GRIECHENLAND Schwarze Wolken
Zum großen Barbecue im Athener Hilton-Hotel, das ab Juni jeden Montagabend der Saison unter freiem Himmel zelebriert wird, hatten Floristen sich ein apartes Dekor ausgedacht.
Auf dem Swimmingpool dümpelten sommerblumenbesteckte Strohhüte. Die dazugehörigen Personen schienen weggetaucht, und so ähnlich war es auch.
Hiltons Haupt-Klientel, US-Touristen, war weit und breit nicht zu erspähen: keine karierte Ami-Hose zwischen all den feierlich dunklen Beinkleidern der Athener Herren, keine hellrosa gepuderte, talmiglitzernde US-Lady zwischen all den olivhäutigen, massivgoldbehängten Athener Damen.
Bevor noch Musik und Tanz beginnen konnten, schwemmten sintflutartige Gewitterregen die Festgesellschaft in die Flucht, und so gedieh denn dieser Juniabend in noch einer Weise zum Symbol: schwarze Wolken über Griechenlands strahlendem Touristenhimmel.
Der Fremdenverkehr Europas und des gesamten Mittelmeerraums leidet dieses Jahr unter dem Ausbleiben der Amerikaner, aber Griechenland ist am schlimmsten betroffen.
Frankreich, Italien und die Deutschen rechneten im Juni mit schmerzlichen Einbrüchen im Dollar-Tourismus. Wie die Amerikaner Griechenland dagegen den Rücken kehren, grenzt an totalen Boykott: Stornierungen bei Gruppenreisen, Flügen und Kreuzfahrten liegen teilweise bei über 90 Prozent, und eine Trendwende ist nicht in Sicht.
»Tragische Dimensionen für unsere Wirtschaft«, stellte die Athener Tageszeitung »Estia« fest. Tourismus ist einer der wichtigsten Devisenquellen Griechenlands. Und die fast 500000 Amerikaner brachten im vorigen Jahr immerhin etwa 20 Prozent aller Tourismus-Devisen.
Die Amerikaner meiden Griechenland aus denselben Gründen wie Resteuropa - aus Terroristenfurcht und Strahlenangst (SPIEGEL 18/1986). Doch von Hellas scheint mehr Angsteinflößendes auszugehen - oder ist auch »Rambos« Rache im Spiel?
Seit dem Juni vorigen Jahres wird Athen in der US-Presse als Tummelplatz arabischer Terroristen dargestellt. Nach der Entführung einer TWA-Maschine forderte US-Präsident Reagan persönlich seine Landsleute auf, den Flughafen Athen zu meiden. Obwohl der Airport mittlerweile von internationalen Experten gecleart ist, hat Reagan seinen Appell nie offiziell zurückgenommen.
Daß in diesem April an Bord eines TWA-Flugzeugs auf dem Weg von Rom nach Athen eine Bombe explodierte, hatten wieder die Griechen auszubaden. Die TV-Bilder von dem schrecklich klaffenden Loch im Rumpf der TWA-Boeing auf einem Athener Rollfeld »haben uns den Gnadenschuß gegeben«, klagt ein Tourismus-Manager. Und »nach Tschernobyl lief das Faß über«, so der Architektur-Professor Panayotis Lazaridis, Generalsekretär der griechischen Fremdenverkehrszentrale EOT.
Besonders gefährdet fühlen sich Amerikaner in einem Land, in dem der Sozialist Andreas Papandreou herrscht - ein Mann, der Palästinenserführer Arafat hilft (1982 nach der Vertreibung aus Beirut) und Libyens Gaddafi hofiert (1984), der aber keine Gelegenheit ausläßt, gegen die USA loszuwettern.
Als Papandreou im Mai in Athen bei einem Treffen mit dem Terror-verdächtigen syrischen Präsidenten Assad die Libyen-Operation der Amerikaner mit einer »terroristischen Aktion« verglich, war Griechenlands Image vollends hin. »Eine politische Ohrfeige«, kommentiert Bill Lefakinis, Präsident eines griechischen Jacht-Charterverbandes, die amerikanischen Stornos.
Zwangsläufig trifft der Schlag am härtesten die traditionellen griechischen Geschäftsfreunde der Amerikaner: Luxushotels in Athen, die Stätten der »classical tours« wie Delphi, Olympia oder Epidauros, Reeder und Makler im Kreuzfahrt- und Luxusjachten-Geschäft, Nobel-Juweliere und -Kürschner. Doch auch Bus- und Taxifahrer, Stewards kleine Souvenirhändler, Fremdenführer Portiers und Putzfrauen spüren den Einbruch.
Von Januar bis Ende Mai kamen nur 62626 Amerikaner - das waren zum Höhepunkt der Saison gerade gut 13 Prozent der Vorjahres-Gästezahl. Im Juni, sonst neben Mai der beste Monat, tröpfelte das Touristenbächlein von jenseits des Atlantik nur noch.
