Zur Ausgabe
Artikel 77 / 86

Briefe

Schwelle des Unbehagens
aus DER SPIEGEL 48/1976

Schwelle des Unbehagens

(Nr. 46/1976, Kernkraft; Polizei: Gefährliche Chemiekeule; Nr. 47/1976, SPIEGEL-Titel: Kampf dem Atom-Müll)

Wenn die von uns zum Regieren Gewählten nur herrschen -- nach den Vorfällen in Brokdorf und anderswo gibt es daran keinen Zweifel -, muß man sich eingestehen, daß unser demokratischer Staat zur Farce degeneriert ist.

Burgwedel (Nieders.) HORST BÜCHNER

Schwindendes Vertrauen in unsere Politiker wie in den technischen Fortschritt kennzeichnen die Szene; eine schwer definierbare Schwelle des Unbehagens scheint erreicht.

Düsseldorf ULLA-LUISE WENDT

Das ist doch noch wahre Demokratie in deutschen Landen: Die gewählte Vertretung des Volkes setzt zur Durchsetzung des Willens des Volkes (?) die Freunde und Helfer des Volkes im Namen des Volkes ein.

Heidelberg WOLFGANG FISCHER

Mein Glaube an die Demokratie ist durch die Nacht-und-Nebel-Aktion sowie den Mauerbau erschüttert worden. Ich werde daraus Lehren ziehen. Meines Erachtens ist Dr. Stoltenberg nicht würdig, Ministerpräsident eines Landes unserer Bundesrepublik zu sein.

Dormagen (Nrdrh.-Westf.) HANS M. SCHUBERT

Physiotechniker

Wir können Herrn Stoltenberg aus vollster Seele danken: Seit Brokdorf wissen wir, was er und seine Freunde unter »Freiheit statt Sozialismus« verstehen: Stacheldraht, chemische Keule, abgeworfene Gasbomben und Polizeiknüppel.

Hannover JÜRGEN FLOERKE

Wann vervollständigen die verantwortlichen Machthaber die Absperrungen durch elektrische Zäune, wie sie in Auschwitz eingesetzt wurden, wann durch automatische Schußanlagen, wie sie an der Grenze zur DDR eingebaut sind? Junge Bereitschaftspolizisten der Polizeischulen werden in schlimme Gewissenskonflikte befohlen. Erschütternd, zu welchen widerlichen Handlungen von sogenannten rechtsstaatlichen Verantwortlichen erzogen werden kann! Timmendorfer Strand (Schlesw.-Holst.)

WALTER VETTER Diplom-Psychologe

Niemand -- auch kein ÖTV-Bonze -- hat Anspruch auf einen Arbeitsplatz, durch den andere und zukünftige in noch nicht abzuschätzendem Ausmaß gefährdet werden!

Hamburg ROLAND GUTSCHE

Weitgehend unbeachtet bleibt die Gefahr der Langzeitschäden durch den tränenerzeugenden Stoff in »Chemical Mace«, das Chloracetophenon (CN). Augenausschälungen zum Teil bis zu 15 Jahre nach der ursprünglichen Tränengasverletzung sind ebenso möglich wie die Sensibilisierung für allergische Hautentzündungen. Daß CN darüber hinaus krebsfördernd ist, hat das Londoner Krebsforschungsinstitut bereits 1953 festgestellt. Dies steht in voller Übereinstimmung mit Untersuchungsergebnissen des amerikanischen Polizeiarztes Dr. Robert Dyer, der an Polizeibeamten, die 1968/71 mit Tränengaseinsätzen gegen Vietnam-Demonstranten beschäftigt waren, eine außergewöhnliche Häufung von Hautkrebserkrankungen feststellte. Daß der Kriegseinsatz solcher Kampfstoffe, für den CN 1918 in den USA entwickelt wurde, schon bald nach dem 1. Weltkrieg durch das Genfer Protokoll (ratifiziert auch vom Deutschen Reichstag) 1925 geächtet wurde*, diese Ächtung angesichts des massiven Gaseinsatzes der USA in Vietnam von der UNO unter ausdrücklicher Einbeziehung von Tränengas bekräftigt wurde (im Jahr 1969), sei nur am Rande erwähnt. Im übrigen verzichtete die Bundesrepublik durch ihren damaligen Bundeskanzler Adenauer anläßlich der Wiederbewaffnung ausdrücklich auf die Herstellung aller chemischen Kampfstoffe, dazu gehören auch moderne Kampfgase der Polizei. Auch diese »Brüsseler Verträge« wurden 1955 vom Bundestag ratifiziert. München ALFRED SCHREMFF

Diplom-Chemiker

Da die Auswirkungen der chemischen Keule umstritten sind, bitten wir Bürger der Kaiserstuhlregion die SPIEGEL-Redaktion, uns einige Politiker zum Test zu benennen. Wir hoffen, die Politiker sind »gewaltlos« und verzichten bei diesem Test auf Gasmasken. Whyl (Bad.-Württ.) BERND NÖSSLER

und weitere 94 Unterschriften

Ich fordere das Bundesforschungsministerium auf, die für den Atommüll vorgesehenen Salzstöcke -- zum Beispiel Aufstellen entsprechender Schilder -- darüber zu informieren, daß sie für die nächsten Jahrtausende trocken zu sein haben. Entgegen Prognosen und Hoffnungen des Forschungsministers hat sich nämlich diese Erwartung bisher bei den Salzstöcken offenbar noch nicht herumgesprochen. Jedenfalls ist im Juni 1975 in unmittelbarer Nähe des Atommüllagers Asse ein Salzbergwerk voll Wasser gelaufen, so daß es aufgegeben werden mußte.

Stadt Allendorf (Hessen) ELLEN SCHLECHTER

Wir haben unseren Plan »Blau« zum Fall »Gelb« aus der Schublade geholt: Aufruf zur Non-Kooperation, zur bürgerlichen Unbotmäßigkeit (Gandhi: »civil disobedience"); zur Klage unserer Mitglieder und deren Kinder vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Verwaltungsgericht in Schleswig gegen die Errichtung neuer und den Betrieb der vorhandenen Kernkraftwerke, deren Versicherungsschutz gegen Sabotage und Angriffe von außen von Lloyds für nicht versicherbar erklärt wurde. Im Namen unserer Kinder klagen wir, weil wir Erwachsene das Ende der Verfahren vermutlich nicht erleben werden, angesichts von Rechtszuständen wie weiland vor Reichskammergerichten. Die Klagen werden vorbereitet vom Hamburger Rechtsanwalt Volker Westphal.

Hamburg ERICH KROHN Aktion Schwarz-Rot-Gold e. V./ Wähler für die FDP

* Die USA ratifizierten nicht.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 77 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten