SLOWAKEI Schwarzes Loch vor Wien
Über dem Mount Everest weht seit einem Vierteljahr die Fahne der »Bewegung für eine Demokratische Slowakei« (HZDS). Ministerpräsident Vladimír Meciar hat sie dort hinbringen und aufpflanzen lassen, um der slowakischen Nation zu zeigen, daß seine Partei ganz obenauf ist und daß es deshalb keinen Sinn macht, ihr bei den Parlamentswahlen am Freitag und Samstag dieser Woche eine Erneuerung des Mandats als Regierungspartei zu verweigern.
Was von den Bergsteigern, die an der Aktion beteiligt waren, als befremdlich empfunden wird: Sie erfuhren erst im letzten Moment, was in dem Paket war, das sie auf den höchsten Berg der Welt brachten. Kein Wunder, daß sie sich mißbraucht vorkommen. Denn so, wie Meciar mit der Republik umspringt, gilt es im allgemeinen nicht als Ehre, ihm nahezustehen.
Der ehemalige Präsident Michal Kovác sagt: »Der Mann hat kein Gewissen und
* Bei der Eröffnung eines Autobahnteilstücks.
keine Skrupel, er führt die Slowakei in eine Sackgasse.« Als Staatsoberhaupt hatte er sich den Machtgelüsten seines Premiers stets entgegengestemmt. Doch Anfang März lief seine Amtszeit aus - und Meciar übernahm kurzerhand Befugnisse des Präsidenten. Seitdem blockiert er mit seiner Parlamentsmehrheit die Wahl eines Nachfolgers.
In seiner ersten Amtshandlung in der Doppelrolle amnestierte Meciar straffällig gewordene Gefolgsleute und ließ die Untersuchungen im Fall Michal Kovác junior einstellen, der vor drei Jahren, wahrscheinlich vom slowakischen Geheimdienst, gekidnappt und später wieder freigelassen worden war.
»Meciar hat in der Slowakei eine Demokratie karpatischen Typs aufgebaut«, sagt Ernest Valko, der letzte Vorsitzende des tschechoslowakischen Verfassungsgerichts. »Die Verfassung ist für ihn wie ein Abreißkalender, er stellt sich über das Gesetz und kommt damit auch noch durch.«
So hat der Regierungschef 1997 und 1998 ein Referendum über die Direktwahl des Präsidenten verhindert, obwohl genug Unterschriften vorlagen. Im Mai brachte er ein neues Wahlgesetz ein, das ganz unverhohlen seine Partei begünstigt. Vor vier Wochen ernannte er einen neuen Generalstabschef der Armee, obwohl er den alten nach der Verfassung gar nicht hätte entlassen dürfen.
Der Opposition steht zwar der Klageweg offen. Aber Gesetze sind so lange bindend, bis sie vom Verfassungsgericht aufgehoben werden. Und dann ist es meist schon zu spät.
Nach diesem Muster wurde auch die Wirtschaft privatisiert. Der Nationale Eigentumsfonds verkaufte Staatsbesitz im Wert von 150 Milliarden Kronen (rund 8 Milliarden Mark), vorzugsweise an Parteifreunde und ihre Verwandten sowie an zwei ehemalige Freundinnen des Premiers. Der HZDS-Minister Alexander Rezes erwarb die Stahlwerke im ostslowakischen Kosice für ein Viertel des Verkehrswertes. Der Ölgigant Nafta Gbely ging für 150 Millionen Kronen weg - dabei brachte er im selben Jahr einen Gewinn von rund einer Milliarde Kronen.
Das Ergebnis ist für die Slowakei verheerend: Die Staatskasse ist leer, und die neuen Besitzer betrachten die Betriebe als Selbstbedienungsläden. Jedes zweite slowakische Unternehmen macht inzwischen Verluste, die Arbeitslosigkeit liegt bei 14 Prozent.
Meciar hält alle Schlüsselpositionen im Staate besetzt: Er kontrolliert das Parlament und die Polizei, die regionale Verwaltung, den Staatssicherheitsdienst und die elektronischen Medien. »Die Opposition hat keinen Zugang zum staatlichen Fernsehen«, klagt Rudolf Schuster, Bürgermeister von Kosice und Vorsitzender der Partei der Bürgerlichen Einheit.
Bei den Parlamentswahlen geht es auch um eine Entscheidung für oder gegen die Demokratie und für oder gegen Europa. »Unter Meciar sind wir zu einem Paria geworden, zum schwarzen Loch direkt vor den Toren von Wien«, sagt Martin Simecka, Chefredakteur des oppositionellen »Domino-Forums«.
Im Wahlkampf warb die HZDS nicht nur wie vorletzten Donnerstag mit einem Gastauftritt des deutschen Topmodels Claudia Schiffer, sondern auch mit dem umstrittenen Atomkraftwerk in Mochovce, das trotz internationaler Proteste und persönlicher Interventionen des österreichischen Bundeskanzlers im Juni angefahren wurde. »Damit sagt Meciar: Verpiß dich, Europa«, so Simecka. »Er spielt sich als Verteidiger nationaler Interessen auf, als unbeugsamer Kämpfer gegen die dunklen Machenschaften des Auslands.«
Die Folge dieser Politik der distanzierten Nachbarschaft: Die Slowakei, 1993 neben Polen, Tschechien und Ungarn noch sicherer Kandidat für den Beitritt zu Nato und EU, steht nun allein da. »Mit Meciar werden wir nie in die Nato aufgenommen«, meint der alte Generalstabschef Jozef Tuchyna. Dafür hat die Regierung in Bratislava in den vergangenen Jahren mehrere Dutzend Verträge über Freundschaft und Zusammenarbeit mit Rußland geschlossen.
* Bei der Eröffnung eines Autobahnteilstücks.