Die Cafes rund um den Syntagma-Platz in Athen standen auch im Juni leer zu einer Zeit, wo sie sonst voll sind von dröhnenden US-Gästen. Ob aufrichtig oder nicht - die Zeitung »Akropolis« beklagte das Fehlen dieser »erfrischenden Note«. Lustig findet es kaum ein Grieche, wenn junge Amerikaner gesichtet werden mit T-Shirt-Aufschriften wie: »Ich überlebte Europa 1986.«
Katzenjammer herrscht nun bei allen Tourismus-Leuten, weil man die Amerikaner »leider mit der Lupe suchen« muß, so Renate Remandas, Tourismus-Beraterin im Athener Wirtschaftsministerium. Denn wie überall in der Welt sind jene Reisenden besonders lieb, deren Wegbleiben teuer ist. »Ein Amerikaner ist so gut wie ein Pullman-Bus voll anderer Touristen«, sagt Minas Sigalas, Präsident des Reederverbands der Küstenschiffahrt.
Das mag übertrieben sein, aber ganz falsch ist es nicht: Der statistische Durchschnittstourist gibt in Griechenland im Urlaub pro Tag 20 Dollar aus, der Amerikaner hingegen 125. »Die Europaer können die Amerikaner niemals ersetzen« so schallt es überall in Griechenland, wo die Gold-Dollaresel ausbleiben.
Der US-Tourist sei schlechthin der »big spender«, so Jachtenbesitzer Lefakinis. Er bucht den Luxus und »zahlt Taxis grundsätzlich mit Fünf-Dollar-Noten, auch wenn die Fuhre nur ein paar Dutzend Cent wert ist«, klagt ein Taxifahrer in Piräus seiner »wie vom Erdboden verschluckten« Klientel nach, die »nie auch nur einen Blick auf den Taxameter verschwendet habe.«
Die Chefs der Athener Tophotels, deren Gäste zwischen 60 und 80 Prozent Amerikaner waren, halten nun im vierten Monat nach ihrer einstigen Gästeschar Ausschau. Ihre Verluste geben sie mit 330000 Mark pro Tag an.
Im 100 Jahre alten Grande Bretagne am Syntagma-Platz ließen sich zeitweilig 90 Gäste, ein Drittel davon Amerikaner, von einer 700köpfigen Personalschar verwöhnen. Besitzer Apostolos Doxiades, der auch der griechischen Hotelkammer präsidiert, treibt grimmige Völkerpsychologie: »Die Amerikaner erteilen uns die Lektion, daß sie zumindest in einem eine geschlossene Nation sind - in der Massenhysterie.«
Die Luftfahrtgesellschaft TWA, die im März nur 350 Buchungen für Hellas hatte und etliche ihrer Griechenlandflüge streichen mußte, beginnt, ihr griechisches Personal drastisch abzubauen.
Das tun mittlerweile auch die Verkäufer der klassischen Rundreisen, bei denen mindestens jeder zweite Bus nicht rollen kann. Fremdenführer, die im letzten Jahr noch an 200 Tagen US-Gruppen durchs antike Hellas lotsten, dürfen froh sein, wenn sie überhaupt eingesetzt werden. Im antiken Olympia beschreibt die Hoteliersfrau Susanna Spiliopoulou mit dem landesüblichen drastischen Hang zur Übertreibung den Touristenschwund: »Dieses Jahr könnten Sie mit Kanonen durch die Hauptstraße schießen - Verletzte würde es keine geben.«
Nicht hochgespielt ist dagegen das Lamento des Jachten-Eigners und -Maklers Michael Ghiolman: »Wir sind am schlimmsten dran.« Denn bei ihm und den Dutzenden von Jachtverbands-Kollegen liegt das Business mit Sonne, Segeln, Motor und Meer »um 90 bis 100 Prozent« darnieder, wie an dem dichten Mastenwald im Hafen Zea zu Piräus deutlich abzulesen ist.
1800 Motor- und Segeljachten aller Größen hat der Verband im Computer, 120 sind Luxusjachten mit Crew, die pro Tag bis zu 6500 Dollar einbringen.
Auf den Planken dieser Schiffe - die besten kosten um die acht Millionen Mark - pflegten fast ausschließlich Amerikaner zu urlauben, und zwar überwiegend als Teilnehmer von »Incentive Tours«, kostspieligen Belohnungsreisen für verdientes Spitzenpersonal. Bill Lefakinis, der schon für Leinwandgrößen wie Charlton Heston, Robert Wagner oder für Hugh Hefners Playmates Trips durch die 2000-Inseln-Welt der Ägäis arrangiert hat, lebt in diesem Jahr nostalgisch von Erinnerungen.
