SPD Schwerer Qualm
Die Lehrerin Heike Gohl, 35, war der erste Bundesbürger, an dem Sozialdemokraten ihren Beschluß demonstrierten, daß Radikale aus dem Staatsdienst fernzuhalten seien. Im November 1971 entschied der Hamburger Senat, das ehemalige Mitglied der »Sozialistischen Deutschen Arbeiter-Jugend« nicht zum Beamten auf Lebenszeit zu berufen; zwei Monate später faßten die Ministerpräsidenten der Länder ihren folgenschweren Extremistenbeschluß.
Der Lehrer Peter Gohl, 38, ist nun, sieben Jahre nach der Ablehnung seiner Ehefrau Heike, der erste Bürger, an dem Sozialdemokraten klarstellen wollen, daß sie diesen »mehr berüchtigt als berühmt gewordenen Erlaß« (Helmut Schmidt) auch zu annullieren vermögen. Am Montag letzter Woche kam der Hamburger Senat überein, daß der seit Jahren um seine berufliche Existenz kämpfende DKP-Mann Gohl Lehrer bleiben darf.
Das Geschick der Gohls markiert indessen nicht nur eine gewundene Wegstrecke bundesdeutscher Radikalenabwehr -- es zeigt vor allem, wie schwer sich Sozialdemokraten tun, jenen Geist zu bändigen, den sie mit herbeiriefen:
Der Fall Peter Gohl hat die Hamburger SPD der schwersten Belastung seit Jahren ausgesetzt, und er hat zugleich das Ansehen ihres Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose beschädigt, dem mancher eine gute Zukunft in Bonn prophezeit.
Den Karriere-Knick besorgten Kloses Genossen. Für die Weiterbeschäftigung Gohls und eines zweiten DKP-Lehrers namens Alfred Dreckmann stimmten in der SPD-Rathausfraktion nur 37 von 68 anwesenden Abgeordneten -- eine so knappe Mehrheit, daß die Zeitungen schon spekulierten, ob bei einer rechnerisch nun denkbaren parlamentarischen Abstimmungskoalition von Christdemokraten und SPD-Abweichlern der Rücktritt des Stadtstaatsregenten bevorstehe. Mit in solches Kalkül kam Kloses glücklose Kulturpolitik (siehe Seite 200).
»Wo die Radikalenerlaß-Praxis begonnen hat, da muß sie auch enden« -- das ist, wie sich letzte Woche erwies, ungleich leichter gesagt (von Hamburgs Lehrer-Gewerkschaft) als getan (vom Senat). Denn gerade am Ausgangspunkt staatlicher Extremistenabwehr scheint deren Anderung komplizierter als anderswo, etwa im gleichfalls SPD-regierten Bremen, wo es Hans Koschnick ohne nennenswerte Widerworte gelang, die Radikalenüberprüfung zu liberalisieren.
Ist die Hamburger Landespartei mithin noch immer, wie erst vor kurzem in der »Frankfurter Rundschau« stand, »eine Art CSU der SPD«? Wohl kaum. Denn immerhin war es Klose gewesen, der im letzten September überraschend ankündigte, Hamburg werde den leidigen Erlaß »notfalls im Alleingang« lockern. Und immerhin stellten sich wenig später 78 Prozent der hamburgischen SPD-Delegierten demonstrativ hinter diesen Klose-Plan -- obwohl sogar Kanzler Schmidt Bedenken geäußert hatte.
Schon damals freilich wußte Klose, daß unter den eher rechten Abgeordneten der Anteil der Liberalisierungsgegner höher sein würde als unter den Parteidelegierten. Tatsächlich votierten bereits letztes Jahr intern 20 der 69 SPD-Fraktionsmitglieder gegen Kloses Reformabsichten. Zwei Tage später jedoch, im Parlament bei einer Kampfabstimmung über einen einschlägigen CDU-Antrag, beugten sich 19 der Rebellen der Fraktionsdisziplin; einer enthielt sich.
Daß die Zahl der fraktionsinternen Dissidenten seither auf 31 angewachsen ist, mußte den Regierungschef allerdings alarmieren -- zumal er diesmal keineswegs einen weiteren Schritt nach links vollziehen, sondern einen Ruck nach rechts vermeiden wollte.
