CSU Schwerer Fehler
Der Sonnenkönig aus Oberammergau«, spottete Otto Graf Lambsdorff über den bayerischen Ministerpräsidenten, sei nun von »Größenwahn« geschlagen. »Max Streibl dreht durch«, befand der FDP-Vorsitzende, weil der CSU-Mann verlangt hatte, die Liberalen sollten nach der Wahl den Posten des Vizekanzlers an Theo Waigel abtreten und der CSU das Bonner Wirtschaftsministerium überlassen.
Seltener Gleichklang zwischen Christsozialen und Freidemokraten: Auch Bonner Vertraute des CSU-Parteichefs Theo Waigel meinten vorige Woche, der Max habe eine »Riesendummheit« gemacht. Es sei schon arg »provinziell«, angesichts der Einigungsprobleme mit solchen Forderungen zu kommen.
Nur die Hauptpersonen sehen es anders. Max Streibl freute sich über die Aufregung, die er mit seinem Vorstoß in der Bunten ausgelöst hatte. Und Waigel ärgerte sich in seinem Südtiroler Urlaubsquartier mächtig über seinen Parteifreund in München. Er weiß: Der Münchner CSU-Statthalter mit den Apfelbäckchen ist kein Einfaltspinsel, sondern sein fintenreicher, entschlossener Gegner. Besser als Lambsdorff hat Waigel erkannt, daß der Angriff ihm, dem CSU-Parteichef, galt und nicht den Freidemokraten: Streibl redete, als sei er der Alleinerbe des großen Franz Josef Strauß.
Streibl will Waigel um den Parteivorsitz bringen. Der jetzige Bundesfinanzminister solle wichtigster Mann der CSU in Bonn bleiben, ein Schlüsselressort in der Bundesregierung führen, wenn möglich mit dem Ehrentitel des Vizekanzlers ausstaffiert werden. Der Parteivorsitzende der CSU aber, meint Streibl, gehöre nach Bayern und nicht in das Bundeskabinett unter die Fuchtel Helmut Kohls.
Anders als Strauß, dem als Finanzminister der Großen Koalition (1966 bis 1969) die große Politik mehr lag als das penible Aktenstudium, rackert sich Waigel rechtschaffen ab - auf einem undankbaren Job. Wähler in Bayern, wo am 14. Oktober der Landtag gewählt wird, und im Rest der Bundesrepublik verfolgen mit wachsendem Unmut, wie CSU-Waigel Milliarde nach Milliarde guten Geldes in die bodenlose DDR schaufelt. Derzeit bereitet er einen dritten Nachtragshaushalt über mehr als zehn Milliarden Mark vor.
CSU-Streibl machte sich zum Fürsprecher der Bürgersorgen. »Keine müde Mark« dürfe Ost-Berlin mehr vor dem Beitritt erhalten, verlangte der Ministerpräsident öffentlich. Daß der CSU-Finanzminister gar keine andere Wahl hat, als die mit der Währungsunion blind eingegangenen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, ist Streibl natürlich geläufig.
Bei internen Besprechungen redet Streibl inzwischen wie SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine. Die übereilte Einführung der D-Mark am 1. Juli - auch hierfür zeichnet Waigel mitverantwortlich - sei ein »schwerer Fehler« gewesen. Hätte in Bonn Vernunft gewaltet, wäre mit der Währungsunion bis zum Beitritt der DDR gewartet worden.
Streibl geht zum Bonner CSU-Kassenwart vorsorglich auf Distanz, obgleich er sich für seine Landtagswahl keine Sorgen zu machen braucht. Mitte Juli lag die CSU bei 52 Prozent, Streibls Popularität erreichte den Spitzenwert von 75 Prozent.
Gelingt es ihm, die absolute Mehrheit der CSU im Stammland ordentlich zu sichern, ist er stärker denn je. Für den allgemein erwarteten Verlust von Mandaten bei der Bundestagswahl am 2. Dezember hätte dann der in Bonn residierende CSU-Vorsitzende geradezustehen.
Der stöhnt inzwischen über seine Doppelbelastung. Das Delegieren liegt ihm nicht. Seine Reden schreibt er am liebsten selber. Die Aufgaben des Parteivorsitzenden kann er wegen seiner Beanspruchung in Bonn nur im Nebenberuf betreiben.