Lediglich acht Schiffe waren im Juni an Amerikaner verchartert, allein bei Ghiolman wurden 85 Incentive Tours abgesagt, er hat im Moment »null US-Kunden«. »Es bleibt uns nichts als der Kampf um die Amerikaner«, stöhnt Jachten-Besitzer Aris Drivas, »denn die Europäer nehmen keins aus der Klasse der 120 teuren Fahrzeuge.«
Flau wie im Jacht-Geschäft ist die Stimmung auch bei den Reedern der dicken Vergnügungsliner, in deren Kundschaft die Amerikaner zu 60 Prozent vertreten waren. Neun von zehn US-Kreuzfahrern fehlen in diesem Jahr. »Wir haben aufgehört, von Seetouristik zu sprechen«, klagt Andreas Potamianos, Manager der Epirotiki Lines und Präsident des griechischen Reederverbands der Kreuzfahrtschiffe.
Im April kreuzte die »Stella Solaris« mit 27 Passagieren an Bord durchs Mittelmeer - 600 Plätze waren leer. Folge: Die Reeder spähen nach neuen Märkten. 15 von 25 Kreuzfahrtschiffen sind bereits aus der Ägäis abkommandiert, die »World Renaissance« beispielsweise dient bei einer griechischen Messe in Vancouver als Hotel, ein anderer Musikdampfer einem türkischen Teppichhändler in Los Angeles als schwimmender Basar, etliche sind in Richtung Karibik gefahren, um dort ein paar der gewohnten Dollar-Gäste abzubekommen.
Auf den Kykladen-Inseln Santorini und Mykonos, sonst beliebten Kreuzfahrtstationen _(Vor 1986. )
mit starker US-Kundschaft, hat heuer der Dauer-Hit aus »Sonntags nie« - »Ein Schiff wird kommen« - einen besonders melancholischen Klang.
»Vier, fünf, sechs Schiffe pro Tag - das war einmal. Heute kommt in der Woche höchstens eins«, jammert ein Pelzhändler am Hafen von Mykonos: »Mäntel für 3000 Dollar loszuwerden war früher ein Kinderspiel. Jetzt verkaufe ich nichts mehr.«
Die Tiffanys von Griechenland, die Juweliere Lalaounis und Zolotas, die auf Mykonos Filialen unterhalten, sind in Athen wie auf der Insel mit 95 Prozent Umsatz-Minus eingebrochen. Allenfalls Japanerinnen interessieren sich noch mal für die üppigen Klunker, von denen der Tanker-Tycoon Ari Onassis der Legende zufolge Jackie Kennedy täglich ein Stück zukommen ließ während der über sechsjährigen Dauer dieser Ehe.
Gähnende Leere auch in der Edel-Boutique des griechischen Modeschöpfers Jannis Galatis auf Mykonos, der Soraya und Ingrid Bergman, Julie Christie und Rita Hayworth angezogen hat. Galatis, auf Mykonos geboren: »Bevor die Amerikaner kamen, waren wir hier so arm wie die russischen Bauern zur Zeit der Revolution. Ohne Amerika ist Mykonos wieder zum Tode verurteilt!«
»Dies wird ein Jahr für die griechischen Touristen«, meint Tour-Unternehmer Jannis Lykiardopoulos. Und für die Europäer. Denn Preiskrieg tobt an allen Fronten, die Sonderangebote purzeln nur so auf den Reisemarkt.
Das Hilton, daß Grande Bretagne bieten sich unterderhand für 5000 Drachmen (78 Mark) pro Nacht feil - 75 Prozent unter dem Normalpreis. Die Hilton- und die Intercontinental-Kette in Griechenland offerieren überdies für alle ihre Hotels kostenlose Übernachtungen von Freitag bis Sonntag, wenn Gäste zweimal an Wochentagen bei ihnen übernachtet haben.
Daß die Amerikaner nach 1986 schnell wieder für Hellas zu begeistern seien, glaubt niemand mehr. Eine Drei-Millionen-Dollar-Kampagne in den USA läuft bis zum Herbst nur auf Sparflamme.
Da traten, im Sold der Athener Fremdenverkehrszentrale, prominente Amerikaner im Fernsehen auf. Zsa Zsa Gabors Text: »Ich bin in Ungarn geboren, aber im Sommer gehe ich heim - nach Griechenland.«
Der beabsichtigte Roots-für-Weiße-Effekt. Griechenland als geistige Heimat aller Auswanderer aus Europa, wurde sogleich von US-Karikaturisten verulkt. Ein Araber mit Kalaschnikow beispielsweise teilt per Sprechblase mit: »Ich bin in Palästina geboren, aber im Sommer gehe ich heim - nach Griechenland.«
Vor 1986.