kriegsfall-und das nicht ohne Grund.

Zwar kann der Bund, gemäß Artikel 96 des Grundgesetzes,"Wehrstrafgerichte für die Streitkräfte"als Bundesgerichte etablieren,die dann »im Verteidigungsfall« tätig werden. Doch schreibt die Verfassung zwingend vor,"das Nähere"sei durch ein Bundesgesetz zu regeln. Genau dieses Gesetzgebungsverfahren aber ist, bis heute, umgangen worden.

Weder hat sich der Bundestag mit der eingebunkerten, im August 1983 erstmals vom SPIEGEL näher beschriebenen und Anfang 1984 von privater Seite _(Ulrich Vultejus: »Kampfanzug unter ) _(der Robe-Kriegsgerichtsbarkeit des ) _(Dritten Weltkriegs« Buntbuch-Verlag ) _(1984. )

publizierten Sammlung von Gesetzentwürfen befaßt noch die Frage geklärt, ob eine Militärjustiz überhaupt offiziell eingerichtet werden solle.

Kritiker sorgen sich, daß das Notparlament diese Entwürfe im Verteidigungsfall kurzfristig absegnen werde - ein Plan, der für die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) an den »Tatbestand der Vorbereitung eines Staatsstreichs« grenzt.

Dennoch: Hunderte deutscher Richter und Staatsanwälte durften mit den sogenannten Schubladengesetzen bereits üben und Gespenster-Verfahren durchführen, ehe der damalige SPD-Justizminister Jürgen Schmude 1982 das Ende verfügte .

Nur die wenigsten Juristen hatten an ihrer Tätigkeit gezweifelt, obgleich die Tresor-Entwürfe mit dem Rechtsstaatsgedanken nur schwerlich zu vereinbaren sind. So verkommt die in Artikel 101 des Grundgesetzes garantierte Norm des »gesetzlichen Richters« zur bloßen Beliebigkeit, weil laut Paragraph 25 der WStGO auch derjenige Richter entscheiden könne, der »am leichtesten erreichbar ist«.

Anders als die Strafprozeßordnung erlaubt die WStGO gegen Urteile der Militärgerichte weder Berufung noch Revision. Eine nächsthöhere Instanz, die die Plausibilität der festgestellten Tatsachen überprüfen soll, ist vorhanden - aber: Falls das eigentlich zuständige Oberwehrgericht nicht greifbar ist, entscheidet notfalls über den Einspruch wieder das »am leichtesten erreichbare«. Wobei es vorkommen kann, daß am Ende dasselbe Wehrgericht urteilt, dessen Spruch angefochten wurde.

Das Jugendgerichtsgesetz wird im V-Fall praktisch außer Kraft gesetzt. Jugendliche sollen beim Strafvollzug den Erwachsenen gleichgestellt werden - ein Prinzip der Unmenschlichkeit, das der Marburger Rechtsprofessor und Kriegsrichter Erich Schwinge schon vor über 40 Jahren verfolgte.

Die Strafverfolgung ist nicht zwingend vorgeschrieben (genau wie 1941, als Hitlers Truppen mit einer Sondervorschrift gen Osten marschierten). Und wie zu unseligen Zeiten auch kann im Kriegsfall die Anordnung erfolgen, »daß Vollzugseinheiten gebildet werden und bei diesen Einheiten militärischer Dienst im geschlossenen Arbeitseinsatz geleistet wird«.

Solche Einheiten hießen früher Bewährungsbataillone oder Feldstrafgefangenenabteilungen. Das Schicksal ihrer Soldaten war oft der Tod.

Wie damals sollen die Militärjuristen auch nach den heutigen Schubladengesetzen mehr Helfer der Truppen als Diener des Rechts sein. Vorrangige Aufgabe ist es nach immer noch gültiger Planung, Soldaten zu disziplinieren und ihren »Verteidigungswillen auch in außergewöhnlichen Lagen zu erhalten oder wenigstens wieder zu festigen«, erklärte der Bonner Justizministeriale und Promoter einer neuerlichen Wehrjustiz, Carl-Heinz Schönherr.

Bei solch eindeutiger Fixierung haben die Verfechter einer Wehrstrafgerichtsbarkeit in öffentlichen Diskussionen einen schweren Stand.