Denn: Im Fall Gohl/Dreckmann ging es nicht um die Aufnahme linker Lehrer in den Staatsdienst, sondern erstmals -- gravierender Unterschied -- um die Entlassung von Hamburger Beamten auf Lebenszeit, gegen die nichts Belastendes vorlag, außer ihrer DKP-Arbeit (Dreckmann im Landes-, Gohl in einem Kreisvorstand).
Hätte Kloses neuer Schulsenator Professor bist Grolle beide Lehrer -- gegen die Grolle-Vorgänger Günter Apel 1978 Ermittlungen eingeleitet hatte -- nunmehr mit einem Disziplinarverfahren überzogen, wäre womöglich »neben die »klassischen« Amtsdelikte« wie Bestechung, Betrug und Landesverrat, so die Lehrer-Gewerkschaft, ein neuer Ausschlußgrund getreten: »Tätigkeit für eine nicht verbotene Partei während der Freizeit.«
Kloses Schulsenator sah sich, »da beim Nachweis eines Dienstvergehens Regelvermutungen nicht zulässig sind«, gezwungen, »Einzelfallprüfungen vorzunehmen«. Resultat:
Unterrichtsbezogene Verfehlungen, insbesondere Indoktrinationsversuche, waren den seit 1966 im hamburgischen Schuldienst tätigen Beamten nicht vorzuwerfen. Es liegen im Gegenteil gute bis sehr gute dienstliche Beurteilungen vor, die eine zwölfjährige, in jeder Hinsicht unbeanstandete Berufsbewährung ausweisen.
Daß auch künftig nicht allein eine Parteimitgliedschaft, sondern »individuelle Einzelumstände« den Ausschlag geben sollen, demonstrierte Kloses Schulmeister am selben Tag: Mit sofortiger Wirkung suspendierte er einen Studienrat vom (Probe-)Dienst, der dem Kommunistischen Bund Westdeutschland angehört und »unter dem begründeten Verdacht« steht, »Gewalt sowie Mißachtung der Gesetze« zu befürworten --
Vieles deutet denn auch darauf hin, daß Kloses Sympathieverlust in der Fraktion weniger durch seine Radikalenpolitik« sondern eher durch andere Umstände verursacht worden ist. Allzu unvermittelt habe er, kritisieren Partei-Rechte, den sozialliberalen Senatskurs nach links geschiftet; allzu häufig greife er Reizthemen auf, etwa das böse Wort vom »Stamokap«.
Klose drohe, meint Hamburgs DGB-Vize Walter Holst, »Opfer seiner locker-flockigen Formulierungen« zu werden. Zudem aber findet seit Monaten jede tatsächliche oder vermeintliche Fehlleistung knalligen Widerhall in der von Axel Springer beherrschten Stadt-Presse. Ob »Hamburger Abendblatt« oder »Bild Hamburg«, ob »Welt« oder »Welt am Sonntag« -- stets qualmt es wie in den schwer duftenden Versen des Springer-Hauspoeten »Jonas": Extremisten, ob sie stinken oder nicht, putzt er die Klinken Mehr als die hat Grips und Rose Klose schon in seiner Hose ... Hamburgs Bürgermeister Klose holt die Roten aus der Dose Seit dort bürgermeistert Klose geht's in Hamburg in die Hose ... Klose kommt mit Lenins Knochen quer im Mund hervorgekrochen.
Trotz solcher Salven gegen den »linken Träumer« ("Bild") scheint Klose fürs erste nicht einlenken zu wollen -- obgleich sein Mitbürger Helmut Schmidt schon vor mehr als einem Jahrzehnt erkannt hatte, es gleiche »politischem Selbstmord«, sich mit der Springer-Presse anzulegen.
Inzwischen meint das offenbar auch Conrad Ahlers, Chefredakteur der SPD-eigenen »Hamburger Morgenpost«. Er riet letzte Woche seinem Bürgermeister per Leitartikel, er möge »endlich den Konfrontationskurs« gegenüber »der Mehrheit der Hamburger Presse aufgeben«; sonst drohe »kein gutes Ende«.
»Bild« druckte den Ahlers-Kommentar anderntags kommentarlos nach -- gleich unter der Rubrik »Bild-Kommentar«.