In Generalsekretär Erwin Huber, der sich redlich müht, hat er einen Münchner Niederlassungsleiter, der weder programmatisch noch organisatorisch an das Format der Vorgänger Friedrich Zimmermann oder Gerold Tandler heranreicht. Referenten der Parteizentrale _(* Beim CSU-Parteitag in Nürnberg. ) beklagen sich inzwischen bei Streibl-Vertrauten, der Landtagswahlkampf sei ungenügend vorbereitet, der Parteichef fehle - womöglich auch aus privaten Gründen, seine Frau ist schwer krank - zu oft in der Landesleitung.
Der Gestreßte weiß um die Probleme. Er trug sich Ende Juli mit Rücktrittsgedanken, nachdem sich eine Anti-Waigel-Fronde zusammengefunden hatte (SPIEGEL 30/1990). Streibl riet ihm ab: Die Demission hätte nicht in die Wahlkampfzeiten gepaßt. Und der Amtsmüde ist beim Parteivolk nach wie vor beliebt; ein Rücktritt im nächsten Frühjahr wäre genehmer.
Streibl hat nicht entschieden, ob er dann selber nach dem Vorsitz greifen oder einen seiner Mitstreiter auf den Posten schieben soll. Klar ist, daß der neue Mann stets auf die Zustimmung des mitgliederstärksten Bezirks Oberbayern angewiesen ist; Vorsitzender: Streibl. Einstweilen läßt Streibl nicht nach, den Konkurrenten Waigel mürbe zu machen.
Er ist überzeugt, Waigel habe gegenüber Kohl keine ausreichende Ellenbogenfreiheit mehr. Deshalb stellte der Ministerpräsident wie nebenbei mit seiner Forderung nach dem Wirtschaftsressort auch das Amt des Finanzministers zur Disposition, der in der nächsten Legislatur auch die unpopulären Steuererhöhungen zu vertreten hätte. Denn nach Koalitionsproporz kann eine Partei nicht zugleich Wirtschafts- und Finanzministerium besetzen.
Demonstrationen von Unbotmäßigkeit gegenüber Bonn gehören zu Streibls Konzept, um die Eigenständigkeit der CSU zu sichern und ihre Bastion Bayern auszubauen. Ohne die CSU, das sei auch in Zukunft gewiß, könne keine bürgernahe Bundesregierung gebildet werden. Mögen durch das neue Deutschland die Winde des Wechsels wehen, Bayern soll der feste, vielleicht letzte sichere Hort der Union sein.
Streibl hält es für beinahe unausweichlich, daß die CDU schwächer wird: Im nächsten Frühjahr werde sie wahrscheinlich ihre Regierungsmehrheit in Rheinland-Pfalz verlieren, die in Hessen stehe auf der Kippe. Lothar Späth werde in Baden-Württemberg 1992 kaum wieder die absolute Mehrheit schaffen. In keinem der fünf neuen DDR-Länder werde es zur absoluten Mehrheit reichen. Die CDU müsse zu Lasten ihres Profils Koalitionen schließen.
Selbstbewußt bis zur Selbstüberschätzung mag der Sonnenkönig nicht ausschließen, daß sein Heimatland auch als selbständiger Staat außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gut überleben könnte. Ende vorigen Jahres hat Streibl es genau wissen wollen. Er beauftragte Juristen seiner Staatskanzlei, die Rechtslage für einen Austritt des Freistaats aus der Bundesrepublik zu prüfen.
Das Ergebnis der Fleißarbeit existiert offiziell nicht, liegt aber als streng vertrauliches »non-paper« in Streibls Tresor. Befund: Von der Verfassung her ist der Austritt nicht möglich, wohl aber nach dem von der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ausdrücklich bestätigten Recht auf Selbstbestimmung.
Als größtes Problem erkannten Streibl und seine Vertrauten bei ihrem Sezessions-Planspiel, daß dann die Bundesbahn nicht mehr in Bayern fahren und eine eigene bayerische Eisenbahn zu teuer kommen würde. Wie Kapital ins Land zu locken wäre, war schon bedacht: Der Spitzensteuersatz würde auf 36 Prozent festgesetzt.
So ganz, scheint es, hat Lambsdorff mit seinem Urteil über Streibl nicht danebengehauen.
* Beim CSU-Parteitag in Nürnberg.