Es sei »heute politisch wohl noch schwieriger als früher«, die Entwürfe zum Gesetz zu erheben, weiß Bundesjustizminister Hans A. Engelhard, »der politische Wille ... erscheint gering«. Er fürchtet eine »nachhaltige emotionsbeladene, den damaligen Notstandsgesetzgebungs-Auseinandersetzungen ähnelnde Diskussion«.

Von den ursprünglich 900 Juristen, die für den Verteidigungsfall ihre Abkommandierung zur Truppe bereits in der Tasche hatten, sind mittlerweile 240 ausgeschieden. Sie wurden entweder pensioniert, stiegen freiwillig aus oder verloren »wegen der ungeklärten Lage« (Engelhard) die Lust am Kriegsrichten. Deshalb bestand der FDP-Justizminister im

Juli 1985 auf »einer baldigen Entscheidung, wie weiter verfahren« werden solle. Ihm kam es »nicht richtig vor, »den gegenwärtigen Abbröckelungszustand hinzunehmen«.

In einer Vorlage für den Bundessicherheitsrat, das höchste Verteidigungsgremium der Bundesregierung, votierte Engelhard deshalb »im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung aus fachlicher Sicht«, die umstrittenen Schubladengesetze endlich vom Bundestag genehmigen zu lassen. Begründung, unter anderem: _____« Der Rechtsstaat kann auch in einem Verteidigungsfall » _____« nicht die Gefahr hinnehmen, daß die Truppe in besonderen » _____« Notlagen, wenn unverzügliche rechtsstaatliche Sanktionen » _____« nicht zur Verfügung stehen, zu rechtswidriger » _____« Selbstjustiz greift und daß die Vorgesetzten Befehle mit » _____« der Waffe durchsetzen. »

Um die Arbeit voranzutreiben, schlug Engelhard die Einberufung einer 15köpfigen Kommission vor, die aus Bundes- und Landespolitikern, Ex-Militärs, Völker-, Strafprozeß- sowie Verfassungsrechtlern bestehen müsse. »Die öffentliche Diskussion«, erklärte das Ministerium, »würde wohl nicht ganz beendet werden, wohl aber versachlicht werden können.« Und: _____« Dieser Diskussion und dem möglichen Vorwurf, die » _____« Kommissionsarbeit solle nur als Alibi dienen, um die » _____« Gesetzesentwürfe erst in einem Verteidigungsfall vorlegen » _____« zu können, könnte ... durch zügige Arbeit der Kommission » _____« und eine Öffentlichkeitsarbeit, die erkennbar deutlich » _____« macht, daß ernsthaft eine Lösung gesucht wird, » _____« entgegengewirkt werden. »

Am 23. April 1986 stimmte der Bundessicherheitsrat einer solchen Kommission zu. Seither sind wieder anderthalb Jahre vergangen - geschehen aber ist, trotz der vermeintlichen Dringlichkeit, nichts.

Mit Hermann Höcherl, dem früheren CSU-Innenminister, ist zwar ein Vorsitzender benannt, ein zweiter, gleichberechtigter bislang aber nicht gefunden. Ex-Verteidigungsminister Georg Leber von der SPD hat abgewinkt, Ersatz gibt es nicht. Die Sachverständigenrunde ist nicht einmal zur konstituierenden Sitzung zusammengetreten.

Mittlerweile rückt das federführende Justizministerium von den früheren Formulierungen und Überlegungen vorsichtig ab.

In einem internen Schreiben an die Länderjustizminister ("Probleme der Strafgerichtsbarkeit über Soldaten in einem Verteidigungsfall") ließ Engelhard erklären, es gehe »nicht in erster Linie um militärische Hintergründe wie die Disziplin der Truppe«,"Maßgebend« seien vielmehr »die Gesichtspunkte des Schutzes des Soldaten und der Zivilbevölkerung sowie die Verpflichtung zur Einhaltung des Kriegsvölkerrechts«.

Ende

Ulrich Vultejus: »Kampfanzug unter der Robe-Kriegsgerichtsbarkeitdes Dritten Weltkriegs« Buntbuch-Verlag 1984.

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